Essen. Erst Genehmigung, dann Baustopp: Fehler im Landesentwicklungsplan lässt BUND jubeln und Unternehmer verzweifeln. Wie es jetzt weitergehen soll.

Im September wollten der Weseler Unternehmer Achim Klingberg und seine vier Partner in Hamminkeln am Niederrhein mit dem Bau von Gewerbehallen, Büros, Gastronomie und einem kleinen Hotel beginnen. Doch wenige Wochen zuvor wurde das Zehn-Millionen-Euro-Projekt jäh gestoppt. Der Grund: ein bereits im März ergangenes Gerichtsurteil, in dessen Folge Dutzende Bauvorhaben in Nordrhein-Westfalen auf Eis gelegt werden müssen. Allein im Ruhrgebiet sind es 40.

Der folgenschwere Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster fiel bereits am 21. März. Einen Tag später veröffentlichte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine Pressemitteilung mit der Überschrift „BUND setzt sich gegen Landesregierung durch“. Die Umweltschützer hatten erfolgreich gegen den Landesentwicklungsplan geklagt, den die damalige CDU/FDP-Koalition bereits im Jahr 2019 verabschiedet hatte. Darin hatte die Landesregierung einige Instrumente festgeschrieben, die es den Kommunen erleichtern sollten, die Genehmigung von Bauprojekten zu beschleunigen.

BUND: Politische Planungsziele nicht einfach durchpeitschen

Rund vier Jahre später erklärten die Richter in Münster einen großen Teil dieser Planungserleichterungen, die Schwarz-Gelb als Beitrag zum Abbau von Bürokratie verstanden wissen wollte, aber als rechtswidrig. Der BUND frohlockte. Im März erklärte der Landes-Vize Thomas Krämerkämper: „Das Urteil ist ein großer Erfolg für unseren Umweltverband. Damit ist klargestellt, dass keine Landesregierung unreflektierte politische Planungsziele ohne die Ermittlung der Umweltauswirkungen und ohne Beachtung der Beteiligungsrechte von Fachleuten und Betroffenen durchpeitschen kann.“

Die Freude der Umweltschützer und die Konsequenzen des Richterspruchs blieben über Monate weitgehend unbeachtet. Erst im August erhielten die betroffenen Investoren Post vom Regionalverband Ruhr und den zuständigen städtischen Bauämtern mit der bitteren Botschaft, dass die Bauprojekte erst einmal gestoppt werden. Da wurde auch die Industrie- und Handelskammer Duisburg hellhörig, startete sofort eine Umfrage in den Kommunen, die zu ihrem Bezirk gehören, und machte die Dimensionen öffentlich.

IHK Duisburg: Betroffen sind alle Branchen

„Betroffen sind praktisch alle Branchen. Die Gesundheitswirtschaft mit einem Hospiz ebenso wie Start-up-Immobilien oder Lagerflächen für landwirtschaftliche Betriebe. Viele rechnen mit einer Verzögerung von einem Jahr oder mehr“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Dietzfelbinger. Er spricht von „fatalen Folgen“ für Firmen, die investieren wollen. „Es ist den Unternehmen schwer zu vermitteln, dass sie grünes Licht für ihre Projekte erhalten haben, jetzt aber nicht bauen dürfen“, schüttelt auch IHK-Geschäftsführer Ocke Hamann den Kopf. „Die Wirtschaft ist an vielen Stellen bürokratisch gefesselt. Jetzt ist eine weitere dazu gekommen.“

Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK zu Duisburg, warnt nach dem Urteil zum Landesentwicklungsplan vor „fatalen Folgen“ für Unternehmen.
Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK zu Duisburg, warnt nach dem Urteil zum Landesentwicklungsplan vor „fatalen Folgen“ für Unternehmen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Auf Anfrage unserer Redaktion schweigt das zuständige NRW-Wirtschaftsministerium dazu, wie viele Bauprojekte landesweit wegen des Urteils aus Münster auf Eis liegen. Beim Regionalverband Ruhr, der Planungsbehörde für das Ruhrgebiet, ist man da schon auskunftsfreudiger. „Der RVR-Verwaltung sind rund 40 Vorhaben in sehr unterschiedlichen Projektstadien bekannt, die nach ihrer Einschätzung betroffen sind“, sagt Planungsdezernent Stefan Kuczera. Konsequenzen hätten Investoren zu tragen, „die schon über längere Zeit im Vertrauen auf die Anwendbarkeit dieser Vorschriften ihre Projekte vorangetrieben haben“. Der RVR, versichert Kuczera, werde alles tun, „um die Realisierung weit fortgeschrittener Vorhaben und Verfahren zu ermöglichen“.

NRW-Wirtschaftsministerium: größere Zeitverzögerungen vermeiden

Die Industrie- und Handelskammern sehen aber vor allem Ministerin Mona Neubaur (Grüne) am Zuge. „Wir als IHKs haben jetzt die Hoffnung, dass das NRW-Wirtschaftsministerium den Mangel im Rahmen der dritten Änderung des Landesentwicklungsplans möglichst schnell heilt. Unsicherheiten aber bleiben“, erklärt Ocke Hamann.

In Düsseldorf arbeitet man bereits an einer Lösung. „Aktuell bereitet das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie im Rahmen der geplanten dritten Landesentwicklungsplanänderung eine sinnvolle Nachfolgeregelung für die vom Gericht verworfenen Inhalte vor“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Parallel suche man „Alternativen zur Realisierung von Planungen und Projekten“. Größere Zeitverzögerungen sollten vermieden werden.

Unternehmer aus Wesel: Schon 180.000 Euro für Gutachten ausgegeben

Diese Absichtserklärung kommt für den Weseler Unternehmer Klingberg und sein „Cubes Hamminkeln“ genanntes Projekt fast schon zu spät. „Für 80 Prozent der Flächen haben wir bereits Mieter. Jetzt springen die ersten ab, weil die Unsicherheit zu groß ist“, klagt er und sorgt sich auch um das Geld, das er und seine vier Mitgesellschafter in das Projekt Cube in Hamminkeln gesteckt haben. „Wir haben bereits 180.000 Euro ausgegeben für Gutachten zum Pflanzen- und Artenschutz, zur Verkehrsbelastung, zur Überflutungsgefahr und zu archäologischen Vorkommen. Auch die Grundstücke haben wir für 1,3 Millionen Euro erworben. Rein planungsrechtlich sind sie aber wieder Ackerland“, so Klingberg.

Dabei war eigentlich alles geregelt. „Am 17. Januar 2024 bekamen wir vom RVR eine Zusage, dass wir bauen können. Im August kam dann ein Schreiben, dass bei dem Projekt planungsrechtliche Bedenken bestehen und es somit nicht genehmigungsfähig sei“, erzählt er bitter. Ob Aussicht auf Schadensersatz besteht, sei ungewiss. 

Achim Klingberg: „Urteil aus Münster ist eine Geldvernichtungsmaschine“

Das Cube-Konsortium setzt nun alle Hoffnungen in die Landesregierung. „Wir haben Frau Neubaur angeschrieben. Ihr Ministerium hat ein Zielabweichungsverfahren in Aussicht gestellt. Wie lange das dauern wird, kann aber niemand sagen“, meint Klingberg und kann seine Enttäuschung nicht verbergen. „Dieses Urteil aus Münster ist aus meiner Sicht eine reine Geldvernichtungsmaschine. Es ist ein ganz schlechtes Signal in der wirtschaftlichen Lage, in der sich Deutschland gerade befindet.“ 

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