Paris/Madrid. Mit einem Verbot von Aktien-Leerverkäufen versuchen Frankreich, Italien, Spanien und Belgien die Spekulanten zu stoppen. Doch Experten sehen allenfalls einen kurzfristigen Effekt. Spekulanten würden auf andere Börsenplätze ausweichen.
Ein Verbot spekulativer Aktienstrategien in vier Euro-Ländern soll dem Ausverkauf von Finanztiteln Einhalt gebieten. Frankreich, Italien, Spanien und Belgien, deren Bankaktien an den Börsen zuletzt besonders unter Beschuss geraten waren, untersagten den Leerverkauf von Finanzwerten. Tatsächlich legten am Freitag die meisten Aktien von Banken und Versicherern in Europa zu. Experten bezweifeln aber, ob die Maßnahmen auf Dauer Wirkung zeigten. Spekulanten wichen einfach auf andere Börsenplätze aus, etwa nach London.
Die neue EU-Finanzmarktaufsicht ESMA erklärte, Leerverkäufe seien an sich zwar zulässig, stellten aber in Verbindung mit der Verbreitung von Gerüchten einen eindeutigen Marktmissbrauch dar. Sie hat selbst keine Handhabe und kann das Vorgehen nationaler Aufseher nur koordinieren.
Keine Pläne für eine Ausweitung auf andere Länder
Die französische Aufsicht AMF kündigte ein 15-tägiges Verbot von Leerverkäufen für die Aktien von elf Banken und Versicherern an. Dazu zählen Societe Generale, BNP Paribas, Credit Agricole und AXA. In Spanien sollen 16 Finanztitel über 15 Tage geschützt werden, dazu zählen die Großbanken Santander und BBVA. Die belgische Behörde will Leerverkäufe von vier Finanzwerten für eine unbegrenzte Periode unterbinden. In Italien sind die Aktien von 29 Banken und Versicherern betroffen. Das Verbot gilt ebenfalls für 15 Tage. An der Athener Börse sind Leerverkäufe nach massiven Kursverlusten für zwei Monate verboten.
ESMA-Chef Steven Maijoor sagte, es gebe keine Pläne für eine Ausweitung auf andere Länder, wollte dies allerdings auch nicht ausschließen. Das Leerverkaufsverbot werde nicht auf ewig gelten.
Gabriel will alles verbieten
Experten zufolge dienen gerade Finanzwerte als Vehikel für Spekulationen auf die wirtschaftliche Stärke eines Landes. „Wenn man auf Verluste französischer Staatsanleihen wetten will, sind Leerverkäufe französischer Banken sehr vielversprechend“, sagte ein Risiko-Manager einer großen europäischen Bank.
„Einige Behörden haben entschieden, Leerverkaufsverbote in ihren Ländern einzuführen oder bestehende auszuweiten, um den Nutzen aus der Verbreitung falscher Gerüchte zu begrenzen oder gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen“, erklärte die ESMA. In Deutschland gilt seit dem vergangenen Jahr eine Meldepflicht für alle Leerverkäufe der wichtigsten zehn Versicherer- und Bankaktien. Ungedeckte Leerverkäufe sind in Deutschland für alle Aktien und für Staatsanleihen der Euro-Länder ganz verboten. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte im Deutschlandradio Kultur, Wetten auf Finanzkrisen „generell in Europa und nach Möglichkeit international“ zu verbieten.
Bei Leerverkäufen leihen sich Investoren Aktien und verkaufen diese, um sie zu einem niedrigeren Kurs zurückzukaufen und dem Verleiher zurückzugeben. Das kann Kursausschläge einer Aktie drastisch beschleunigen. Bei ungedeckten Leerverkäufen haben die Investoren die verkauften Papiere sich nicht einmal geliehen, was die Risiken noch erhöht.
Zahnloser Tiger
Experten und Investoren halten das Verbot zumeist für einen zahnlosen Tiger. Die Spekulanten könnten leicht auch auf andere Börsenplätze ausweichen. „Das ist einer dieser Schritte, zu denen Politiker greifen, wenn sie keine anderen Pfeile mehr im Köcher haben“, kritisierte Regulierungsspezialist James Angel von der Georgetown University in Washington. „Das streut dem Markt Sand in die Augen und zeigt der Welt, dass ihre Führer keine Ahnung haben, was vor sich geht.“ Als Leerverkäufe auf Finanztitel nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman 2008 für drei Wochen fast überall verboten worden waren, bremste das zwar die Leihe von Wertpapieren, den Kursverfall konnte es nicht aufhalten.
Anders als gewöhnlich sind es diesmal weniger Hedgefonds, die mit Leerverkaufs-Strategien auf einen Kursverfall wetten. Vielmehr sichern sich normale Investmentfonds so gegen Verluste ab. Sie warteten Experten zufolge darauf, dass die Politik einen überzeugenden Plan zur Rettung des Euro vorlege. „Ein Pflaster auf eine Wunde zu kleben, die mit vielen Stichen genäht werden müsste, löst das Problem nicht“, sagte Pedro de Noronha, Partner beim Hedgefonds Noster Capital. „Das kratzt nur an der Glaubwürdigkeit dessen, der die Idee mit dem Pflaster hatte.“ Durch das Verbot könnten Investoren sogar zum Verkauf ihrer Aktien gezwungen werden, was den Kursverfall beschleunige, warnten Analysten. Der Markt könne austrocknen, was die Kursschwankungen noch vergrößere.
Ion-Marc Valahu vom Genfer Fondsmanager ClairInvest sagte: „Kurzfristig wird das die Sache etwas beruhigen. Aber wenn man sich anschaut, was bei Lehman in der Krise passiert ist, half es nicht viel. Schließlich kann man immer noch Futures und Optionen leer verkaufen.“ (rtr)