Essen. Es ist ein Verfahren der Superlative: Arcandor-Insolvenzverwalter Görg fordert vom einstigen Management um Thomas Middelhoff 175 Millionen Euro Schadenersatz. Diesen Mittwoch startet in Essen der Prozess.
Wenn an diesem Mittwoch im Essener Landgericht der Fall mit dem Aktenzeichen 41 O. 45/10 aufgerufen wird, beginnt der wohl spektakulärste Wirtschaftsprozess des Jahres.
Das Gericht hat vorsichtshalber Saal 101 reserviert. Mit 200 Plätzen ist es der größte Verhandlungssaal im Justizgebäude. Schließlich steht ein Verfahren der Superlative bevor: Es geht um die größte Firmenpleite der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte. Und die Schadenersatzforderung, die im Raum steht, ist rekordverdächtig.
Der frühere Arcandor-Chef Thomas Middelhoff und zehn weitere ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sehen sich wegen ihrer Rolle beim Niedergang des Essener Handelskonzerns mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Arcandor-Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg verlangt von den Managern die Aufsehen erregende Summe in Höhe von 175 Millionen Euro.
Auf der Liste der Beklagten befinden sich die Namen zahlreicher Männer, die in den vergangenen Jahren beim Arcandor-Vorgängerkonzern Karstadt-Quelle Verantwortung getragen haben. So müssen sich neben Middelhoff auch Christoph Achenbach, Helmut Merkel, Harald Pinger und Matthias Bellmann vor Gericht erklären. Auslöser der Klage ist der umstrittene Verkauf mehrerer Karstadt-Immobilien an den Oppenheim-Esch-Fonds. Görg wirft den Managern unter anderem vor, wirtschaftlich nachteilige Mietverträge für die Karstadt-Häuser ohne die erforderliche rechtliche Prüfung geschlossen zu haben.
Fall Nummer eins
In dem komplexen Verfahren schwingt eine simple Frage mit: Wer trägt die Schuld an der Pleite von Arcandor? Middelhoff jedenfalls weist die Vorwürfe zurück. Die Klage entbehre jeder Grundlage, schimpfte er noch vor wenigen Tagen. Middelhoffs Anwälte betonen, der Manager habe lediglich bereits abgeschlossene Verträge erfüllt.
Dass Görg und Middelhoff am Mittwoch selbst im Gerichtssaal anwesend sein werden, wird nicht erwartet. Denn die Vorsitzende Richterin Regina Pohlmann hat ein persönliches Erscheinen nicht angeordnet. Erst zu einem späteren Zeitpunkt will die 1. Kammer für Handelssachen mit der Beweisaufnahme beginnen und Zeugen anhören. Jedenfalls steht Middelhoff ein zermürbender Prozessmarathon bevor. Denn beim Essener Landgericht liegen inzwischen insgesamt drei Zivilklagen gegen den 57-jährigen Manager vor.
Fall Nummer zwei
Eine zweite Schadenersatzklage von Görg dreht sich um hohe Bonuszahlungen, teure Privatjets und Luxus-Wein auf Firmenkosten. Der Vorwurf lautet: Der Vorstand habe „nach Gutsherrenart“ in die Firmenkasse gegriffen. Görg fordert nun von Middelhoff und weiteren Managern Boni, Spesen und Reisekosten in Millionenhöhe zurück.
Middelhoffs Anwälte betonen, die Bonuszahlungen seien Bestandteil des Arbeitsvertrages gewesen. Den Vorwurf, der Manager habe sich auf Kosten des Konzerns bereichert, weisen sie entschieden zurück. Der Prozessauftakt ist wohl in einigen Monaten.
Fall Nummer drei
Auch Jan-Eric Peters, der Chefredakteur der Zeitung „Die Welt“, hat Middelhoff auf Schadenersatz verklagt. Peters verlor als Privatmann mehr als 50 000 Euro, weil er den Aussagen Middelhoffs Vertrauen schenkte und im September 2008 in Arcandor-Aktien investierte. Nun wirft der Journalist dem Manager vor, die Öffentlichkeit bewusst falsch über die Lage des Konzerns informiert zu haben, um den Aktienkurs positiv zu beeinflussen. Bereits im Januar hat Middelhoff dem Essener Landgericht in diesem Zusammenhang Rede und Antwort gestanden. Verliert er den Prozess, könnten sich auch andere Aktionäre zu Klagen ermutigt fühlen. Womöglich kommt es bereits in einigen Wochen zu einer Entscheidung.
Es könnte noch schlimmer kommen für Middelhoff. Denn gegen ihn ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Bochum wegen des Verdachts der Untreue. Middelhoff droht neben den Zivilverfahren also auch ein Strafprozess.
Die Frage, wer die Schuld an der Pleite von Arcandor trage, beantwortet Middelhoff übrigens auf seine eigene Art. Eine Insolvenz hätte es mit ihm „nicht gegeben“, behauptet er. Verantwortung müsse auch sein Nachfolger Karl-Gerhard Eick übernehmen. Dieser stand allerdings nur sechs Monate an der Spitze von Arcandor, Middelhoff war fast vier Jahre lang Konzernchef.