Essen. . Bundespräsident Christian Wulff hat überraschend seinen für Samstag geplanten Besuch des neuen Stahlwerks von Thyssen-Krupp in Brasilien abgesagt. Er begründete den ungewöhnlichen Schritt mit der angekündigten Konzern-Umstrukturierung.

Die plötzliche Absage von Bundespräsident Christian Wulff, das neue brasilianische Thyssen-Krupp-Stahlwerk bei Rio de Janeiro zu besuchen, sorgt in dem Essener Konzern nur für Kopfschütteln.

Wulff, der sich mit einer Wirtschaftsdelegation in Lateinamerika aufhielt, wollte die Reise mit einem Besuch im brasilianischen Stahlwerk abschließen. Doch dann veröffentlichte Thyssen-Krupp in der Nacht zu Freitag seine tiefgreifenden Konzern-Umbaupläne, von denen weltweit 35 000 Beschäftigte betroffen sind.

Der Bundespräsident zeigte sich überrascht und sagte kurzentschlossen die Werksbesichtigung in der Nähe von Rio de Janeiro ab. Über die Begründung berichtet die „Deutsche Welle“. Danach soll Wulff die „kurzfristig angekündigten umfangreichen Umstrukturierungen im Thyssen-Krupp-Konzern mit noch nicht absehbaren Auswirkungen“ als Argument angeführt haben.

Keine Vorabinformation möglich

Offiziell bedauerte ein Thyssen-Krupp-Sprecher die Besuchsabsage. Im Umfeld des Konzerns ist aber Kritik am Verhalten Wulffs hörbar: Der Stab des Präsidenten sei sehr wohl über die nächtliche Strategieentscheidung des Konzernvorstands in Kenntnis gesetzt worden, die am 13. Mai dem Aufsichtsrat vorgelegt wird. Eine Vorabinformation des Bundespräsidenten sei aber nach dem Wertpapierhandelsgesetz nicht möglich gewesen.

Die Sorgen des Staatsoberhaupts über möglicherweise wegfallende Arbeitsplätze sind dabei offenbar größer als in der Belegschaft. „Es gab kaum Reaktionen bei den Kollegen“, sagte Konzernbetriebsratsvorsitzender Thomas Schlenz dieser Zeitung.

Betriebsrat „etwas überrascht“

Dass Bundespräsident Wulff seinen Besuch im brasilianischen Stahlwerk absagte, hat den Thyssen-Krupp-Betriebsratschef „etwas überrascht“. Schlenz: „Hier geht es nicht um Arbeitsplatzabbau, sondern um Umstrukturierungen. Ich begrüße aber, dass ein Politiker die Sorgen der betroffenen Beschäftigten aufgreift und ernst nimmt.“

Irritiert zeigte sich Schlenz auch über die Berichterstattung in manchen Medien. So schrieb die „Bild“-Zeitung, Thyssen-Krupp plane, weltweit 35 000 Mitarbeiter zu „entlassen“. Auch im WDR-Radio war von „Massenentlassungen“ die Rede. „Das ist so nicht richtig“, betont Schlenz.

Beschäftigungs-Garantie

Der Betriebsrat gehe heute „gut vorbereitet“ in die Gespräche mit der Thyssen-Krupp-Führung. Darin will er eine „Beschäftigungs- und Einkommensgarantie“ für alle Betroffenen aushandeln. Es gebe vom Vorstand „Signale für qualifizierte Gespräche“. Die Basis heute sei eine völlig andere als 2009, als Thyssen-Krupp betriebsbedingte Kündigungen, zu denen es bislang nicht kam, nicht ausschloss.

Der Konzern hatte in der Nacht zu Freitag angekündigt, das Edelstahlgeschäft auszugliedern und das Fahrzeuggeschäft verkaufen zu wollen.

5,2-Milliarden-Euro-Investition

Es ist wohl das erste Mal, dass ein deutsches Staatsoberhaupt einen Besuch im Ausland aus innenpolitischen Gründen abbricht. Dabei hatte Wulff das neue Thyssen-Krupp-Stahlwerk in Brasilien auf seiner Reise immer wieder als vorbildlich gelobt.

Auch dem Essener Konzern wäre daran gelegen gewesen, sich mit dem Präsidenten am Hochofen zu schmücken. Mit 5,2 Milliarden Euro ist das Stahlwerk die größte Einzelinvestition der Unternehmensgeschichte. Doch war der Bau auch von Pannen und Verzögerungen begleitet. Die Anlage wurde nicht nur erheblich teurer als geplant. Nach der Inbetriebnahme musste Thyssen-Krupp Strafen in Millionen-Höhe zahlen und sich bei den Anwohnern entschuldigen, dass beim Anfahren eine Staubwolke nieder ging.