Essen. Unions-Kanzlerkandidat hält nichts vom Grünstahl, wie ihn Thyssenkrupp herstellen will. Das ist eine Ohrfeige für den NRW-Ministerpräsidenten.

CDU-Chef Friedrich Merz macht es den Industriebeschäftigten in NRW nicht leicht. Während Parteikollege und Ministerpräsident Hendrik Wüst Grünstahl aus Duisburg subventioniert und der Bochumer CDA-Chef Dennis Radtke die Mahnwache vor Tor 1 mit Brathähnchen bei Laune hält und um die Ruhrgebietsstandorte kämpft, fährt der Unions-Kanzlerkandidat ihnen voll in die Parade. Merz hält nichts von wasserstoffbasiertem Grünstahl, wie ihn Thyssenkrupp in seiner neuen DRI-Anlage herstellen will. Dachte er sich nicht im Stillen, sondern schmetterte er Bochumer Thyssenkrupp-Betriebsräten im Beisein von Radtke entgegen. Mangelnden Mut kann man ihm nicht vorwerfen. Wie klug das war, ist eine andere Frage.

Denn dass er die Stahlkocher gegen sich aufbringt, ist das eine. Da sich viele Menschen in Deutschland fragen, ob der Staat wirklich die im Ruhrgebiet verbliebene Schwerindustrie mit Steuermilliarden retten muss, kann Merz damit womöglich sogar punkten. So oder so werden sich viele Nordrhein-Westfalen nun aber fragen, was denn jetzt gilt: das Wort ihres Ministerpräsidenten oder das des Parteichefs. Mangelnde Verlässlichkeit und Stabilität der Politik war der zentrale Vorwurf des Sauerländers gegen die abgetretene Ampel-Regierung. Nun schürt Merz mit seinem Bochumer Auftritt neue und im Stahl zuletzt ungekannte Zweifel an der bisher breiten Rückendeckung aus CDU, SPD und Grünen für den Erhalt der Stahlindustrie. Wem sollen die Leute an Rhein und Ruhr denn nun glauben, wem vertrauen: Wüst oder Merz?

Merz‘ erste Einlassung zum Stahl wirkt besserwisserisch und überheblich

Merz ist bisher nicht mit dezidierten Ideen zur Industriepolitik in Erscheinung getreten. Abseits seiner allgemeinen Abneigung gegen Subventionen, dem Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft und Steuersenkungen für alle hat sich der CDU-Chef kaum zu Details der Transformationen unserer Industrie geäußert. Was er besser schnell lernen sollte: Klimafreundlicher zu produzieren, ist für die Industrie keine Kür, sondern längst purer Überlebenskampf. Das haben sich nicht grüne Ideologen ausgedacht, sondern die Konzerne und ihre kühl rechnenden Manager selbst.

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Nun sind Zweifel daran, ob das mit der bisher favorisierten Technik gelingt, natürlich erlaubt und auch angebracht. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft stockt, Stand heute wäre eine Produktion mit grünem Wasserstoff kaum bezahlbar. Dass ein noch sehr knapper Energieträger am Anfang einer industriellen Revolution extrem teuer ist, kann allerdings niemanden wundern. Je mehr Wasserstoff produziert wird, desto günstiger wird er. Ob das am Ende reicht, um nicht nur grünen, sondern auch bezahlbaren Stahl zu produzieren, lässt sich noch nicht seriös vorhersagen. Dass all dies, was sich die deutschen Manager und Ingenieure ausgedacht haben, zum Scheitern verurteilt sei, ist aber ebenso wenig ausgemacht. Sie sehen das Kostenproblem und arbeiten längst an Alternativen. Klar ist aber: Wenn die deutsche Stahlindustrie es nicht versucht, verschwindet sie für immer. Die Transformation zu beschleunigen statt sie stoppen zu wollen, wäre der optimistischere Ansatz für die künftige Regierung.

Totale Abhängigkeit von China-Stahl wäre auch ein strategisches Sicherheits-Risiko

Merz‘ erste qualitative Einlassung zur Zukunft der deutschen Stahlindustrie ist für alle, die sich tagtäglich damit beschäftigen, ein Schlag ins Gesicht, sie kommt überheblich und besserwisserisch rüber. Seine unternehmerischen Erfahrungen im Blackrock-Geschäft mit Risikokapital müssten Merz eigentlich offener über Innovationen reden lassen. Und als Kanzler müsste Merz auch den Versorgungs- und Sicherheitsaspekt berücksichtigen, den eine totale Abhängigkeit von chinesischen Stahl-Importen aufwerfen würde.

Nun ist es nicht das erste Mal, dass die Meinungen und Haltungen von Merz und Wüst auseinander gehen. Nachdem der CDU-Chef auch zum Kanzlerkandidaten der Union gekürt wurde, werden aus der Düsseldorfer Staatskanzlei allerdings merklich weniger Widersprüche Richtung Sauerland geschickt. Es ist Bundestagswahlkampf, die Union im Umfragehoch und drauf und dran, stärkste Kraft im Land zu werden. Man kann Wüst deshalb kaum vorwerfen, sich in dieser Phase mit Kritik an Merz zurückzuhalten. Da der nun aber ein zentrales Projekt seiner schwarz-grünen Landesregierung infrage stellt, ja fast der Lächerlichkeit preisgibt, darf Wüst in dieser Sache nicht schweigen.

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