Düsseldorf. Anne-Marie Großmann, Miteigentümerin der Georgsmarienhütte, sieht ihr Stahlwerk aufgrund hoher Energiepreise massiv bedroht.
Die Georgsmarienhütte, einer der großen Stahlerzeuger in Deutschland, steht nach Einschätzung von Miteigentümerin Anne-Marie Großmann kurz vor dem Abgrund. „Jeden Tag gehen wir da näher hin“, sagt die Unternehmerin, die Geschäftsführerin der familieneigenen Firmengruppe GMH ist. Das niedersächsische Unternehmen, zu dem insgesamt mehr als 6000 Arbeitsplätze gehören, leide massiv unter hohen Strom- und Gaspreisen in Deutschland, berichtet Anne-Marie Großmann vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. Auf die Frage, wie lange die Georgsmarienhütte noch durchhalte, antwortet sie: „Wenn das so weitergeht, sind es nur noch ein paar Monate.“
Anne-Marie Großmann leitet das Stahlwerk, das ihr Vater im Jahr 1993 vor dem Ruin gerettet hat. Der spätere RWE-Chef Jürgen Großmann, der Karriere beim Industriekonzern Klöckner gemacht hatte, übernahm für zwei symbolische Mark den maroden Stahlstandort und baute ein erfolgreiches Unternehmen auf. Zur GMH-Gruppe gehören zahlreiche Betriebe in Deutschland, darunter auch Firmen in NRW wie Energietechnik Essen, Mannstaedt in Troisdorf oder ein Recycling-Standort in Dortmund.
Besorgt zeigt sich Anne-Marie Großmann, die in zweiter Generation das Familienunternehmen führt, vor allem mit Blick auf den Kern der Firmengruppe. Der Georgsmarienhütte, die aus Schrott mit Hilfe eines Elektroofens Stahl erzeugt, mache das hohe Energiepreisniveau in Deutschland schwer zu schaffen, berichtet die Unternehmerin. Die Strom- und Erdgaskosten des Betriebs seien von 2019 bis 2025 um 127 Prozent auf nun 84 Millionen Euro pro Jahr gestiegen. Dieser Anstieg der Kosten zwinge ihr Unternehmen „in die Knie“.
„Niedergang der deutschen Stahlindustrie“
Die Entwicklung ihrer Firma sieht Anne-Marie Großmann als ein Beispiel für „den Niedergang der deutschen Stahlindustrie“ insgesamt. Deutschlands größter Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel hatte unlängst angekündigt, bis zum Jahr 2030 rund 11.000 Arbeitsplätze abbauen oder auslagern zu wollen.
Hunderte Beschäftigte in ihrem Unternehmen seien derzeit in Kurzarbeit, berichtet GMH-Geschäftsführerin Großmann. In den vergangenen zwei Jahren sei die Belegschaft um 100 Arbeitsplätze verkleinert worden. „Das wird so weitergehen“, sagt die Unternehmerin bei ihrem Auftritt in Düsseldorf. Die Verunsicherung bei den Beschäftigten sei groß. Viele hätten „richtig Angst um ihre Arbeitsplätze“.
Als Unternehmerin müsse sie reagieren, wenn es keine Entlastung bei den Energiepreisen gebe, betont Anne-Marie Großmann. Zur aktuellen Lage sagt sie: „Das ist natürlich keine Perspektive für ein Unternehmen, das in Generationen denkt.“
Staatshilfe für Konkurrenten Thyssenkrupp und Salzgitter
Sie hoffe auf „ein Umdenken“ in der Politik, sagt Anne-Marie Großmann. Bislang habe ihr Unternehmen nicht mehr als „freundliche Worte“ gehört. Es müsse aber dringend gehandelt werden. Eine geeignete Hilfe für die Georgsmarienhütte sei beispielsweise eine Senkung der Netzentgelte, die einen hohen Anteil am Strompreis ausmachen.
Stahlkonzerne wie Thyssenkrupp und Salzgitter hatten milliardenschwere Zusagen von Bundes- und Landesregierungen für den Aufbau einer Grünstahl-Produktion mit Hilfe von Wasserstoff erhalten. So hat allein Thyssenkrupp Steel Staatshilfen in Höhe von rund zwei Milliarden Euro für den Standort Duisburg zugesprochen bekommen. Anne-Marie Großmann hatte die Hilfen für die Konkurrenz schon vor einigen Monaten als „Verzerrung des Wettbewerbs“ bezeichnet.
Anne-Marie Großmann: „Jeden Tag daran arbeiten, dass wir länger durchhalten“
Die Georgsmarienhütte setzt seit Mitte der 1990er-Jahre auf Elektroöfen, mit denen aus Schrott neuer Stahl gekocht wird. Das Werk verbraucht Unternehmensangaben zufolge ähnlich viel Strom wie die benachbarte Stadt Osnabrück mit mehr als 170.000 Einwohnern. Beim Einsatz von Windstrom sei die Stahlherstellung deutlich klimafreundlicher als eine Produktion mit Hilfe von Hochöfen, betont Anne-Marie Großmann.
Die GMH-Gruppe ist zu 100 Prozent im Familienbesitz. Anteile halten neben Anne-Marie Großmann auch ihr Vater sowie ihre Schwester und ihr Bruder. „Wir werden jeden Tag daran arbeiten, dass wir länger durchhalten“, sagt die Unternehmerin mit Blick auf die unsichere Perspektive für die Stahlerzeugung in Deutschland. Klar sei, dass sich die Georgsmarienhütte nicht verlagern lasse. Ein solches Werk könne, falls es nicht weitergehe, nur verkauft oder geschlossen werden. Das Management prüfe allerdings auch, verstärkt Stahl im Ausland einzukaufen, um die Weiterverarbeitungsbetriebe zu versorgen. „Als Unternehmen wollen wir weiter Bestand haben“, betont Anne-Marie Großmann.
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