Berlin. Volkswagen will laut Betriebsrat Zehntausende Jobs streichen. Das könnte erst der Anfang sein, warnt der Verband der Automobilindustrie.
Der Schock sitzt bei vielen Volkswagen-Beschäftigten tief. Zehntausende Jobs wolle der Konzern bei der Marke VW streichen, drei Werke dichtmachen und Lohnkürzungen durchsetzen, hatte der VW-Betriebsrat am Montag mitgeteilt. Wenige Stunden später taten erste VW-Beschäftigte ihren Unmut lautstark kund. In Osnabrück, dessen VW-Werk als besonders gefährdet gilt, machte die IG Metall im Rahmen der derzeit laufenden Tarifverhandlungen zum Warnstreik mobil. Und 250 Gewerkschaftsmitglieder zeigten mit Trillerpfeifen, Trommeln und Fackeln lautstark, was sie von den VW-Plänen hielten. Auch die IG Metall will von Lohnkürzungen und Stellenabbau nichts wissen, sie verlangt im Tarifstreit von den Arbeitgebern ein Lohnplus von sieben Prozent.
Was bei VW passieren könnte, ist kein Einzelfall. Beim Zulieferer ZF sollen bis zu 14.000 Jobs wegfallen, auch bei den Friedrichshafenern stehen ganze Werke zur Disposition. Bei Bosch sind rund 7500 Arbeitsplätze bedroht, Bosch-Chef Stefan Hartung schloss im Interview mit unserer Redaktion nicht aus, dass weitere Kapazitäten abgebaut werden müssten. Continental will in Hessen bis Ende 2025 zwei Werke schließen, bis Ende 2027 soll das Werk in Gifhorn geschlossen werden. Auch immer mehr mittelständische Zulieferer straucheln.
Autoindustrie: Bis 2035 könnten weitere 140.000 Jobs wegfallen
Wie drastisch sich die Krise der Autoindustrie auf die Arbeitsplätze auswirken könnte, machte am Dienstag der Verband der Automobilindustrie (VDA) deutlich. Hält der seit 2019 eingesetzte Jobabbau an, würde es bis 2035 rund 140.000 Jobs weniger in der Autoindustrie geben, warnte VDA-Präsidentin Hildegard Müller: „Setzt sich der Trend so fort, dann ist im Jahr 2035 jede fünfte Stelle in der Automobilindustrie weggefallen.“ Die oberste Autolobbyistin berief sich dabei auf eine Studie des Analyseunternehmens Prognos, das 700 Berufe in der Automobilindustrie unter die Lupe genommen hatte. Mit eingerechnet sind bereits neue Stellen, die im Zuge der Transformation hin zur Elektromobilität aufgebaut werden. Sollten diese positiven Effekte ausbleiben, stünden sogar bis zu 300.000 Jobs auf dem Spiel, sagte VDA-Chefvolkswirt Manuel Kallweit.
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Die Berechnung nimmt dabei das Jahr 2019 als Ausgangspunkt. Rund 958.000 Beschäftigte zählte die deutsche Automobilindustrie damals – Rekord. Die Corona-Pandemie, das Lieferkettenchaos, die Energiekrise nach Russlands Angriff auf die Ukraine sowie die schwächelnde Weltkonjunktur belasteten seitdem deutsche Autobauer und Zulieferer. Vor allem im wichtigsten Absatzmarkt China punkten zudem verstärkt einheimische Hersteller und greifen den deutschen Autobauern Marktanteile ab. Zwischen 2019 und 2023 sind laut der Prognos-Erhebung bereits rund 46.000 Arbeitsplätze weggebrochen.
Es sind aber nicht nur diese externen Faktoren, die Einfluss auf die Jobs haben. „Die Transformation ist mit Beschäftigungsverlusten verbunden“, betonte Müller. Batteriebetriebene Fahrzeuge sind deutlich weniger komplex zu bauen als solche mit Verbrennungsmotoren. Das bedeute aber nicht, dass die Automobilindustrie deshalb vom Weg hin zur klimaneutralen Mobilität abweichen wolle, so Müller.
DIHK: Jedes zweite Kfz-Unternehmen will Personal abbauen
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet mit einem deutlichen Job-Abbau innerhalb der Automobilbranche. Von VW und Co., aber auch den Zuliefererunternehmen seien die Beschäftigungserwartungen „besonders negativ“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben am Dienstag bei der Vorstellung der neuen Konjunkturumfrage. Mehr als die Hälfte der Betriebe innerhalb der Kfz-Industrie plant demnach Personal abzubauen, nur sieben Prozent rechnen mit mehr Beschäftigung. So pessimistisch mit Blick auf ihre Beschäftigungsabsichten waren die Unternehmen zuletzt in der Corona-Krise.
Die Herausforderungen, vor denen die deutsche Wirtschaft und insbesondere die Automobilindustrie stehe, seien dieses Mal aber struktureller, betonte Wansleben. Produktionskosten hierzulande seien zu hoch, die Energie drei- bis viermal so teuer wie in anderen Ländern, hinzu kämen bürokratische Auflagen – und neue Konkurrenz auf den Weltmärkten. Man warte nicht mehr auf Deutschland, sagte Wansleben.
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Arbeitsmarkt für Fachkräfte bleibt gut
Obwohl in zahlreichen Firmen Jobs abgebaut werden, sei der Arbeitsmarkt für Fachkräfte in Fahrzeugbauberufen gut, sagt Ökonom Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Aktuell gebe es in diesen Berufen rund 11.000 gemeldete Arbeitslose, aber 15.000 offene Stellen. Hinzu kämen noch ungemeldete Stellen. „Darüber hinaus würden Fachkräfte der Autoindustrie auch in anderen Bereichen der Metall- und Elektroindustrie, etwa in Maschinenbauberufen, Jobs finden können“, sagte Schäfer im Gespräch mit unserer Redaktion. Anders sehe es aber bei Hilfskräften aus. „Hier haben wir aktuell 12.000 Arbeitslose, aber nur 1.500 offene Stellen. Bei Werkschließungen würde sich dieses Ungleichgewicht wohl weiter verschieben. Für Helfer ist die Situation schwierig.“
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Während sich bei Werkschließungen Entlassungen häufig nicht vermeiden ließen, müsse Personalabbau nicht automatisch zu einer Entlassungswelle führen, so Schäfer. „In der Regel wird er zunächst so durchgeführt, dass weniger eingestellt wird und es einen natürlichen Abbau gibt, wenn die Arbeitnehmer aus dem Job ausscheiden.“ Das dürfte in den kommenden Jahren vor allem beim Thema Renteneintritt der Fall sein. Laut der Prognos-Studie gehe in den nächsten zehn Jahren rund ein Viertel aller Beschäftigten in der Autoindustrie in Rente. Einen positiven Effekt kann Schäfer dieser Entwicklung aber nicht abgewinnen. „Die Wertschöpfung der Metall- und Elektroindustrie ist erheblich, sie droht zu schrumpfen. Entsprechend verliert das ganze Land an Wohlstand.“
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