Berlin. Volkswagen plant den Kahlschlag, Zulieferer so wie Schaeffler werden mitgerissen. Experten sagen, wo jetzt in der Lieferkette sogar Insolvenzen drohen.
Deutschland, ein Automobilland – was einst wie ein verheißungsvolles Versprechen nach Wohlstand klang, stellt jetzt ganze Regionen vor Herausforderungen. Mit Volkswagen hat der größte deutsche Autohersteller zu einem massiven Sparkurs angesetzt. Mindestens drei Werke sollen schließen, Zehntausende Jobs abgebaut werden. Pläne, die auch Automobilzulieferer bis ins Mark treffen. Am Dienstag kündigte nun Schaeffler, einer der größten deutschen Branchenvertreter, an, Tausende Stellen im Inland abzubauen. Was bei Schaeffler los ist und wie schlimm die Krise weitere Autozulieferer noch treffen kann.
Warum streicht Schaeffler jetzt so viele Jobs?
Angesichts der aktuellen Lage der Branche sei dieses Sparprogramm „notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schaeffler Gruppe langfristig zu sichern“, sagte Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld laut Mitteilung. Konkret sollen 4700 Arbeitsplätzen in Europa wegfallen, davon 2800 in Deutschland. Betroffen seien zehn deutsche Standorte, teilte das Unternehmen mit, sowie fünf weitere Standorte in Europa, von denen zwei ganz geschlossen werden sollen. Schaeffler reagiert damit – so wie zu vor anderer Zulieferer auch – auf die sinkende Nachfrage der großen Autobauer, die wegen massiver Überkapazitäten in der Fahrzeugproduktion handeln müssen. Zuletzt hatte Volkswagen angekündigt, drei deutsche Werke schließen und Zehntausende Stellen streichen zu wollen.
Wie hart könnten die Einschnitte bei VW konkret die Zulieferer treffen?
Vergleichsweise stark. Rechnerisch kommen auf einen Angestellten bei den deutschen Autobauern rund 0,6 Beschäftigte bei Zulieferern. „Wenn bei VW in Deutschland in der Autoproduktion dann 20.000 Beschäftigte abgebaut werden, dann werden die Zulieferer rund 12.000 abbauen. Mit anderen Worten, ein größerer Beschäftigungsabbau bei VW schlägt klar auf die Zulieferer durch“, sagte der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer unserer Redaktion.
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Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA) prophezeit sogar das Verschwinden ganzer Betriebe. „Der Preisdruck auf der Zuliefererebene ist enorm und die wenigsten kleinen und mittleren Unternehmen haben Rücklagen, um diese Situation länger durchstehen zu können“, so Reindl. Während Branchengrößen wie Bosch, Continental, Mahle oder ZF längst mit Restrukturierungen reagiert haben, fehlt dem kleinen Mittelstand dafür also die Kraft. Pleiten hält Reindl deshalb ebenfalls für wahrscheinlich, möglicherweise auch verstärkt im Umfeld der auf der Kippe stehenden VW-Werke wie Emden und Osnabrück.
Wie ist die Branche aufgestellt?
Die Branche steht enorm unter Druck, sagte Experte Henner Lehne von Standard and Poor‘s (S&P) Global Mobility unserer Redaktion. „Keiner wird verschont, weil auf der einen Seite der Anteil der Autos mit Verbrennern zwar zurückgeht, aber gleichzeitig der Hochlauf der Elektromobilität nicht so ist, wie viele die Kapazitäten eingeplant haben“, so Lehne. Das heißt: Selbst denjenigen, die sich bereits dazu durchgerungen haben, in das noch junge Geschäftsfeld E-Mobilität zu investieren, steht das Wasser unter Umständen bis zum Hals. Zuletzt rutschten bereits einige Firmen in die Insolvenz, darunter mittelständische Betriebe wie der schwäbische Autositzhersteller Recaro und der Wuppertaler Zierbauteilespezialist WKW.
Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) gibt es derzeit 632 Zuliefererbetriebe in Deutschland, fünf Jahre zuvor waren es noch 695. Auch die Zahl der Beschäftigten sank in dem Zeitraum – von damals 310.000 auf jetzt 273.000. Wegen der stärkeren Internationalisierung wuchsen die Umsätze aber zuletzt auf gut 92 Milliarden Euro, was einen Anteil von 16 Prozent am Umsatz der gesamten deutschen Autobranche bedeutet.
Mit wie vielen Zulieferern arbeitet VW zusammen?
