Essen. Viele Manager sehnen Regierungswechsel herbei, zögen Schwarz-Grün einer Groko trotz Kritik an Habeck aber vor. Merz-Agenda stößt auf Skepsis.
Was für ein Krisenjahr: Die Wirtschaft schrumpft, die Regierung platzt, Trump wird erneut zum US-Präsidenten gewählt und droht der deutschen Autoindustrie mit hohen Zöllen. Dabei liegt die deutsche Vorzeigebranche schon am Boden, VW streicht 35.000 Arbeitsplätze. Zulieferer und Stahlproduzenten zieht das mit runter. Thyssenkrupp stürzt noch tiefer in die Krise, die Essener Industrieikone will sich von 11.000 Beschäftigten im Stahl trennen. Höchste Zeit also, dass dieses Jahr zum Ende kommt. Aber was bringt das neue? Wird es besser, zumindest ein wenig?
Nein, nicht merklich, sagen die Wirtschaftsforscher, die zuletzt alle ihre Prognosen für 2025 gesenkt haben, auf oder Richtung Nullwachstum. Natürlich wird es besser, versprechen derweil die angelaufenen Wahlkampfmaschinen der Parteien für den Fall, dass sie an die Macht kommen. Tatsächlich war es selten so schwer vorherzusagen, was kommt. Zu viele Unbekannte, die große Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, unseren Wohlstand haben können. Viel wird von der neuen Bundesregierung sowie den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in China, den USA und den Kriegsschauplätzen in der Ukraine und im Nahen Osten abhängen.
Eine neue Koalition aus Union und SPD ist am wahrscheinlichsten
Am vorhersehbarsten ist noch, wer die neue Bundesregierung führen wird und was von ihr zu erwarten ist. Spielen wir dieses Szenario aus ökonomischer Sicht einmal durch:
Mitten im Karneval wählen die Deutschen eine neue Bundesregierung. Den aktuellen Umfragen zufolge dürfte der neue Bundestag aus vier bis sechs Fraktionen bestehen. Die FDP liegt bei fast allen Instituten knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde, das Bündnis Sahra Wagenknecht knapp darüber. Da Union, SPD und Grüne eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen, kommen nach derzeitigem Stand nur eine schwarz-rote oder eine schwarz-grüne Regierung infrage. Wahrscheinlicher ist eine große Koalition, auch weil CSU-Chef Markus Söder ein Bündnis mit den Grünen ausschließt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Union stärkste Kraft und Friedrich Merz Kanzler.
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Der Ampel-Regierung wurden insbesondere in der Wirtschaftspolitik schlechte Noten gegeben, insofern sollte es eigentlich nur besser werden können. Die meisten Wirtschaftsverbände setzen auf Merz und haben zuletzt vor allem den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck kritisiert. Eine große Koalition sollte demnach eigentlich ihre mehrheitliche Wunschkonstellation sein - ist es Umfragen zufolge aber nicht. Denn was wäre von der vierten Großen Koalition in diesem Jahrhundert zu erwarten?
Merz will Verbrennerverbot, Heizungsgesetz und Bürgergeld rückabwickeln
Merz hat bisher vor allem erklärt und ins Unions-Wahlprogramm geschrieben, was er rückabwickeln will: Das Bürgergeld, Habecks Heizungsgesetz und das Verbrenner-Aus. Letzteres dürfte das schwierigste Unterfangen sein, weil das Gebot, ab 2035 nur noch Neuwagen ohne Treibhausgasemissionen zuzulassen, EU-Recht ist. Die Sorge vor vielen Arbeitsplatzverlusten ist berechtigt, da Elektromotoren deutlich weniger Teile haben und sowohl in der Autoindustrie als auch bei den Zulieferern Stellen wegfallen. Tatsächlich investiert Mercedes wieder mehr Geld in neue Verbrennermodelle, doch ob sich der Trend zum E-Antrieb umkehren lässt, ist fraglich. VW, BMW, Mercedes und Audi müssen allein deshalb weiter in Elektromotoren investieren, weil ihr größter Absatzmarkt, China, voll auf den Antriebswechsel setzt.
Die angekündigte Rückabwicklung des unbeliebten Heizungsgesetzes löst vielleicht hie und da Genugtuung aus, in den Wirtschaftsverbänden, deren Firmen die Wärmewende in Deutschland umsetzen sollen, aber blankes Entsetzen. Als CDU-Politiker Jens Spahn auf einem Forum der Wärmepumpen-Branche ankündigte, die Förderungen neuer, klimaschonender Heizungen zu kürzen, schlug ihm völliges Unverständnis entgegen. „Macht keinen Scheiß“, sagte der Chef eines großen deutschen Anbieters.
Spahn für Wärmepläne mit „grünem Öl“ vom VDI verspottet
Spahns Idee, statt auf Wärmepumpen zum Beispiel auf „grünes Öl“ setzen zu wollen, wurde vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Wunsch nach „mehr Sachverstand in der Politik“ quittiert. Denn das von Spahn als Alternative für Ölheizungen gemeinte synthetische Bio-Öl ist absehbar weder in ausreichenden Mengen verfügbar noch bezahlbar. Der VDI warnt vor einer „Verunsicherung in der gesamten Branche und Bevölkerung“ durch die Unions-Pläne.
