Berlin. Es droht eine Überlastung des Sozialstaats. Besonders zwei Grundlagen geraten dabei aus dem Lot. Mögliche Maßnahmen wären äußerst unpopulär.

Im Wahljahr droht Arbeitnehmern und Arbeitgebern eine böse Überraschung. Es wird voraussichtlich einen ungewöhnlich großen Sprung der Sozialbeiträge nach oben geben. In welchem Umfang einzelne Versicherte davon betroffen sein werden, ist unklar. Es liegt in der Hand der einzelnen Krankenkassen, ihren Beitragssatz anzupassen. Doch es zeichnet sich ein generelles Problem ab, denn auf längere Sicht explodieren auch in den anderen Sparten der sozialen Sicherung die Kosten. Die Pflegekasse leert sich und auch der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung ist nur noch wenige Jahre stabil, bevor eine kräftige Aufwärtsbewegung einsetzt. Auf Sicht der nächsten 20 Jahre droht damit eine Überlastung des Sozialstaats. Ein Neustart ist nötig, um dies zu verhindern.

Die im Raum stehende Anhebung der Kassenbeiträge sticht dabei heraus. Denn es sind nicht nur die generell steigenden Gesundheitskosten dafür ursächlich. Ein Hauptgrund ist ein Kassentrick der Bundesregierung. Der Bund überweist für jeden Bürgergeldempfänger nur 120 Euro im Monat an dessen Krankenkasse. Das reicht nicht aus, um die Ausgaben für die Betroffenen zu decken. Der Mehraufwand wird auf die anderen Versicherten und ihre Arbeitgeber abgewälzt, die dafür über ihre Beiträge aufkommen müssen. Auf eine ähnliche Weise wurde nach der Wende 1990 schon die Integration der ehemaligen DDR-Bürger ins westdeutsche Sozialsystem finanziert. Der Staat lädt so eine gemeinschaftliche Aufgabe aller Bürger auf die Arbeitnehmer ab. Fair ist das nicht. Es bringt diese eher noch gegen das Bürgergeld auf, was die Spaltung der Gesellschaft weiter befördert.

Es gibt im Gesundheitswesen noch viele Möglichkeiten zu sparen

Doch auch ohne diese Lastenverschiebung sind anhaltende Kostensteigerungen in den sozialen Systemen absehbar. Dafür sorgt alleine schon die demografische Entwicklung. Eine älter werdende Gesellschaft wird tendenziell kränker und pflegebedürftiger. Und eine gleichbleibende oder sogar sinkenden Zahl von Arbeitnehmern finanziert eine wachsende Zahl von Rentnern. Da geraten zwei Dinge aus dem Lot, die eine Grundlage des Sozialstaats sind: die Generationengerechtigkeit und die Finanzierbarkeit. Gegen beides lässt sich etwas tun, auch wenn manche Entscheidung dabei auf wenig Gegenliebe stoßen wird.

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Wolfgang Mulke ist Wirtschafts-Korrespondent © privat | Privat

So gibt es im Gesundheitswesen noch viele Möglichkeiten, effizienter mit den Ressourcen umzugehen. Ein populäres Beispiel ist die finanzielle Belastung durch zu viele Arztbesuche oder weil auch bei Kleinigkeiten sofort eine Notfallambulanz aufgesucht wird. Die geplante Krankenhausreform ist so ein Schritt in die richtige Richtung. Die lange Auseinandersetzung über deren Ausgestaltung zeigt jedoch auch, wie schwierig hier eine zielorientierte Lösung der Probleme ist. 

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Auch bei der Rentenversicherung ist ein Umdenken gefragt, selbst wenn die Parteien eine offene Debatte über Wege aus der Beitragskrise scheuen. Wähler lassen sich damit kaum gewinnen. Schließlich ist eine Mehrheit des Wahlvolks zumindest schon in Sichtweite des Rentenalters. Die von der aktuellen Bundesregierung beschlossenen Rentenreformen sind in Ansätzen zwar richtig, verhindern einen massiven Anstieg der Beitragslast allerdings nicht. Und die Prognosen dazu gehen von einer womöglich zu positiv eingeschätzten wirtschaftlichen Entwicklung aus. Die wichtigste Voraussetzung für den Erhalt eines leistungsfähigen Sozialstaats ist jedoch eine prosperierende Wirtschaft mit einem hohen Beschäftigungsstand.