Düsseldorf. . Handwerk und Industrie in NRW lehnen das geplante Tariftreuegesetz von Rot-Grün ab, auch wegen der Pflicht zur Frauenförderung. Das „Tariftreue- und Vergabegesetz“, das spätestens Anfang 2012 in Kraft treten soll, verlangt von Firmen ab einem Auftragsvolumen über 20.000 Euro künftig die Einhaltung von Mindestlohn- und Ökostandards.
Das geplante Tariftreue-Gesetz der rot-grünen Landesregierung alarmiert die NRW-Wirtschaft. Entschiedene Ablehnung kommt vor allem vom Handwerk.
Wenn Behörden, Städte und kommunale Tochtergesellschaften künftig öffentliche Aufträge nur noch an Firmen vergeben dürfen, die ihren Mitarbeitern mindestens einen Stundenlohn von 8,62 Euro zahlen und verschiedene ökologisch-soziale Kriterien erfüllen, fürchtet Handwerks-Präsident Wolfgang Schulhoff eine „staatliche Lohnfestsetzung durch die Hintertür“. Er lehne überdies bürokratische Auflagen wie ökologische Nachhaltigkeit oder das Erfordernis einer betrieblichen Frauenförderung „als vergabefremde Kriterien“ ab, sagte Schulhoff dieser Zeitung.
Das „Tariftreue- und Vergabegesetz“, das Dienstag vom rot-grünen Kabinett beschlossen wurde und spätestens Anfang 2012 in Kraft treten soll, verlangt von Firmen ab einem Auftragsvolumen über 20 000 Euro künftig die Einhaltung von Mindestlohn- und Ökostandards. Mittelständler mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen sich bei einem Beschaffungsauftrag von mehr als 50 000 Euro oder einer Bauleistung über 150 000 Euro sogar zur betrieblichen Frauenförderung verpflichten.
FDP: „Wirtschaftsfeindliches Bürokratie-Monstrum“
Der FDP-Landtagsabgeordnete Dietmar Brockes kritisierte ein „wirtschaftsfeindliches Bürokratie-Monstrum“. NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider verteidigte dagegen den Gesetzentwurf als „gelungen, weil die öffentliche Hand ihrer Vorbildfunktion bei der Mitarbeiterentlohnung gerecht wird und die Auftragnehmer gleichzeitig nicht bürokratisch überfrachtet werden“. Die Unternehmen könnten mit den verabredeten tariflichen, aber auch mit den ökologisch-sozialen Anforderungen „gut leben“, sagte Schneider dieser Zeitung.
Vertreter des Mittelstands warnen allerdings seit Wochen davor, dass Kleinbetriebe durch übertriebene Nachweispflichten von kommunalen Aufträgen ausgeschlossen werden könnten.
Städte gespalten
Auch der Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung der Unternehmensverbände, Luitwin Mallmann, beklagte einen „Eingriff in die Tarifautonomie“. Die zahlreichen Erklärungs- und Nachweispflichten würden außerdem zu erheblichem bürokratischen Zusatzaufwand führen.
In den Stadtverwaltungen wirkt die Stimmung widersprüchlich. Einerseits wünscht man eine Abkehr vom starren Billigprinzip, um auch örtliche Gewerbesteuerzahler besser bei Auftragsvergaben bedienen zu können. Anderseits gibt es Sorgen, ähnlich wie zu Zeiten des 2006 abgeschafften letzten Tariftreuegesetzes mit Kontrollpflichten überfrachtet zu werden.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Rainer Schmeltzer bewirbt das Gesetz als „Schutz der heimischen Wirtschaft“. Das bislang geltende Billigprinzip bei öffentlichen Ausschreibungen habe nicht nur tariftreue Unternehmen benachteiligt, sondern durch zahlreiche Reklamationen letztlich zu unnötigen Kostensteigerungen geführt. Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes werde geprüft, ob eine Verteuerung bei öffentlichen Aufträgen eingetreten sei, verspricht Schmeltzer.
Landesregierung plant eigene Prüfbehörde
Die Landesregierung will die Einhaltung der neuen Vergaberegeln offenbar nicht mehr von den Rathäusern kontrollieren lassen, sondern eine eigene Prüfbehörde beim Wirtschaftsministerium einrichten. Diese soll stichprobenartig und nach Hinweisen die Einhaltung so genannter Verpflichtungserklärungen der Firmen gegenchecken. Bei Verstößen drohen Strafzahlungen von bis zu zehn Prozent des Auftragvolumens.
Eine Kollision des NRW-Gesetzes mit EU-Recht sieht der renommierte Vergabespezialist Jan Byok von der Düsseldorfer Kanzlei Bird & Bird nicht. Seit Jahren sei eine Politisierung des europäischen Vergaberechts zu beobachten, so dass neben dem reinen Wirtschaftlichkeitsgebot heute ökologische und soziale Kriterien Niederschlag fänden. Insofern sei der NRW-Vorstoß rechtlich wohl „grundsätzlich in Ordnung“, sagte Byok auf Anfrage.