Essen. Evonik-Chef Kullmann greift durch. Im Vorstand gibt es mehrere Veränderungen. 1000 Beschäftigte werden von Führungsaufgaben entbunden.
Es ist der größte Konzernumbau bei Evonik seit vielen Jahren: Vorstandschef Christian Kullmann will den Essener Chemieriesen grundlegend verändern. Ein neues Führungsmodell, Veränderungen im Vorstand, Unternehmensverkäufe und Firmenausgliederungen sollen das Unternehmen schlagkräftiger machen. Rund 7000 der derzeit 32.000 Beschäftigten im Konzern könnte der Vorstand abgeben. Hier eingerechnet ist auch der bereits bekannte Abbau von rund 2000 Arbeitsplätzen.
Derzeit bündelt Evonik die Geschäfte in vier Divisionen rund um Produkte für die Pharma-, Kosmetik- und Ernährungsindustrie („Nutrition & Care“), Werkstoffe („Smart Materials“), Additive für die industrielle Anwendung („Specialty Additives“) sowie rohstoff- und energieintensive Basischemie („Performance Materials“). Diese Struktur will Kullmann auflösen.
Künftig wird es Unternehmensangaben zufolge lediglich zwei Segmente geben: In den Bereich „Custom Solutions“ mit rund 7000 Beschäftigten sortiert das Management Geschäfte mit „maßgeschneiderten“ Produkten für die Evonik-Kunden ein – unter anderem Additive für Lacke sowie Beschichtungen für die Kosmetik- und Pharmaindustrie.
Etwa 8000 Mitarbeiter von Evonik sollen in Zukunft zum Segment „Advanced Technologies“ gehören, zu dem unter anderem sogenannte Hochleistungskunststoffe sowie das Wasserstoffperoxid-Geschäft von Evonik gehören. Dieser Bereich definiere sich über eine „hohe Technologie-Kompetenz und operative Exzellenz“, heißt es bei Evonik. Ab April kommenden Jahres soll die neue Konzernstruktur gelten.
Die Führungsstruktur des Konzerns will Evonik-Vorstandschef Kullmann deutlich verschlanken. Die Zahl der Führungsebenen im Essener Unternehmen will er von durchschnittlich zehn auf maximal sechs verringern. Mehr als 3000 Organisationseinheiten sollen wegfallen. Das Programm trägt den Titel „Evonik Tailor Made“, kurz ETM.
Rund 1000 Führungskräfte von Evonik sollen ihre Funktion verlieren
Der Evonik-Vorstand hatte bereits angekündigt, rund 2000 Arbeitsplätze abbauen zu wollen, davon 1500 in Deutschland. Dabei geht es Unternehmensangaben zufolge um 500 Führungskräfte. Darüber hinaus sollen 1000 Führungskräfte von Evonik ihre Funktion abgeben und sich ins Team eingliedern. „Wir haben derzeit 4500 Führungskräfte. 1000 werden wir von ihrer Führungsaufgabe entbinden“, so Kullmann. Teils könnten damit auch Gehaltseinbußen verbunden sein. Einen Automatismus gebe es allerdings nicht, wird bei Evonik betont. „Bislang hatte eine Führungskraft bei uns im Schnitt Verantwortung für drei bis vier Beschäftigte. Diese Zahl erhöht sich auf durchschnittlich sieben“, sagt Kullmann.
Im Vorstand von Evonik steht ebenfalls ein großer Umbruch an. Der stellvertretende Vorstandschef Harald Schwager (64) geht in den Ruhestand. Neu in das Führungsgremium kommen die Amerikanerin Lauren Kjeldsen (51) und die Französin Claudine Mollenkopf (58). Beide sind bereits bei Evonik tätig. In den Ruhestand gehen zudem die Evonik-Bereichsvorstände Johann-Caspar Gammelin und Joachim Dahm. Der Vertrag von Personalvorstand Thomas Wessel, der aktuell bis Sommer 2026 läuft, wird bis zum Sommer 2028 verlängert. Finanzchefin von Evonik bleibt Maike Schuh.
Damit gehören künftig fünf statt bislang vier Managerinnen und Manager zum Evonik-Vorstand, drei davon sind Frauen. Durch die Reduzierung auf zwei Segmente, für die künftig Kjeldsen und Mollenkopf zuständig sind, bekomme Evonik ein „deutlich schlankeres Führungsmodell“, wird im Unternehmen betont. „Unser Vorstand wird internationaler und weiblicher“, sagt Vorstandschef Kullmann, der nach dem Abschied von Schwager keinen Stellvertreter mehr haben wird.
