Essen/Berlin. Bei der niedersächsischen Werft hat Kanzler Scholz einen Staatseinstieg organisiert. Für Thyssenkrupp gibt es ähnliche Überlegungen.
Angesichts der schwierigen Lage bei Thyssenkrupp mehren sich parteiübergreifend die Rufe nach einem Staatseinstieg bei Deutschlands größtem Stahlkonzern. „Eine Einbindung des Staates wie bei der Meyer Werft kann zum Beispiel eine Brückenlösung sein“, sagte die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Sarah Philipp unserer Redaktion.
Unter maßgeblicher Beteiligung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben sich der Bund und das Land Niedersachsen vor wenigen Wochen an der in finanzielle Not geratenen niedersächsischen Meyer Werft in Papenburg beteiligt. Für rund 400 Millionen Euro übernahmen sie etwa 80 Prozent der Anteile an der Werft. Zudem sicherten Bund und Land einen Kreditrahmen von 2,6 Milliarden Euro zu 80 Prozent mit einer Bürgschaft ab.
Sowohl die Meyer Werft als auch Thyssenkrupp hätten „deutschlandweite Bedeutung und sind Anker ihrer jeweiligen Industriezweige“, sagte Bärbel Bas in ihrer Funktion als Duisburger SPD-Bundestagsabgeordnete. „In beiden Fällen geht es um tausende Arbeitsplätze. Und um die Zukunft dieser Industriezweige in Deutschland insgesamt. Für beide gilt: Wir dürfen nicht zulassen, dass sie verschwinden.“ Bärbel Bas verfügt als Bundestagspräsidentin über großen Einfluss in ihrer Partei.
CDU-Politiker Radtke: „Deutsche Stahl AG unter Beteiligung des Bundes“ möglich
Auch der Bochumer CDU-Politiker und frisch gewählte Chef der christdemokratischen Arbeitnehmerorganisation CDA, Dennis Radtke, sieht Handlungsbedarf. „Wer Resilienz gegenüber autoritären Regimen ernst nimmt, der darf das Thema Deutsche Stahl AG unter Beteiligung des Bundes nicht vom Tisch nehmen“, sagte Radtke unserer Redaktion. „Ich halte das mittelfristig für einen denkbaren Weg“, fügte er hinzu. „Die Bundesländer alleine können das nicht stemmen. Das ginge nur auf nationaler Ebene.“
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak schließt ebenfalls einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel nicht aus. „Es wäre in der aktuellen Lage unverantwortlich, diese Frage als Tabu auszuklammern“, sagte Banaszak unserer Redaktion. Wenn absehbar sei, dass ein systemrelevantes Unternehmen durch einen befristeten Einstieg des Staates in wenigen Jahren wieder rentabel werden kann, müsse man das auch gewissenhaft prüfen. „So haben wir es in der Bundesregierung und im Parlament bei der Meyer Werft getan und uns dafür entschieden“, erklärte Banaszak.
Grüner Banaszak: „Hilfe vom Staat gibt es nicht zum Nulltarif“
Zugleich betonte Banaszak, einen solchen Schritt dürfe der Staat nicht gehen, weil es etwa für Thyssenkrupp die einfachste Lösung wäre. „Hilfe vom Staat gibt es nicht zum Nulltarif, dafür muss ein Unternehmen Einfluss abgeben und im Zweifel auch schmerzhafte Zugeständnisse machen.“ Bezogen auf Thyssenkrupp würde das etwa eine realistische Durchfinanzierung der Stahlsparte betreffen, die dann nicht nur die Arbeitnehmerseite fordern würde, sondern auch der Staat.
Die nordrhein-westfälischen SPD-Chefin Sarah Philipp hob hervor, Stahl gehöre „zu den systemrelevanten Industrieprodukten“. Daher sei es „im nationalen und auch im europäischen Interesse, die Stahlproduktion an Rhein und Ruhr zu erhalten und langfristig zu stärken“, sagte Philipp unserer Redaktion. „Hierfür müssen alle Vorschläge ergebnisoffen diskutiert werden, auch eine staatliche Beteiligung. Wir dürfen uns bei einer so wichtigen Schlüsselindustrie wie der Stahlproduktion nicht von Dritten abhängig machen.“
Bundesländer wie Niedersachsen und das Saarland hätten dies längst erkannt und über Beteiligungen an der Salzgitter AG oder über die Montan-Stiftung Saar ihren Einfluss auf die örtliche Stahlproduktion vergrößert. „Trotz der aktuellen Herausforderungen durch die konjunkturelle Lage und die hohen Energiepreise steht die Stahlindustrie in Niedersachsen und dem Saarland heute besser da als Thyssenkrupp“, merkt Sarah Philipp an.
„Einstieg bei Thyssenkrupp nicht länger kategorisch ausschließen“
Der nordrhein-westfälische Stahlstandort befinde sich „in einer historischen Krise“, gibt die NRW-Chefin der SPD zu bedenken. „Es geht nicht nur um tausende Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp, sondern um zehntausende in den weiterverarbeitenden Industrien. Am Schicksal von Thyssenkrupp wird sich beweisen, ob NRW langfristig Industrieland bleiben kann.“ Deshalb sei es „umso wichtiger, dass politische Maßnahmen zunächst auf Landesebene ergebnisoffen debattiert werden“, so Philipp. Die nordrhein-westfälische SPD habe der schwarz-grünen Landesregierung unter Führung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur (Grüne) die Zusammenarbeit in einer „parteiübergreifenden Task-Force zum Stahlstandort“ angeboten.
„Hierfür darf die Landesregierung einen Einstieg bei Thyssenkrupp aber nicht länger kategorisch ausschließen“, so Philipp. „Die SPD hat seit 2018 mehrfach die Landesregierung aufgefordert, den Einstieg des Landes bei Thyssenkrupp zu prüfen. Die Landesregierung manövriert sich in eine industriepolitische Sackgasse, wenn ein staatlicher Einstieg bei Thyssenkrupp ein Tabu-Thema bleibt.“
Bärbel Bas: Hilfe über die schon zugesagten zwei Milliarden Euro notwendig
Die Duisburger Bundestagsabgeordnet Bärbel Bas sagte, die Landes- und die Bundesregierung müssten „zeigen, wie sie die Transformation hin zu grünem Stahl konkret bewältigen wollen“. Beim Umbau der Thyssenkrupp-Produktion von Kohle zu Wasserstoff werde über die bereits zugesagten zwei Milliarden Euro weitere staatliche Unterstützung nötig sein, etwa mit Blick auf die Energiekosten. „Für die Übergangszeit bis zur gelungenen Transformation brauchen wir einen Industriestrompreis. Und auch die Netzentgelte müssen runter. Aus meiner Sicht ist der Ausbau der Netze Bestandteil der Daseinsvorsorge und sollte daher aus anderen staatlichen Mitteln finanziert werden und nicht über die Netzentgelte“, sagte Bas. „Das würde die energieintensiven Industrien zügig und spürbar entlasten und eine erfolgreiche Transformation erleichtern. Dass der Bund hier aktiv wird, dafür setze ich mich ein.“
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