Karlsruhe. .
S-Bahn-Leistungen dürfen im Normalfall nicht unter der Hand vergeben, sondern müssen ausgeschrieben werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Dienstag entschieden. Die Richter gaben damit dem Bahn-Konkurrenten Abellio recht. Zugleich bestätigten sie eine Entscheidung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster.
Damit sei ein Vertrag zwischen der DB Regio NRW und dem VRR in Teilen unwirksam, sagte BGH-Pressesprecher Wolfgang Eick. Der Vertrag sah unter anderem vor, dass die Deutsche Bahn den S-Bahn-Betrieb im VRR-Gebiet über 2018 hinaus - nämlich bis 2023 - anbieten sollte. Eine solche Vereinbarung ohne Ausschreibung sei jedoch unzulässig. Daher müsse der Betrieb für diese fünf Jahre nun öffentlich ausgeschrieben werden, sagte Eick.
Streit um Bahn-Qualität
Dass es überhaupt zu der Entscheidung kommen konnte, ist erstaunlich. Die Deutsche Bahn hatte alles in den Ring geworfen, um das Urteil über den VRR-Vertrag zu verhindern. Dabei setzte das Staatsunternehmen seine Prozessstrategie sehr langfristig an.
Ursprünglich ging es darum, dass der VRR im Jahr 2007 aus Ärger über teure und schlechte S-Bahnen die Zahlungen an die Bahn eigenmächtig um einen zweistelligen Millionenbetrag reduzierte. Im anschließenden Streit kündigte der VRR dann den Verkehrsvertrag mit der Bahn. Angeblich, weil die Bahn aus dem 2004 abgeschlossenen Vertrag pro Jahr etwa 45 Millionen Euro zu viel kassiert. Das sei nach Ansicht des VRR so etwas wie eine Subvention, die gegen Europarecht verstoße.
Die Bahn zog gegen die Kündigung vor das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Kern des Streites war vor allem die Frage, welches Preisrecht anzuwenden sei. Das Verwaltungsgericht entschied am Ende gegen den VRR. Und bereitete damit den Boden für die folgende Einigung, die heute vor dem Bundesgerichtshof angefochten wird:
Der VRR verzichtete auf Rechtsmittel gegen das Gelsenkirchener Urteil und vergab die S-Bahn quer durch das Ruhrgebiet ohne Ausschreibung bis 2023 an die Bahn. Im Gegenzug versprach die Bahn ihre Leistungen zu verbessern und mehr Wagen einzusetzen.
Bahn versuchte, Gericht zu manipulieren
Der WAZ liegen nun Dokumente vor, die belegen, wie die Bahn versuchte, Gerichte zu manipulieren. In einem internen Bericht der Bahn-Rechtsanwälte an die Rechtsabteilung des Konzerns heißt es: Das Gelsenkirchener Gericht habe Literaturzitate „zu weiten Teilen“ übernommen. „Im Bereich des Preisrechts gilt dies insbesondere für den von der DB initiierten Aufsatz von Scholz/Otting“. Dies zeige, wie „richtig“ es war, die Rechtsauffassung der Bahn auch „durch externe Literaturstimmen, die nicht unmittelbar der Bahn zuzurechnen sind, zu untersetzen.“ Mit anderen Worten: Die Bahn hat einen Gutachter angeregt, einen nach außen hin unabhängigen Aufsatz zum Prozessthema zu schreiben, und diesen Aufsatz dann als angeblich unabhängige Literatur in das Verfahren eingebracht. Selten wurde über Lobbyschreiber offener berichtet.
Mit der Landespolitik hatte die Bahn schon damals wenig Mühe. In einem internen Vermerk an Bahn-Vorstand Homburg wird beschrieben, dass der damalige NRW-Verkehrsminister Wittke (CDU) Angst hatte, der Streit zwischen VRR und Bahn könne „Gegenstand“ des Wahlkampfes werden. Eine politische Taste wurde entdeckt, die seither immer wieder gedrückt wird: Es könnte ja sein, dass unzufriedene Bahnfahrer den Minister verantwortlich machen.
So warnt NRW-Bahnchef Heinrich Brüggemann aktuell in der NRZ die Politik: wenn der BGH den VRR-Vertrag für nichtig erklären sollte, würde sich im VRR ein tiefes Finanzloch auftun. Die Folge: ausgedünnte Regionalzüge. Ein Horror für Bahnfahrer.
Der VRR bestreitet das Szenario. Es sei zunächst mit keinen drastischen Auswirkungen zu rechnen. Allenfalls mittelfristig könnten Belastungen auf den VRR zukommen, falls diese nicht wie geplant kompensiert würden. Im Gegenteil rechnet der VRR eher mit Verbesserungen der Lage: Der Rechtsstreit um den zu teuren Urvertrag von 2004 würde wiederaufleben. Und damit die Chance auf echten Wettbewerb steigen, durch den der VRR in Zukunft besser und billiger einkaufen könnte.