Das ist schwer zu sagen. Autobauer wie VW versuchen das eigene Lieferantennetz übersichtlich zu halten, bestellen deshalb komplette Systeme oder Komponenten bei den großen Zulieferern. Bosch, Conti und Co. arbeiten aber wieder mit Unterlieferanten zusammen, häufig eben die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Ein gutes Beispiel, wie die Lieferantenstruktur organisiert ist, sind die Bremsen eines Volkswagens.
„Das Bremssystem insgesamt kommt zwar von ATE – als Tochter von Continental – oder von Brembo. Einzelne Bauteile eines solchen Systems – angefangen vom ABS-Aggregat bis hin zu Bremsscheiben – werden aber dort allesamt nicht selbst gefertigt, sondern kommen von Unternehmen nachgelagerter Zuliefererstufen und häufig von Mittelständlern. Das zieht sich durch weitere Bauteile durch. Aus VW-Perspektive sind aber ATE oder Brembo komplett verantwortlich“, erklärte Stefan Reindl. Experten gehen davon aus, dass innerhalb der Lieferkette mehrere Hundert Zulieferer in Deutschland für die Wolfsburger tätig sind.
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Welche Sorgen haben Kommunen und Länder?
Vom Deutschen Landkreistag (DLT) heißt es dazu, die Entwicklungen bei VW seien ein „echter Schock“. Kfz-Zuliefererbetriebe hätten „größtenteils im ländlichen Raum“ ihren Sitz. „Die Wertschöpfungsketten sind inzwischen derart ausdifferenziert, dass eine Fahrzeugfertigung ohne den Zukauf von Teilen, Komponenten und Rohstoffen gar nicht mehr denkbar ist. Deshalb verfolgen wir das, was sich gerade bei VW abzeichnet, natürlich mit großer Sorge. Da geht es auch um eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in den ländlichen Räumen, um Steuereinnahmen und nicht zuletzt um ganz konkrete Zukunftsperspektiven für viele Menschen und ihre Familien“, sagte DLT-Präsident Achim Brötel (CDU) unserer Redaktion. In der Ankündigung von VW sieht Brötel einen „Warnschuss“. Man könne die Wirtschaft nicht nur mit immer neuen Vorschriften gängeln.
Einschnitte drohen konkret auch in Sachsen-Anhalt, wegen der Nähe zum Volkswagen-Stammwerk in Wolfsburg ein Bundesland mit vielen Zulieferbetrieben. „Die Sanierungsbemühungen bei VW dürfen nicht zulasten der Zulieferer gehen und deren jetzt schon schmale Margen, zugunsten des VW-Konzerns, noch weiter verringern“, forderte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gegenüber unserer Redaktion. „Jetzt schon gehen die relativ hohen Gehälter und Kosten bei VW nicht unerheblich zulasten der mittelständischen Zulieferer.“
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Wie sehen es Gewerkschaft und Arbeitgeber?
Die IG Metall fordert bessere Rahmenbedingungen für das „gewachsene Ökosystem aus Herstellern und Zulieferern“. „Wir müssen alles dafür tun, das auch im jetzt laufenden Umbruch zu erhalten. Sonst stehen auch ganze Regionen und die dort arbeitenden Menschen vor der Perspektivlosigkeit“, sagte die erste Vorsitzende der Gewerkschaft, Christiane Benner, unserer Redaktion. Die Politik müsse nachlegen und mehr tun. „Und von den Unternehmen brauchen wir eine mutige Modellpolitik und bezahlbare E-Autos“, so Benner.
Auch der VDA fordert eine politische Kurkorrektur: „Wir benötigen konkurrenzfähige Energiepreise, einen konsequenten Bürokratieabbau, Infrastrukturinvestitionen, international wettbewerbsfähige Steuern und Abgaben, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel sowie internationale Handels- und Rohstoffabkommen, die zeitnah und in großem Umfang abgeschlossen werden“, so eine Sprecherin.
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Was empfehlen Experten den Autozulieferern jetzt?
Zulieferer hierzulande sollten sich umorientieren, empfiehlt Branchenkenner Henner Lehne, der auch Automobilzulieferer berät. Denkbar wäre zum Beispiel, sich verstärkt auf Teile für Premiumautos, die mit höheren Margen verkauft werden, zu konzentrieren. Darüber hinaus sei es auch denkbar, verstärkt mit chinesischen Autobauern ins Geschäft zu kommen. „Chinesische Hersteller werden nach Europa kommen. Da sollte man schauen, einen Fuß in die Tür zu bekommen“, rät der Experte.
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