Essen. . Ab 1. Mai können sich Arbeiter aus acht osteuropäischen Staaten in Deutschland ohne Beschränkungen Arbeit suchen. DerWesten sagt, wie sich das auf den Arbeitsmarkt in NRW auswirken wird.
Am 1. Mai fallen die Schranken in der EU tatsächlich. Dann sind auch die Grenzen bei der Arbeitssuche weg, und Arbeitnehmer aus Osteuropa dürfen sich in ganz Europa Arbeit suchen. Bislang war das nur mit Genehmigung möglich. Die so genannte Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt für die Länder Polen, Slowenien, Tschechien, Slowakei, Ungarn und die baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland. Für Bulgarien und Rumänien gilt die Übergangsfrist noch länger – bis Ende 2013.
Nehmen die Osteuropäer als billige Arbeitskraft den Menschen hier die Arbeit weg? Drücken sie die Löhne? DerWesten hat bei Experten nachgefragt, was die Öffnung des Arbeitsmarktes für NRW bedeutet.
Wie viele werden kommen?
Die Bundesagentur für Arbeit erwartet bundesweit bis zu 140.000 Zuwanderer pro Jahr. Auf dieser Basis rechnet NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider damit, dass es in NRW rund 30.000 sein könnten. Er revidierte am Mittwoch damit seine früheren Aussagen, wo er noch von 45.000 Zuwanderern nach NRW ausgegangen war.
Schon heute sind im Jahr über 40.000 Arbeitnehmer aus Osteuropa in NRW tätig – meist Saisonkräfte. Sie arbeiten derzeit noch mit Genehmigung der Arbeitsagenturen. Auch das Statistische Landesamt geht in seinen Prognosen davon aus, dass es ab 2011 zu einer verstärkten Zuwanderung nach NRW aus dem Ausland kommt.
Wer wird nach NRW kommen?
Migrationsforscher wie Thomas Bauer vom Wirtschaftsforschungsinstitut RWI in Essen erwarten, dass es meist sehr gut qualifizierte Arbeitskräfte sein werden.
In welchen Branchen wird es Zuwanderung geben?
Vor allem Pflegekräfte und Handwerker aus Osteuropa werden sich wohl hierzulande auf dem Arbeitsmarkt verdingen. Das sind zumindest Ergebnisse aus der Migrationsforschung in anderen Ländern. Aber auch mit Ärzten und zusätzlichen Saisonkräften in der Landwirtschaft und Gastronomie rechnen Experten. Die Zeitarbeitsbranche könnte ebenfalls dazu zählen.
Nehmen die Osteuropäer den Deutschen Arbeit weg?
Da sind die Arbeitsmarktexperten unterschiedlicher Meinung. Während Carmen Tietjen vom Deutsche Gewerkschaftsbund in NRW zumindest die Gefahr sieht, meint Migrationsforscher Bauer vom RWI: „Zuwanderung hat nur geringe Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Löhne der Einheimischen.“ Zuwanderer würden sich kaum Bereichen zuwenden, in denen schlecht bezahlt wird und es wenig Arbeit gibt. Deutschland zählt längst nicht mehr zu den Ländern mit den üppigsten Löhnen.
Braucht Deutschland nun einen flächendeckenden Mindestlohn?
NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) fordert faire Regeln auf dem gesamteuropäischen Arbeitsmarkt. Dazu gehört für ihn ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn. Er erwartet ansonsten einen ruinösen Preiswettbewerb zu Lasten der heimischen Betriebe und Beschäftigten. Thomas Bauer vom RWI hält dagegen nichts von Rufen aus dem Gewerkschafts- und Arbeitgeberlager nach einem Mindestlohn. „Ein Mindestlohn dient nur dazu, das Lohnniveau oben zu halten, um die Konkurrenz auszuschalten.“
Im Übrigen gibt es in vielen Branchen bereits eine Lohnuntergrenze - eben zum Schutz vor den billigen Arbeitskräften aus Osteuropa. So im Baugewerbe, im Pflegebereich, bei der Zeitarbeit oder bei den Gebäudereinigern.
Kann die Zuwanderung den deutschen Fachkräftemangel beseitigen?
In der neuen Öffnung des Arbeitsmarktes liegen auch Chancen. In vielen Bereichen der deutschen Wirtschaft ist der Fachkräftemangel bereits zu spüren - u.a. in der Pflege. Deshalb bewertet der RWI-Forscher Bauer den zu erwartenden Zustrom als positiv. Gleichzeitig warnt er aber: „Es werden nicht genug Arbeitskräfte kommen, um den Fachkräftemangel in Deutschland zu beseitigen.“ Das hat sich auch bei den Ingenieuren gezeigt. Für sie gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit bereits seit vier Jahren. Doch der Engpass bei Ingenieuren in Deutschland wächst sogar.
Wird es mehr Schwarzarbeit geben?
Das Handwerk in NRW befürchtet, dass die Schwarzarbeit zunehmen könnte und Mindestlöhne unterwandert werden. „Das muss konsequent eingedämmt werden“, fordert deshalb der Hauptgeschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertages, Reiner Nolten. Der Zentralverband des Handwerks plädiert deshalb für mehr Personal und mehr Befugnisse bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Auch die Gewerkschaften sind alarmiert. Auch sie befürchten Lohndumping und mehr Scheinselbstständigkeit „Wir müssen genau aufpassen und aufklären“, sagt Carmen Tietjen vom DGB NRW.