Essen. Verschmierte Menükarten und lange Wartezeiten waren gestern: Die Digitalisierung bietet Chancen in der Gastro. Warum zögern die Betriebe?
- NRW-Gastronomen kämpfen mit Personalmangel, explodierenden Kosten, steigender Mehrwertsteuer und drohender Insolvenz: 14,6 % sind gefährdet
- 42 % der Betriebe kennen keine Fördermittel für Digitalisierung – KI-Chancen wie weniger Lebensmittelverschwendung bleiben ungenutzt
- Ab Januar 2025 wird die digitale Rechnungsstellung verpflichtend, was Bürokratie abbaut und Kosten senkt
- Initiativen helfen Gastronomen, digitale Schwachstellen zu erkennen und Daten zuverlässig zu schützen
Die Glasfassade des „Erich-Brost-Pavillons“ spiegelt das klare Novemberlicht. Die Besucher fahren die freistehende Rolltreppe hinauf. Mit jedem Meter öffnet sich der Panoramablick über das Ruhrgebiet, doch die eigentliche Überraschung wartet am Ziel: Ein Roboter steht bereit, scannt Tickets und übernimmt den Check-in. Daneben steht eine Person, die die Begrüßung übernimmt und den Weg in die Halle weist.
In einer großen Halle auf Zeche Zollverein treffen sich viele Gastronomen und Hoteliers aus ganz NRW. Bereits zum vierten Mal findet hier der „Mut Macher Markt“ des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) NRW statt. Sie stehen unter enormem Druck, die Kosten und das Personal laufen ihnen davon, hinzu kommen immer neue Vorschriften - im Januar etwa die digitale Rechnung. Wer oder was könnte ihnen helfen?
Roboter stehen bereit und zeigen, was heute möglich ist. Sie bewegen sich, lassen sich beobachten und ausprobieren. Ein Modell saugt den Boden, ein anderes trägt Teller, während ein drittes Kaffee serviert. Was einst nach Science Fiction klang, wird langsam Realität, weltweit, aber auch in Nordrhein-Westfalen. Doch die Digitalisierung ist Aufbruch und Angst zugleich.
Hoffnungen und Sorgen wechseln sich in den Gesprächen ab. Überforderung liegt in der Luft. Die Verunsicherung angesichts der schwierigen Situation ist überall spürbar. In NRW stehen rund 3.200 gastgewerbliche Betriebe - 14,6 Prozent der Unternehmen - vor der Insolvenz, so eine Analyse des Centre for Research in International Finance (CRIF) aus dem Jahr 2023. Steigende Energiepreise und höhere Personalkosten belasten die Budgets. Seit Januar 2024 sorgt die Rückkehr zur Mehrwertsteuer von 19 Prozent für zusätzlichen Druck.
Viele Betriebe kämpfen noch immer mit den Folgen der Pandemie. Zahlreiche Mitarbeitende sind in andere Branchen abgewandert, während der Trend zum Home-Office weniger Gäste bringt. Besonders kleinere Restaurants und Cafés stehen vor dem Aus.
Damit gehört Nordrhein-Westfalen zu den am stärksten betroffenen Bundesländern. Der Kampf ums wirtschaftliche Überleben wird härter - und für viele scheint kein Ende in Sicht. Vor diesem Hintergrund ist die Digitalisierung keine Option. „Sie ist ein Muss“, betont Dehoga-Sprecher Thorsten Hellwig. Er ist überzeugt, dass technologische Innovationen dazu beitragen können, beide Probleme gleichzeitig zu entschärfen.
„Es führt kein Weg daran vorbei“
Die Digitalisierung verändert das Gastgewerbe. Die einen sehen darin neue Chancen, die anderen neue Hürden. Doch ein Gefühl kennen alle Betriebe: Überforderung. Hanna Hoffmann, die das familiengeführte Hotel Brackweder Hof in Bielefeld leitet, erlebt diese Herausforderung täglich. „Die Überforderung ist groß“, sagt sie. Ein Kollege bringt die Sorgen auf den Punkt: „Digitalisierung ist wie Landwirtschaft. Erst wird gesät, später geerntet.“ Nur sind viele nicht sicher, ob sich ihre Investitionen wirklich rechnen werden.
Während manche Betriebe auf digitale Speisekarten und Kassensysteme setzen, bremst andere die Angst vor Veränderung. Ein Blick in den „Digitalisierungsindex Mittelstand 2021/2022“ zeigt, warum: Trotz Pandemie-Investitionen stagniert die Branche. Mit 57 von 100 Punkten bleibt der Digitalisierungsgrad unverändert. QR-Codes und Online-Reservierungen halfen, Gäste in Lockdowns zu erreichen, konnten die durchschnittlichen Umsatzverluste von 43 Prozent aber nur mildern.