„Auch an der Spitze des Unternehmens sparen wir“, betont Vorstandschef Kullmann. „Die zweite Vorstandsebene lösen wir komplett auf. Aus dem Top-Management gehen drei geschätzte Kollegen in den Ruhestand.“ Klar sei: „Wenn wir sparen, dann machen wir das im gesamten Konzern.“
Evonik plant Firmenverkäufe und Stellenabbau
Evonik-Aufsichtsratschef Bernd Tönjes, der auch Vorstandsvorsitzender des Mehrheitsaktionärs RAG-Stiftung ist, spricht von einer „strukturellen Weiterentwicklung des Konzerns“. Damit könne „das eigene Potenzial“ des Unternehmens „für profitables Wachstum optimal ausgeschöpft werden“, so Tönjes.
„Das ist der größte Konzernumbau seit der Gründung von Evonik“, hebt Kullmann hervor. „Wir beschleunigen unsere Transformation.“ Er wolle „aus einem guten ein besseres Unternehmen machen“.
Tausende Beschäftigte könnten Evonik in Zukunft verlassen – durch Ausgliederungen oder Verkäufe. So steht das Infrastruktur-Geschäft mit rund 3600 Mitarbeitern in Marl und Wesseling zur Disposition. Hier prüft das Evonik-Management unterschiedliche Optionen, darunter einen Verkauf. 1000 Beschäftigte könnten Evonik durch eine Abgabe des sogenannten C4-Chemie-Geschäfts verlassen. Auch ein Chemie-Standort mit 400 Beschäftigten in Witten steht auf der Verkaufsliste des Evonik-Vorstands. Hinzu kommt der – bereits bekannt – Abbau von etwa 2000 Arbeitsplätzen. In Summe geht es also um etwa 7000 Stellen des Essener Chemiekonzerns.
IGBCE fordert „Zukunftsinvestitionen“ für heimische Chemiewerke
Im Aufsichtsrat hatte Kullmann auch von der Arbeitnehmerseite Zustimmung für seine Umbaupläne bekommen. „Wir setzen uns mit Nachdruck dafür ein, dass die Transformation von Evonik sozialverträglich organisiert wird und nicht nur Abbau und Ausgliederung, sondern auch Investition und Modernisierung bedeutet“, betont Alexander Bercht, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IGBCE und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Evonik. Die IGBCE und der Betriebsrat hätten durchgesetzt, dass betriebsbedingte Kündigungen bei Evonik bis zum Jahr 2032 ausgeschlossen sind.
Aufmerksam verfolgen die Arbeitnehmervertreter die Bestrebungen des Managements, das Infrastrukturgeschäft in Marl und Wesseling mit rund 3600 Beschäftigten auszugliedern. Es seien dazu „noch keinerlei Entscheidungen gefallen“, hebt Bercht hervor. „Wir bestehen darauf, alle Szenarien ergebnisoffen zu prüfen. Klar ist, dass den 3600 Beschäftigten des Bereichs in keinem Szenario Nachteile bei Entgelt, Mitbestimmung oder Tarifbindung entstehen dürfen.“
Bercht sieht das Management von Evonik „in der Pflicht, den heimischen Werken neue Perspektiven zu geben“. Die IGBCE fordert in diesem Zusammenhang einen „Transformationsfonds“ für Evonik. Daraus sollten „Zukunftsinvestitionen für die Standorte finanziert werden“. In der aktuellen Phase müsse dies „Vorrang haben vor Ausschüttungen an die Aktionäre“, sagt Bercht. „Dafür werden wir in den kommenden Monaten streiten.“
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Thyssenkrupp: Sorgen um historisches Großprojekt in Duisburg
- Billigmode: KiK-Chef Zahn: „Eine Riesensauerei, was da gerade passiert“
- Standort Ruhrgebiet: Verlässt Evonik Essen? Konzern erwägt Umzug
- HKM: Investor greift nach Thyssenkrupp-Tochter HKM: Was er vorhat
- Vonovia: Toter lag über zwei Jahre unbemerkt in seiner Wohnung in NRW