Essen. . Zur Krise beim Essener Traditionskonzern Ferrostaal hat sich der Betriebsrat bislang weitgehend zurückgehalten. Doch jetzt schlagen die Arbeitnehmervertreter Alarm. Das Geschäftsmodell von Ferrostaal sei in Gefahr, sagen sie im DerWesten-Interview.
Seit Monaten steckt der Essener Traditionskonzerns Ferrostaal in einer tiefen Krise. Doch bislang hielt sich der Betriebsrat des Unternehmens mit weltweit rund 5300 Mitarbeitern auffällig zurück. Nun allerdings schlagen die Arbeitnehmervertreter Alarm. Gemeinsam rufen der Ferrostaal-Betriebsratschef Jürgen Hahn und sein Stellvertreter Stefan Breuer auch die Politik zu Hilfe. Das Duo hofft auch auf Unterstützung der NRW-Landesregierung.
Der Ferrostaal-Betriebsratsvorsitzende Jürgen Hahn und der stellvertretende Ferrostaal-Betriebsratschef Stefan Breuer im Gespräch mit DerWesten:
Ferrostaal ist in den vergangenen Monaten massiv in Bedrängnis geraten. Die Folgen einer Schmiergeldaffäre sind immer noch spürbar. Außerdem schwelt ein Streit zwischen dem arabischen Ferrostaal-Großaktionär IPIC und dem Münchner Konzern MAN. Wie brenzlig ist die Lage?
Jürgen Hahn:Das Unternehmen steckt zweifellos in einer schwierigen Situation. Viele Kolleginnen und Kollegen machen sich Sorgen – und verlangen zu Recht Antworten unserer Eigentümer. Der Streit darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.
Der Staatsfonds IPIC aus Abu Dhabi hält derzeit 70 Prozent der Ferrostaal-Anteile und wollte eigentlich auch die restlichen 30 Prozent von MAN übernehmen. Glauben Sie, dass es nach der Korruptionsaffäre noch so kommen wird?
Stefan Breuer:Wir hoffen es jedenfalls. Ferrostaal benötigt eine klare Eigentümerstruktur. Daher hoffen wir, dass IPIC und MAN schnell wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Belastende Hängepartie
Aber es wurde doch schon monatelang verhandelt – ohne Ergebnisse.
Hahn:Aus unserer Sicht wäre es eine Überlegung wert, einen Mediator einzuschalten, um Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Die Hängepartie ist belastend für unser Geschäft. Daher muss sie rasch beendet werden.
Gerade Ferrostaal ist im kapitalintensiven Geschäft mit dem Bau großer Industrieanlagen auf die Unterstützung der Banken angewiesen. Dem Vernehmen nach laufen am 30. Oktober die bisherigen Vereinbarungen zwischen Ferrostaal und maßgeblichen Banken aus. Droht dem Unternehmen danach eine Schieflage?
Hahn:Wir stehen bei den Banken sicherlich unter besonderer Beobachtung. Wir haben die Sorge, dass die Kreditinstitute künftig mehr Sicherheiten verlangen, bevor sie uns mit Garantielinien versorgen. Das hätte direkte Folgen für unsere tägliche Arbeit, insbesondere unser internationales Projektgeschäft. Unser Geschäftsmodell ist in Gefahr. Daher ist es umso wichtiger, dass wir schnell wieder das Vertrauen unserer Partner zurückgewinnen.
Geriete Ferrostaal damit in eine existenzbedrohliche Situation?
Breuer:Ferrostaal ist ein Unternehmen mit guter Liquidität. Aber wir befürchten, dass die Möglichkeit, Projekte zu entwickeln und Geschäfte zu realisieren, bedingt durch die Restriktionen der Banken und die bisher fehlende Unterstützung der Anteilseigner künftig stark eingeschränkt werden könnte.
Eine faire Chance für die Zukunft
Sie gehen nun stärker in die Öffentlichkeit und legen die Probleme bei Ferrostaal offen. Warum?
Hahn: Wir möchten, dass die Beschäftigten von Ferrostaal fair behandelt werden. Wir haben den Eindruck, dass die Mitarbeiter, was das Thema Compliance anbetrifft, unter Generalverdacht gestellt wurden. Ja, es gab Versäumnisse in der Vergangenheit. Die Verfehlungen wurden und werden konsequent aufgearbeitet. Das Unternehmen hat dabei seine Lektion gelernt und hat sich neu aufgestellt. Ferrostaal muss daher auch eine faire Chance für die Zukunft bekommen.
Der Betriebsrat hat auch Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß zu einer Betriebsversammlung eingeladen. Hat er zugesagt?
Breuer: Wir hoffen es jedenfalls sehr, wir sind noch in der Terminabsprache.
Warum agiert die Politik so zurückhaltend?
Hahn: Natürlich will kein Politiker mit dem Thema Schmiergeld in Verbindung gebracht werden. Aber es geht auch um die Arbeitsplätze von 5300 Beschäftigten weltweit, etwa 700 davon am Firmensitz in Essen. Daher erhoffen wir uns auch Unterstützung der Politik, wenn es um die Lösung unserer Probleme geht.
Werden Sie auch die Landesregierung einschalten?
Hahn: Ja. Unser Ziel ist es, eine möglichst breite Unterstützung zu organisieren. Ferrostaal übernimmt als Export-Drehscheibe eine wichtige Funktion innerhalb der deutschen und der nordrhein-westfälischen Wirtschaft. Als international operierendes Handelshaus haben wir zahlreiche Mittelständler dabei unterstützt, ihre Produkte auf Auslandsmärkten zu verkaufen. Damit hat Ferrostaal über Jahre auch einen Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland Exportweltmeister wurde.
Arbeitsplätze sichern
Sind konkret Arbeitsplätze bei Ferrostaal gefährdet?
Breuer: Darüber möchten wir nicht spekulieren. Die Unternehmensleitung hat ja bereits Ende vergangenen Jahres den Abbau von rund 500 Stellen beschlossen. Dieser Prozess ist weltweit abgeschlossen und wurde insbesondere hier am Standort Essen sozialverträglich geregelt. Jetzt geht es darum, die bestehenden Arbeitsplätze durch ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu sichern.
Ihr Großaktionär IPIC hat die Investmentbank Morgan Stanley auf den Weg geschickt, um erneut die Strategie von Ferrostaal zu überprüfen. Beunruhigt Sie das?
Breuer: Wir begrüßen es zunächst einmal, wenn sich unsere Eigentümer intensiv mit dem Unternehmen auseinandersetzen.
Verlassen mittlerweile Beschäftigte das Unternehmen, da der Ruf von Ferrostaal angesichts der Schmiergeldaffäre gelitten hat?
Hahn: Wir haben im Moment eine höhere Fluktuationsrate als in früheren Jahren. Auch daher ist es wichtig, dass wir nach der Zeit der Unruhe bald einen Schlussstrich ziehen können. Ferrostaal lebt mehr als viele andere Unternehmen von seinen Mitarbeitern. Wir haben keine eigenen Produkte oder Patente. Wir sind ein Dienstleister. Unser Geschäft ist auf Vertrauen aufgebaut. (we)