Auch das Wissensdefizit ist groß. Laut Studie kennen 42 Prozent der Unternehmen keine Fördermittel für Digitalisierungsprojekte. Chancen bleiben ungenutzt - zum Beispiel KI, die Lebensmittelverschwendung reduzieren könnte. Hoffmann setzt auf das kostenfreie Coaching von Rainer Westerwinter. „Daran führt kein Weg vorbei“, sagt sie. Die Beratung helfe ihr, wieder Mut zu fassen. „Deshalb ist das Angebot so wichtig.“
E-Rechnung kommt in 2025
Ab dem 1. Januar 2025 müssen Unternehmen in Deutschland Rechnungen digital ausstellen und übermitteln. Ziel: Bürokratie abbauen, Prozesse vereinheitlichen, Steuerbetrug reduzieren. Gerade für die Gastronomie bringt die Umstellung Vorteile: Die automatisierte Verarbeitung spart Zeit, senkt Kosten und minimiert Fehler. Doch viele Betriebe sind nicht vorbereitet, noch dominieren Papierstapel die Büros. „Wer früh anfängt, hat später weniger Stress“, rät Erich Nagl, Geschäftsführer der Gastro-Beratungsfirma ETL ADHOGA.
Auch interessant
Digitalisierung: Präsenz, die zählt
Die Digitalisierung im Gastgewerbe beginnt oft mit kleinen Schritten - doch die Möglichkeiten sind grenzenlos. „In NRW gibt es Betriebe, die schon sehr fortgeschritten sind, aber auch solche, deren Internetauftritt dringendst neu aufgesetzt werden müsste“, sagt Dehoga-Sprecher Hellwig.
Vor allem junge Gäste suchen online nach Restaurants, vergleichen Bilder und Bewertungen und entscheiden oft spontan. Doch eine reine Online-Präsenz reicht nicht aus. „Ein Instagram-Profil allein bringt keinen Erfolg“, sagt Sascha Dalig, der vom operativen Hotelmanagement in die Beratungsbranche gewechselt ist.
Der digitale Auftritt muss stimmen: Klare Öffnungszeiten, schnelle Kontaktmöglichkeiten und ansprechende Inhalte seien das A und O, betont Dalig. Vertrauen zähle in der Gastronomie - und das beginne heute online. Gute Fotos, schnelle Antworten und ein durchdachter Stil könnten den Unterschied machen. Wer hier investiere, gewinne neue Gäste und bleibe langfristig relevant. Betriebe, die in ihre digitale Präsenz investieren, müssten daher auch Maßnahmen zum Schutz sensibler Daten ergreifen.
Cybersicherheit „Wer früh handelt, spart”
Doch Cybersicherheit bleibe im Gastgewerbe oft ein blinder Fleck. Viele Betriebe glaubten, sie seien zu klein, um Ziel von Hackerangriffen zu werden, warnt Sebastian Barchnicki, Sprecher der Geschäftsführung des vom Land geförderten Projekts Digital.Sicher.NRW. „Das ist ein gefährlicher Irrtum“, so Barchnicki, er kenne keinen Betrieb, der keine Sicherheitslücken habe. Das NRW-Wirtschaftsministerium hat das Förderprogramm „MID-Digitale Sicherheit“ ins Leben gerufen. Es hilft Unternehmen, Sicherheitslücken zu erkennen und zu schließen. Im Mittelpunkt stehen konkrete Maßnahmen: Experten analysieren kostenlos digitale Schwachstellen, zeigen Risiken auf und geben klare Handlungsempfehlungen.
„Viele Unternehmen glauben, dass sie zu klein sind, um Ziel von Hackerangriffen zu werden. Ein gefährlicher Irrtum“
Die Schwachstellen seien zahlreich. Digitale Kassensysteme, Online-Reservierungen oder Plattformen wie Instagram und Google Maps erweiterten mit jeder neuen Verbindung die Angriffsfläche. Besonders Kundendaten, die sensibel und wertvoll seien, würden zu einem lohnenden Ziel. „Wer diese Daten nicht schützt, riskiert das Vertrauen seiner Gäste“, erklärt Barchnicki.
Ein Beispiel zeigt, wie groß der Schaden sein kann: Eine schlecht gesicherte Buchungsplattform wird gehackt, sensible Gästedaten gestohlen. Der Schaden sei nicht nur finanziell. Gäste verlören ihr Vertrauen, negative Schlagzeilen verbreiteten sich schnell - ein Imageschaden, der gerade in einer Branche, die von Weiterempfehlungen lebe, nur schwer zu beheben sei, so Barnecki. Er rät: „Wer früh handelt, spart später Geld und Nerven.“
Doch trotz aller technischen Innovationen bleibt eines unersetzlich: der menschliche Kontakt. „Das Gastgewerbe ist und bleibt eine ‚People-to-People‘-Branche“, sagt Verbandsprecher Hellwig. Roboter können Teller tragen, digitale Tools Abläufe vereinfachen - aber die persönliche Ansprache und die Wärme eines Gastgebers kann keine Maschine ersetzen.
Gleichzeitig macht die Digitalisierung die Branche attraktiver, sowohl für das Personal als auch für die Betreiber. „Moderne Technologien schaffen spannende Arbeitsumgebungen und entlasten das Personal“, erklärt ein Experte beim Mutmacher-Markt-Event. Effiziente Prozesse kombiniert mit menschlicher Herzlichkeit könnten die Zukunft des Gastgewerbes prägen.
„Das Gastgewerbe ist und bleibt eine ‚People-to-People‘-Branche“