Essen. . Im Kampf gegen eine neue Wirtschaftskrise prallen die Strategien von Amerikanern und Europäern frontal aufeinander. Die einen wollen sparen, die anderen empfehlen, neue Schulden zu machen, um Konjunkturprogramme aufzulegen. Die sollen der Wirtschaft auf die Beine helfen.

Die vergangene war die Woche der Experten. Die Elite der Wirtschaftsforschung traf sich auf der Insel Lindau – 17 Nobelpreisträger, von denen Hunderte Journalisten wissen wollten, wie die Welt einer neuen Krise entgehen könne.

An Antworten versuchten sich im Bodensee auch Nichtökonomen wie Bundespräsident Christian Wulff und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Über dem etwas größeren Teich berieten zeitgleich die Zentralbanker und der Internationale Währungsfonds, was zu tun sei. Doch klarer sieht die Welt nach all den Expertengipfeln nicht.

Denn in Summe ergaben die Ratschläge ein einziges, großes Mit-dem-Finger-auf-den-andern-Zeigen. Amerikaner warfen Europäern vor, sich kaputt zu sparen; Europäer den Amerikanern, mit ihrer andauernden Gelddruckerei nur die nächste Blase aufzupusten.

Allerdings brachen die Fronten auf: So empfahl die französische IWF-Chefin Christine Lagarde den USA indirekt neue Konjunkturprogramme und der US-Ökonom Edmund Phelps den Europäern, die Steuern zu erhöhen, um ihre Schulden abzubauen.

Immer neue, harte Sparprogramme

Im Kern bleibt aber der alte Gegensatz zwischen Amerikanern und Europäern bestehen: Die USA investieren seit Ronald Reagan gegen jede Krise an – und zwar auf Pump, weil Steuererhöhungen von den Republikanern blockiert werden. Europa setzt auf solide Haushalte und sieht sich jetzt in der Falle, weil einige Euro-Länder sich nicht daran gehalten haben. Doch in der Reaktion darauf setzen die Europäer mehrheitlich auf neue, harte Sparprogramme.

Da Amerika am Rande einer Rezession steht und Europa vor der Zerreißprobe, gibt es keine Antwort darauf, welche Strategie die bessere ist. Und auch nicht darauf, was Merkel und Obama meinten, als sie eine bessere Zusammenarbeit verabredeten. So geschehen in einem Telefonat zwischen US-Präsident und Kanzlerin am Wochenende. Argumente beider Seiten finden sich hier.

Für Wachstum auf Pump:

Joseph Stiglitz (Nobelpreisträger 2001) vertritt die radikalste These: Wer keine Schulden aufnimmt, ist dumm. „Ich kapiere einfach nicht, warum es in Europa Länder gibt, die freiwillig Geld sparen. Ihre Schuldenbremsen sind der falsche Weg – je rigider, desto falscher“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sein Credo: Wachstum ist alles. Für die USA sei nicht die Frage, ob es zu einer Rezession kommt oder nicht. „Die US-Wirtschaft benötigt ein Wachstum von drei bis vier Prozent, um Beschäftigung aufzubauen.“ Um das zu erreichen, fordert er neue, gigantische Konjunkturprogramme wie 2008/2009.

Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff hält es für notwendig, die Märkte massiv mit Geld zu fluten. Das Ziel der Europäer, die Inflation niedrig zu halten, sei überholt. Der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) plädierte in der französischen Zeitung Libération für Teuerungsraten von vier bis sechs Prozent. Gleichzeitig müssten die Industriestaaten zugeben, dass sie ihre Schulden nie komplett zurückzahlen könnten.

Selbst die in der europäischen Stabilitätsphilosophie verankerte französische IWF-Chefin Christine Lagarde fordert Amerikaner und Europäer auf, den Geldhahn noch weiter aufzudrehen. Sie sieht besonders die USA in der Pflicht, ihre Wirtschaft in Gang zu bringen und forderte Washington zum sofortigen Handeln auf, um Wachstum zu erzeugen. Sie warnte die Industriestaaten vor zu rigiden Sparprogrammen.

Weiter Geld in die Märkte pumpen will auch Ben Bernanke, Chef der amerikanischen Notenbank Fed. Zwar kündigte er noch keine konkreten Schritte an, betonte aber, die Fed sei bereit, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln einzugreifen. Das sind direkte Konjunkturspritzen und Flutung der Geldmärkte durch riesige Anleihenankäufe.

Für Schuldenabbau:

Edmund Phelps (Nobelpreisträger 2006) sieht in der hohen Verschuldung der USA und des Euro-Raumes das größte Problem. Er empfiehlt den Vereinigten Staaten, ihre Steuern deutlich zu erhöhen, damit Washington mehr Geld einnimmt. Er denkt vor allem an höhere Steuern für Reiche, aber auch an höhere Mehrwertsteuern, die jeden treffen würden.

Myron Scholes (Nobelpreisträger 1997) empfiehlt Europa vor allem, die Steuerpolitik der 17 Euroländer anzugleichen. „Wenn die aktuelle Politik des Durchwurstelns andauert, steht Europa und den Vereinigten Staaten das Schicksal Japans, eine verlorene Dekade, bevor“, sagte er. Die Euro-Zone könne nur Bestand haben, wenn die Mitgliedsstaaten endlich zusammenarbeiteten und etwa Steuern in Europa zentral erhoben würden.

Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) widerspricht IWF-Chefin Lagarde. Ihrer Forderung nach neuen Geldspritzen durch die Notenbanken hielt er die Bedeutung der Preisstabilität entgegen. Sie sei die Voraussetzung für ein gesundes Wirtschaftswachstum. Indirekt kritisierte er damit die Null-Zins-Politik der US-Notenbank Fed, die für ungesunde Wachstumsblasen verantwortlich gemacht wird. So etwa die Immobilienblase in den USA, die als Auslöser der Finanzkrise 2008 gilt.

Für eine rigide Sparpolitik der Krisenländer und gegen EZB-Geldspritzen spricht sich Thomas Straubhaar aus, Chef des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts. Die Politik müsse endlich langfristiger denken und handeln. Er hält nichts davon, die Märkte mit hektischen Reaktionen beruhigen zu wollen. Denn Straubhaar hat seine frühere Überzeugung, die Märkte spiegelten die Realität wider, nach der Finanzkrise 2008 verworfen. Er glaube das heute nicht mehr, die Märkte versagten häufiger, als dass sie recht behielten.