Merz bekennt sich grundsätzlich zur Wärmewende, auch zum mittelfristigen Aus für Öl- und Gasheizungen. Er will beim Heizungsgesetz den Resetknopf drücken und die ursprüngliche Version mit längeren Übergangsfristen versehen, wie er in der Talkshow bei Maischberger sagte. Die so hart kritisierten Pläne von Habeck, deren durchgestochener erster Entwurf 2023 zurecht, weil realitätsfern, für einen kollektiven Aufschrei sorgte, kommen demnach auch unter Merz, nur eben noch später als in der nachgebesserten Habeck-Version.
Das konservative Handwerk warnt vor „radikalen Schritten“ unter Merz
Selbst der traditionell konservative Zentralverband des deutschen Handwerks hielte das für einen großen Fehler: „Radikale Schritte oder deren öffentliche Ankündigung führen nur zu einer neuen Verunsicherung und sind daher unbedingt zu vermeiden“, sagte Handwerkspräsident Jörg Dittrich dazu der Augsburger Allgemeinen Zeitung.
Über das Bürgergeld dürfte Merz mit der SPD weit heftiger streiten müssen als mit den Grünen. Hartz IV hinter sich zu lassen, war das wichtigste Anliegen der Sozialdemokraten in der Ampel. Denn Hartz IV hat die SPD über zwei Jahrzehnte von ihrer Basis entfremdet und wird noch heute für den Absturz der Partei nach Schröder verantwortlich gemacht wird. Ob es dann künftig Bürgergeld oder nach Merz Grundsicherung heißt, ist nicht entscheidend. Sondern ob es wirklich auf „das absolute Minimum“ gekürzt wird, wie Merz verspricht.
Zehn Milliarden Euro am Bürgergeld sparen? Experten skeptisch
Merz fordert vor allem härtere Sanktionen und im Zweifel auch den kompletten Entzug der Grundsicherung. Das ist zwar bereits heute theoretisch möglich bei so genannten „Totalverweigerern“, aufgrund der geltenden Regeln aber schwer durchsetzbar. Merz will damit vor allem Geld sparen, den Sozialstaat verschlanken. Doch selbst das von der Union gesetzte Ziel, zehn Milliarden Euro im Jahr zu sparen, indem die Jobcenter die Arbeitslosen mehr fordern, halten Arbeitsmarktexperten für völlig unrealistisch. Vor allgemeinen Kürzungen steht das Verfassungsgericht, das über das Existenzminimum wacht, das der Staat niemandem verwehren darf.
In der Energiepolitik wird sich unter Merz weit weniger ändern als sein angekündigter „Paradigmenwechsel“ verspricht. „Wir werden nicht mehr einseitig nur auf Wind und Sonne setzen, sondern wir werden sämtliche Ressourcen ausschöpfen“, sagte Merz unlängst in Essen. Doch in der Sache blieb er bei der Prüfung einer Reaktivierung der drei abgeschalteten Atomkraftwerke stehen, die er selbst inzwischen für unrealistisch hält.
Merz‘ „Paradigmenwechsel“ in der Energiepolitik wird nicht kommen
Merz hat sich auch für den Bau neuer Gaskraftwerke ausgesprochen, die im kommenden Jahrzehnt die Kohle als Absicherung für das Stromnetz ablösen sollen, wenn Wind und Sonne nicht reichen. Genau das ist der von der Ampel eingeschlagene Plan, nur dass er aller Wahrscheinlichkeit nicht bis 2030 aufgehen wird, sondern ein paar Jahre später. So lange werden Kohlekraftwerke weiter laufen müssen - egal, wer regiert. Mit der SPD könnte Merz das von den Grünen gesetzte Tempo beim Kohleausstieg allerdings noch weiter drosseln. In der Stromindustrie käme das nicht gut an, sie will den Umstieg auf Grünstrom stattdessen forcieren.
Vom Grundsatz her will Merz weniger Bürokratie und mehr freie Marktwirtschaft. Das wird die SPD unter leichtem Murren mitgehen können. So wie bereits dreimal unter Merkel. Nur ist daraus erkennbar nichts geworden, weshalb nicht wenige Menschen skeptisch sind, ob eine neuerliche Groko diesem Land mehr Dynamik bringen kann. Für allzu große Reformfreude und Mut zu unpopulären Entscheidungen ist jedenfalls keine Groko in Erinnerung geblieben. Eine grundlegende Rentenreform etwa ist unter Merz auch nicht zu erwarten, der lehnt eine Erhöhung des Rentenalters, die viele Ökonomen und Wirtschaftsverbände für zwingend halten, ebenso wie Scholz ab.
