Essen. Eigentlich sollte die „Ewigkeits-Chemikalie“ PFOS nicht mehr produziert werden. Nun tauchte sie an acht Stellen in NRW im Rhein auf. Ein Rätsel.
Die „Ewigkeits-Chemikalien“ lassen Nordrhein-Westfalen nicht los. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat im Rhein unzulässig hohe Konzentrationen eines gesundheitsschädlichen Stoffes festgestellt, der zur Gruppe der PFAS-Chemikalien zählt. Die gefundene Substanz sei nachweislich krebserregend, die Produktion der Chemikalie in Deutschland eigentlich seit 2015 offiziell eingestellt, teilt Greenpeace mit.
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PFOS-Funde in Dormagen, Leverkusen, Dinslaken, Duisburg, Düsseldorf und Krefeld
Die Umweltorganisation hatte nach eigener Darstellung im August und Oktober vergangenen Jahres an unterschiedlichen Stellen in Dormagen, Leverkusen, Dinslaken, Duisburg, Düsseldorf und Krefeld Wasserproben aus dem Rhein genommen. Alle Proben hätten einen Gehalt an Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) enthalten, der den Umweltgrenzwert von 0,65 Nanogramm pro Liter überschreite. Hochgerechnet ergebe sich sogar sechsmal mehr als der Jahresgrenzwert, so Greenpeace.
Die Substanz PFOS zählt zur Gruppe der langlebigen PFAS-Chemikalien, die seit 1940 produziert werden und heute über 10.000 Stoffe umfassen. Inzwischen sind die Chemikalien überall in der Umwelt, vor allem in Böden und im Wasser nachweisbar. Sie überdauern je nach Stoff extrem lange in der Umwelt, woher auch ihre Bezeichnung „Ewigkeits-Chemikalien“ stammt. PFAS sind wasser- und ölabweisend sowie hitzebeständig. Wegen dieser Eigenschaften finden sie sich in vielen Produkten des täglichen Gebrauchs, etwa Pfannen, Outdoor-Kleidung, Lebensmittelverpackungen oder Elektrogeräten.
PFAS stehen im Verdacht, schwerwiegende Gesundheitsprobleme zu verursachen, darunter Krebs, Leberschäden oder Störungen des Hormonsystems. „Sie können auch vom Menschen aufgenommen werden, reichern sich im Körper an und können krebserregend wirken, bestätigte eine Sprecherin des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) auf Anfrage dieser Redaktion.
LANUV-Experten haben PFOS-Chemikalie bereits früher im Wasser gefunden
Die Fachbehörde teilte zudem mit, dass die Substanz PFOS bereits in der Vergangenheit in eigenen Messungen im Rhein gefunden worden sei. Dabei sei Konzentration sogar erheblich höher gewesen: „Allein für die Substanz PFOS wurden 2015 bis 2023 vom Rhein 646 Proben von 22 Probenahmestellen auf NRW-Gebiet analysiert. Im Wasser wurde in zwei Proben PFOS gefunden, 24 Nanogramm pro Liter am 12.02.2015 in Kleve und 16 Nanogramm pro Liter am 11.05.2016 in Düsseldorf“, teilte das LANUV mit.
„Es ist ein Skandal, dass wir ein Jahrzehnt nach dem Ende der Produktion in Deutschland derart hohe PFOS-Werte messen“, sagte Julios Kontchou, Ökotoxikologe von Greenpeace. Obwohl es mittlerweile für fast alle Anwendungen in Gebrauchsgegenständen PFAS-freie Alternativen gebe, halte die Chemieindustrie an den Ewigkeitschemikalien fest, und die Bundesregierung reguliere sie nicht ausreichend, kritisierte er. „Jetzt müssen die zuständigen Landesämter in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg die PFOS-Quellen finden und entschärfen.“
Das Landesumweltamt erklärte, dass die Belastung mit PFAS-Chemikalien aus verschiedenen Quellen stammen könne. Neben Klärschlamm könnten Abwassereinleitungen aus Kläranlagen, Altlasten in Böden, etwa aus Galvanikbetrieben sowie PFAS-haltige Löschmittel als Quelle in Frage kommen. „Für das Trinkwasser können wir in Nordrhein-Westfalen bestätigen, dass dieses sicher ist“, sagte die LANUV-Sprecherin. Trinkwasser würde durch Filtration extra aufbereitet und durch stetige Laboranalysen geprüft, um sicherzustellen, dass alle Grenzwerte eingehalten werden.
PFAS lösten einen der größten Umweltskandale in NRW aus
Die PFAS-Chemikalien, damals PFT genannt, hatten 2006 einen der größten Umweltskandale in NRW ausgelöst. Damals wurde eine sehr hohe PFAS-Konzentration im Einzugsgebiet von Ruhr und Möhne festgestellt. Über mehrere Jahre war PFAS-haltiger Industriemüll illegal statt Dünger auf Feldern verteilt worden. Von dort gelangten die Substanzen in Bäche und Flüsse – und am Ende ins Trinkwasser: 2007 wurde bei einem Bluttest von 350 Einwohnern der Stadt Arnsberg eine Belastung festgestellt, die bis zu achtfach über dem Richtwert lag.
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Fast 20 Jahre nach dem PFT-Skandal sind in NRW und in Deutschland immer noch viele Orte durch die extrem langlebigen Chemikalien belastet. Das „Forever Pollution Project“, ein Rechercheverbund internationaler Journalisten, hatte in ganz Europa mehr als 17.000 möglicherweise belastete Orte identifiziert, darunter 400 Stellen in NRW.
Deutschland will PFAS verbieten, Industrie wehrt sich
Funde von PFAS-Chemikalien im Rhein sorgen stromabwärts in den Niederlanden immer wieder für Probleme und Ärger. Für die niederländischen Trinkwasserversorger wird es immer teurer, die Chemikalien aus Deutschland aus dem Rheinwasser zu entfernen, das zur Herstellung von Trinkwasser benötigt wird. Gemeinsam mit den Niederlanden zählt Deutschland zu einer Gruppe von EU-Staaten, die einen Vorstoß für ein weitreichendes PFAS-Verbot in der Europäischen Union eingereicht hat. Industrieverbände sehen darin eine Bedrohung für Hightech-Industrien und fordern Ausnahmen.