Essen. . Die Koalition will mit ihren Steuersenkungen Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten. Aber hilft ihnen das überhaupt? Oder wäre eine Absenkung der Sozialbeiträge nicht effektiver? Die Experten streiten, wie der Mittelstandsbauch abspeckt.
Schwarz-Gelb will die Steuern und Abgaben senken. Über das Wie schweigt die Koalition noch. Doch es ist entscheidend dafür, ob die Regierung ihr Versprechen einhält, vor allem kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Die FDP legt den Schwerpunkt auf Steuersenkungen, um ihr altes Wahlversprechen einzulösen. Doch die sind am wenigsten geeignet, um kleine Einkommen zu entlasten.
„Wenn man die Nettoeinkünfte von Geringverdienern erhöhen will, muss man die Sozialabgaben senken“, sagt Rainer Kambeck, Experte für öffentliche Finanzen am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Von Steuersenkungen würden vor allem mittlere und hohe Einkommen profitieren. Die Frage sei eben, ob man nur Einkommensteuerzahler oder allgemein Personen und Familien mit niedrigem Einkommen entlasten wolle.
Gutverdiener sparen das Dreifache
Um die Wirkung von Steuersenkungen zu verdeutlichen, genügt ein Blick zurück: 2009 hat die Große Koalition den Eingangssteuersatz von 15 auf 14 Prozent gesenkt und den Freibetrag von 7664 auf 7834 Euro erhöht. Dadurch sparte ein Geringverdiener mit 10 000 Euro Jahreseinkommen 51 Euro Steuern im Jahr. Gutverdiener sparten das Dreifache: 150 Euro.
Nichts gespart haben jene gut fünf Millionen Berufstätige in Deutschland, die gar keine Steuern zahlen, weil sie zu wenig verdienen. Nimmt man sämtliche Haushalte zum Maßstab, also auch die Rentner und Arbeitslosen, so zahlt nur jeder Zweite überhaupt Einkommensteuern. Die andere Hälfte erreicht man mit einer Steuersenkung nicht.
Sozialbeiträge wirken breiter
Viel eher und breiter würden sinkende Sozialbeiträge wirken. Die zahlen auch Rentner und zwar wie Berufstätige vom ersten Cent an. Entsprechend viel lässt sich sparen. Wer 1000 Euro im Monat verdient, würde durch eine Senkung der Sozialbeiträge um einen Prozentpunkt um zehn Euro im Monat entlastet.
Weil sich die Sozialbeiträge am Einkommen bemessen, würden auch hier Gutverdiener am meisten sparen. Doch eine Senkung der Sozialbeiträge müsste aus Steuern finanziert werden, würde also von jenen getragen, die viel verdienen. Die oberen zehn Prozent zahlen mehr als die Hälfte der Einkommensteuern. Deshalb will die SPD sinkende Sozialbeiträge durch einen höheren Spitzensteuersatz finanzieren.
„Steuer-Willkür“
„Steuerpolitische Willkür“ nennt das Michael Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Eine Steuerfinanzierung der Sozialkassen müsse man auch begründen. Die Rentenkasse erhalte für versicherungsfremde Leistungen bereits 80 Milliarden Euro an Steuerzuschüssen, für die Krankenkassen seien 14 Milliarden fest eingeplant. „Ich wüsste nicht, welchen Grund man finden will für einen noch höheren Steueranteil.“
Kambeck zweifelt zudem an der Machbarkeit des SPD-Vorschlags. Ein höherer Steuersatz bedeute nicht unbedingt höhere Einnahmen. „Gerade die hohen Einkommen dürften mehr Möglichkeiten haben, Steuern zu vermeiden.“
Teurer als sieben Milliarden
Beide Ökonomen halten aber auch das Versprechen der Regierung für kaum einlösbar, die Mittelschicht spürbar zu entlasten. Die FDP will vor allem den Mittelstandsbauch abspecken. Gemeint ist, dass die Steuertarife so schnell steigen, dass von Lohnerhöhungen im mittleren Einkommensbereich wenig übrig bleibt. In Extremfällen kann eine Lohnerhöhung sogar netto zu einem Minus führen. Das zu ändern, sei deutlich teurer als die in Aussicht gestellten sieben bis neun Milliarden.
„Das kostet 24 Milliarden“, sagt Hüther. Er schlägt daher eine Reform in drei Schritten zu je acht Milliarden Euro vor. Kambeck hält eine Senkung des Soli-Zuschlags für leichter umsetzbar. Weil dies eine reine Bundessteuer sei, könne die Regierung dies ohne den Bundesrat beschließen.