Scholz gibt den Arbeiterführer, Merz gegen Großsubventionen
Die Industrie dürfte vor allem interessieren, was die neue Regierung für sie übrig hat. Der amtierende Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich beim Umschalten in den Wahlkampfmodus sofort auf die Arbeitnehmerseite geschlagen. VW mahnte er, auf Werksschließungen zu verzichten. Den Ford-Beschäftigten machte er bei einem Werksbesuch Mut. Und den Thyssenkrupp-Stahlarbeitern versprach er, sich um niedrigere Energiekosten und EU-Strafzölle auf Billigstahl zu kümmern. Sogar einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp schloss er nicht aus. Ob der bisher nicht als Arbeitervorkämpfer bekannte Scholz das wirklich so meint?
In Merz‘ Vorstellung eines schlanken Staates und freien Marktes passt Staatsintervention überhaupt nicht. „Gute Rahmenbedingungen für alle statt Subventionen für wenige“ lautet sein Credo. Im Zusammenhang mit der Thyssenkrupp-Stahlkrise erklärte der Sauerländer, die Wirtschaftspolitik mit Milliarden-Subventionen sei gescheitert. Thyssenkrupp erhält vom Bund und vom CDU-regierten Land NRW insgesamt zwei Milliarden Euro für den Bau einer Grünstahl-Anlage. Einen Einstieg des Staates oder gar die Deutsche Stahl AG, die neben der SPD auch der Bochumer CDA-Chef Dennis Radtke ins Spiel gebracht hat, wäre ebenfalls kein Merz-Stil.
Union für günstigere Energie, aber gegen Industriestrompreis
Der Unions-Kanzlerkandidat ist wie Scholz für niedrigere Energiepreise, er will die Stromsteuern und Netzentgelte senken. Eine Gegenfinanzierung hat er dafür bisher nicht skizziert, im Gegenteil: Er will weitere Steuern senken. Bisher war Merz klar gegen Sonderregeln für die Industrie. Den von ihr geforderten und auch von der SPD favorisierten vergünstigten Industriestrompreis lehnt der Unions-Kanzlerkandidat ab.
Was alle Wirtschaftsverbände befürworten, ist der Unions-Plan, die Unternehmenssteuern bei 25 Prozent zu deckeln. Auch die Senkung von Stromsteuer und Netzentgelten, die auch die Grünen fordern, sind konsensfähig. Dazu will die Union auch den Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie wieder von 19 auf sieben Prozent senken, was eigentlich als eine Ausnahme für die Corona-Zeit gedacht war. Den Solidaritätszuschlag auf die Einkommensteuer will Merz ganz streichen, der Spitzensteuersatz von 42 Prozent soll erst ab 80.000 Jahresbrutto statt aktuell ab 67.000 Euro greifen.
Merz will auf breiter Front Steuern senken
Die marktliberale Hoffnung, dass dies zu mehr Wachstum und am Ende trotz niedrigerer Steuersätze zu höheren Einnahmen führt, dürfte sich zumindest nicht kurzfristig erfüllen. Glaubt man den Prognosen der Ökonomen, wird das Unions-Steuerprogramm stattdessen in einer stagnierenden Wirtschaft den Staat rund 90 Milliarden Euro kosten. Kein Wunder, dass sich Merz offen zeigt für eine Lockerung der Schuldenbremse.
Womit sich der Groko-Kreis schließen würde: Seit Bildung der ersten unter Merkel im Jahr 2005 sind die deutschen Staatsschulden von knapp anderthalb Billionen auf knapp zweieinhalb Billionen Euro gestiegen. Dies trotz der langen Nullzinsphase im vergangenen Jahrzehnt. Unterm Strich der drei Grokos dieses noch jungen Jahrhunderts steht: Mehr Staat, mehr Schulden und trotzdem eine Vernachlässigung der Infrastrukturen für Verkehr und Energie.
Nicht wenige Wirtschaftsführer hoffen daher trotz ihrer expliziten Kritik an Habeck nicht auf eine neue Groko, sondern auf Schwarz-Grün. In einer Forsa-Umfrage für Table-Media ist dies mit 23 Prozent die bevorzugte Option der Manager vor einer Groko (21 Prozent) und Schwarz-Gelb (16 Prozent). Damit favorisieren die Manager eine andere Regierung als die Gesamtbevölkerung, die klar für ein schwarz-rotes Bündnis ist.
Manager mehrheitlich für Schwarz-Grün, nur Söder ist strikt dagegen
In einer Civey-Umfrage unter Führungskräften für das Handelsblatt liegen die Grünen ebenfalls vor der SPD, auch trauen die Manager Robert Habeck deutlich mehr zu als SPD-Spitzenkandidat Scholz: Bei der Kanzlerfrage liegt Habeck mit einem Zuspruch von 22 Prozent klar hinter Merz (34 Prozent), aber weit vor Scholz (8 Prozent).
Nicht ohne Grund hat Merz seine Kritik an den Grünen deutlich abgemildert und eine Koalition ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Selbst CSU-Politiker Manfred Weber, der Fraktionschef der Konservativen im Europaparlament, legt sich auf Schwarz-Grün als beste Option fest und so mit seinem Parteichef Markus Söder an. Der droht nach wie vor mit einem Veto gegen Schwarz-Grün. Viele in der Wirtschaft halten das für unverantwortlich.