Essen. . Seit Jahren gibt es Ärger über zu wenig Wettbewerb auf der Schiene. Europa sucht in Nordrhein-Westfalen nach unzulässigen Subventionen. Und bei der Deutschen Bahn fürchtet man, dass Konkurrenten künftig ein größeres Stück vom Kuchen abgekommen könnten.

Vor sechs Wochen etwa, sagen Eingeweihte, habe die EU-Kommission wieder einen Fragebogen verschickt. Über Umwege gelangte er zum Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Grund für die Postsendung: die Suche nach unzulässigen Subventionen.

Im Fokus steht der sechs Milliarden Euro schwere Verkehrsvertrag, abgeschlossen zwischen VRR und Deutsche Bahn Regio im Jahr 2004. Sollte die EU feststellen, dass die Bahn zu viel kassiert hat, müsste sie das Geld zurückgeben. Die Rede ist von vielen Millionen Euro. Wann Brüssel entscheiden wird, ist offen. „Zu laufenden Verfahren äußern wir uns nicht“, sagt eine Sprecherin der Kommission. Die Bahn gibt sich gelassen. Wirtschaftsprüfer hätten die Verträge untersucht und keine verbotenen Subventionen gefunden, teilt der Konzern mit.

Nordrhein-Westfalen ist Mittelpunkt eines seit Jahren tobenden Streits geworden: Es geht um den Wettbewerb im Schienenverkehr und die Frage, ob der Staatskonzern Bahn die private Konkurrenz benachteiligt. Das behaupten ihre Konkurrenten, die sich in diversen Interessenverbänden organisiert haben. Zuletzt kritisierten sie die Verhältnisse im „Wettbewerber-Report 2010/2011“. Die Liste der Beschwerden füllte 176 Seiten. Die Bahn widersprach und lieferte Zahlen, die beweisen sollten: Der Markt funktioniert. Es wiederholte sich ein bekanntes Ping-Pong-Spiel: Angriff gegen Verteidigung.

„Die Luft für die Bahn wird dünner“

Wie es tatsächlich um den Wettbewerb im deutschen Schienenverkehr bestellt ist, interessiert nicht nur Lobbyisten und Konzerne, sondern auch die Europäische Kommission. Sie hat die Bahn und deren Besitzer Deutschland gleich mehrfach auf dem Kieker. Neben den Beihilfeverfahren in NRW sowie in Berlin und Brandenburg läuft seit Juni 2010 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik. Dabei geht es vor allem um die Verflechtung von Bahn-Konzern und Schienennetz. Weil die DB ihre Trassen nicht nur vergebe, sondern auch bestimme, wie viel Geld deren Nutzer zahlen müssen, werde Wettbewerb erschwert, sagt die Kommission.

„Die Luft für die Bahn wird dünner“, meint Engelbert Recker, Hauptgeschäftsführer des Interessenverbandes Mofair. In ihm haben sich die großen DB-Wettbewerber im Personennahverkehr zusammengeschlossen. Der Bahn und ihrer von der Politik gestützten „systematischen Marktverstopfung“ gehe es an den Kragen. Was Recker optimistisch stimmt, sind die Spurensuche der EU und ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Dieser hatte im Februar die Direktvergabe von Leistungen des VRR an die Bahn aus 2009 für rechtswidrig erklärt. „Vergaben ohne Wettbewerb sind Geschichte“, sagt Recker.

110 neue Vergabeverfahren

Interessant ist die Entwicklung vor allem für den Personennahverkehr. Laut „Süddeutscher Zeitung“ werden bis 2015 etwa 110 Vergabeverfahren erwartet. Bis 2018 soll der gesamte, bisher zu über 80 Prozent von der Deutschen Bahn dominierte Nahverkehr neu ausgeschrieben werden. Dabei geht es um einen riesigen Markt. Der Staat finanziert den Nahverkehr mit über fünf Milliarden Euro pro Jahr. Bundesländer und Verkehrsverbände kaufen dafür Leistungen von Bahn und Wettbewerbern ein. Sind Direktvergaben tabu, steigen die Chancen privater Anbieter, ein größeres Stück vom Kuchen abzubekommen.

Einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ zufolge hat die DB sehr wohl Respekt vor dem, was da kommen könnte. Das Magazin zitiert aus internen Papieren, die dokumentieren sollen: Die DB sehe die Gewinne aus dem Nahverkehr gefährdet. 2009 soll sie damit 870 Millionen Euro vor Steuern und Zinsen (Ebit) verdient haben. Bereits 2014 könnte das Ergebnis um etwa 30 Prozent gesunken sein.

Konsequente Bayern

Branchenexperten erwarten eine Wettbewerbswelle im Nahverkehr ab 2012 – ausgelöst vom BGH-Urteil, von Gesetzgebungsvorschlägen der EU und Erfahrungen aus Bayern. Seit 2006 werden dort freiwerdende Netze konsequent ausgeschrieben. Bayern sparte Kosten und erweiterte das Angebot. „Wettbewerb sorgt für mehr Qualität, bessere Züge, bessere Verbindungen“, sagt Engelbert Recker. Am Ende werde sich dieser durchsetzen. „Es ist aber noch ein langer, langer Weg.“