Frankfurt. . Der Rücktritt von EZB-Chef Jürgen Stark wird von der Finanzbrache als Schwächung der EZB gesehen. Der Euro fiel auf den tiefsten Stand seit Ende Februar. Neuer Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank wird wohl Jörg Asmussen.
Nach der Ankündigung seines Rücktritts hat der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, einen eindringlichen Appell an die Politik gerichtet und drastische Maßnahmen zur Bewältigung der Euro-Schuldenkrise gefordert. Es gelte "auf europäischer Ebene die notwendige Stärkung des institutionellen Regelwerks, der Wirtschafts- und Währungsunion zu erreichen", schreibt Stark in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" (Montagsausgabe). Eine "weit reichende Reform der Entscheidungs- und Sanktionsmechanismen" sei nötig, um in Zukunft eine effektive Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitiken in den Euroländern sicherzustellen.
Starks Rücktritt hat nach Einschätzung von Investoren eine Lösung der Schuldenkrise weiter in die Ferne gerückt. Das Vertrauen in den Euro bröckelte spürbar ab, so dass die Gemeinschaftswährung am Freitag unter 1,37 Dollar auf den tiefsten Stand seit Ende Februar fiel. „Uneinigkeit in der EZB ist das Schlimmste, was dem Markt derzeit passieren kann“, sagte ein Händler. „Wir brauchen Beruhigung und keine neuen Konfliktherde.“
Stark war gegen Anleihenkäufe von Schulden-Staaten
Stark hatte sich gegen die Anleihenkäufe schuldengeplagter Eurostaaten ausgesprochen. Die Zentralbank hole damit das Eisen für die Politik aus dem Feuer und halte die klammen Länder künstlich über Wasser. Diese Einstellung hatte auch Axel Weber vertreten, der im Februar als Bundesbankpräsident zurückgetreten war. Seine konträre Position zu den Anleihenkäufen galt als ein Grund für seinen Rückzug. „Es ist ganz kritisch, wenn sich keiner mehr konträr aufstellt, vor allem in einer Phase, wo die EZB das Anleihenkaufprogramm diskutiert“, sagte Analyst Matthias Gloystein von der Bremer Landesbank. „Im Moment wird das am Markt so interpretiert, dass der Rücktritt die EZB schwächt.“
Der Euro, der am Nachmittag bis auf 1,3697 Dollar fiel, hatte bereits in Reaktion auf den Stopp des Zinserhöhungszyklus der Europäischen Zentralbank deutlich nachgegeben. „Der Zinsvorteil war in diesem Jahr der entscheidende Einflussfaktor für die Entwicklung des Euro“, sagte Währungsstratege Jane Foley von der Rabobank.
Jörg Asmussen wird Nachfolger von Stark
Zinssenkungen sind nach Einschätzung vieler Experten demnächst nicht zu erwarten. Sollten die Verwerfungen am Interbankenmarkt zunehmen, sei aber damit zu rechnen, dass die Zentralbank langfristige Refinanzierungsgeschäfte mit einer Laufzeit von zwölf Monaten wieder aufnehme.
Neuer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wird der bisherige Europa-Abteilungleiter Thomas Steffen. Das erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Freitag aus Koalitionskreisen. Er wird damit Nachfolger von Jörg Asmussen, der als neuer Chefvolkswirt zur Europäischen Zentralbank (EZB) wechselt. Steffen rückt damit auf eine entscheidende Position in der Bundesregierung bei der Bewältigung der Schuldenkrise in Europa.
Zahlreiche Stolpersteine bis zur Lösung der Schuldenkrise
Der Stark-Abgang trifft die EZB in einer schwierigen Phase. „Die Stolpersteine bleiben zahlreich“, schrieben die Analysten der UniCredit in einem Marktkommentar. Sie zählten auf, dass die Abstimmung über die Rettungssschirme EFSF und ESM sowie das zweite griechische Hilfspaket in den nationalen Parlamenten noch bevorsteht. Außerdem verwiesen sie darauf, dass die finnische Forderung nach bilateralen Sicherheiten nicht vom Tisch ist. Und die Unzufriedenheit der Geldgeber EZB, IWF und EU über die Reformfähigkeit Griechenlands nehme zu. „Die EZB ist weiterhin gezwungen, Aufgaben der Europäischen Währungsunion zu übernehmen - mangels funktionsfähiger Instrumente der Politik“, schrieben die UniCredit-Experten.
Der US-Dollar profitierte von der Euro-Schwäche und zog zu einem Korb aus sechs Währungen um knapp ein Prozent auf den höchsten Stand seit einem halben Jahr an. „Im Moment ist der Euro angeschlagener als der Dollar, und die Obama-Rede gibt dem Dollar auch etwas Rückenwind“, sagte ein Händler. Der von US-Präsident Barack Obama vorgestellte Plan zur Ankurbelung der Wirtschaft könnte bei erfolgreicher Implementierung das Wachstum der weltgrößten Volkswirtschaft um 1,6 Prozentpunkte verstärken, rechneten die Analysten der Societe Generale vor. Allerdings bezweifelten viele Experten, dass das Projekt wie vorgestellt auch umgesetzt wird.
Am Rentenmarkt waren die „sicheren Häfen“ gefragt. Der richtungsweisende Bund-Future stieg um 1,23 Punkte auf ein Kontrakthoch von 137,68 Zählern. Zehnjährige Bundesanleihen warfen weniger als 1,7 (spätes Vortagesgeschäft: 1,838) Prozent ab.
SPD-Chef Gabriel wertet Rücktritt von Stark als "dramatisches Signal"
Spürbar war das steigende Misstrauen gegenüber Griechenland. Die Rendite zehnjähriger Papiere stieg auf 20,64 (20,223) Prozent. Auch italienische und spanische Papiere wurden abgestoßen. Deren Rendite stieg auf 5,44 beziehungsweise 5,21 Prozent.
Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel wertet den angekündigten Rücktritt des Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, als "dramatisches Signal". Dies zeige auch, wie falsch die Politik der vergangenen Monate gewesen sei, sagte Gabriel am Samstag im Deutschlandfunk. Kritikpunkt sei aber nicht die EZB, sondern zu kritisieren seien die Staats- und Regierungschefs, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Merkel habe "zugeguckt", anstatt zu handeln und etwa den Bankensektor zu regulieren.
Die EZB sei als "Nothelfer" eingesprungen und zur Beteiligten der Finanzkrise geworden. Durch den Ankauf von Staatsanleihen sei sie Gläubiger und könne nicht mehr die neutrale Funktion als Währungshüterin einnehmen, "ihre wichtigste Aufgabe", sagte Gabriel. (rtr/afp/dapd)