Duisburg. Die Industrie soll von Gas und Kohle auf Wasserstoff umstellen. Experte Weale erklärt, warum der Plan der Politik nicht funktionieren kann.

Wasserstoff soll Gas und Kohle ersetzen, um das Klima zu schonen. Doch vor allem energieintensive Unternehmen werden allmählich ungeduldig, weil sie nicht wissen, wann wie viel und vor allem zu welchem Preis grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen wird. Für eine weitere Ernüchterung dürfte eine aktuelle Studie des Bochumer Wissenschaftlers Graham Weale sorgen. Er geht davon aus, dass ein Kilogramm grüner Wasserstoff fast dreimal so teuer sein wird als bislang angenommen.

Graham Weale ist ein Kenner der Energiewirtschaft. Der Honorarprofessor für Energieökonomik und -politik am Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) der Ruhr-Universität Bochum war von 2007 bis 2016 Chefökonom des Essener Energieriesen RWE. Beim inzwischen ausverkauften Wasserstoff-Kongress Hy-Summit, der in der kommenden Woche in Duisburg, Dortmund und Essen stattfinden wird, wird Weale seine Thesen für die Wasserstoff-Transformation vorstellen, die in Wirtschaft und Politik für erhebliche Aufregung sorgen dürften. Unsere Redaktion hatte Gelegenheit, vorab mit dem Experten darüber zu sprechen.

„Nationale Wasserstoffstrategie schlichtweg nicht zu bezahlen“

„In ihrer jetzigen Form ist die nationale Wasserstoff-Strategie schlichtweg nicht zu bezahlen. Pro Jahr entsteht eine Finanzierungslücke von fünf bis sieben Milliarden Euro, die nur durch zusätzliche Subventionen ausgeglichen werden kann“, sagt Weale unverblümt. Nach seinen Berechnungen wird grüner Wasserstoff fast dreimal teurer als geplant. „Bislang ging man davon aus, dass grüner Wasserstoff vier Euro pro Kilogramm kosten wird. Tatsächlich werden es aber elf Euro sein“, erklärt der Professor und prophezeit: „Den erheblichen Mehrpreis, der auf die Abnehmer zukommt, werden sie nicht bereit sein zu zahlen. Er ist aber auch gesamtwirtschaftlich nicht zu rechtfertigen.“

Damit die Energiewende trotzdem gelingt, schließt sich der Wissenschaftler der Forderung der Wirtschaft an, nicht sofort und ausschließlich auf grünen Wasserstoff zu setzen, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. „Die europäischen Vorschriften, die allein auf grünen Wasserstoff setzen, führen die Wirtschaft in eine Sackgasse“, warnt Weale und nennt den Grund: „Auch der Eindruck, dass grüner Wasserstoff klimaneutral ist, ist falsch. Auch bei seiner Produktion wird CO2 ausgestoßen.“

Während der Gaskrise im Jahr 2022 riet Graham Weale aus Bochum der Bundesregierung, Thermounterwäsche zu verteilen, um Heizkosten zu sparen.
Während der Gaskrise im Jahr 2022 riet Graham Weale aus Bochum der Bundesregierung, Thermounterwäsche zu verteilen, um Heizkosten zu sparen. © Privat | Privat

Nach Erkenntnissen des Bochumer Forschers fallen bei der Herstellung von einem Kilogramm grünem Wasserstoff 0,8 bis 1,6 Kilogramm CO2 an. Deshalb rät er dazu, auf den kostengünstigeren blauen Wasserstoff zu setzen, bei dessen Herstellung 2,0 bis 3,5 Kilogramm CO2 entstehen. Von blauem Wasserstoff ist die Rede, wenn das bei der Aufspaltung von Wasser anfallende CO2 unterirdisch gelagert wird. Das Abscheidungs- und Speicherungsverfahren (CCS) gilt in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern aber als umstritten. Weale sieht darin kein Problem und schlägt vor: „Eine Lösung könnte sein, blauen Wasserstoff zuzulassen und dessen etwas schlechtere Ökobilanz zu subventionieren.“

Um die Beschaffung der riesigen Mengen von Wasserstoff zu organisieren, regt der Wissenschaftler die Rückkehr einer Institution an, die im Ruhrgebiet einen großen Namen hatte und seinerzeit für das Erdgasgeschäft zuständig war. „Um das Abnahmerisiko zu minimieren, brauchen wir einen staatlichen Großhändler für Wasserstoff ähnlich wie die frühere Ruhrgas“, meint Weale. Auf diese Weise könnten die Interessen zwischen Produzenten und Abnehmern am besten ausgeglichen werden.

Allein Thyssenkrupp benötigt 400 Tonnen Wasserstoff pro Tag

Seine Thesen zur Beschleunigung der Wasserstoff-Transformation hat der Professor im Auftrag der Duisburger Wirtschaftsförderungsgesellschaft DBI ausgearbeitet. „Duisburg ist als größter Stahlstandort Europas wirtschaftlich auf die Stahlproduktion angewiesen. Deshalb ist es in unserem Interesse, Hürden bei der Transformation zum Wasserstoff frühzeitig zu überwinden und Chancen schneller zu nutzen“, sagt deren Geschäftsführer Rasmus Beck.

Um grünen Stahl herzustellen, wird Thyssenkrupp Steel für die erste in Duisburg geplante Direktreduktionsanlage nach eigenen Angaben täglich 400 Tonnen Wasserstoff benötigen. Das entspreche dem Zwölffachen des randvollen Gasometers in Oberhausen. Bislang ist aber völlig unklar, woher die großen Mengen kommen sollen. „Es gibt zu wenig grünen Wasserstoff und er ist zu teuer. Wir müssen in Deutschland weg von der grünen Farbenlehre und auch blauen Wasserstoff für den Hochlauf stärker zulassen“, fordert deshalb auch Beck.

Duisburg plant Wasserstoff-Bildungszentrum

Die Studie aus Bochum habe man auch deshalb in Auftrag gegeben, weil die Industriestadt Duisburg in besonderem Maße auf Wasserstoff angewiesen sei. „In Duisburg bekommen wir einen Pipeline-Anschluss und haben mit dem Hafen alternative Transportwege. Die Abnehmer des Wasserstoffs sitzen gleich vor der Haustür. Und Duisburg hat einschlägige Forschungseinrichtungen“, zählt Wirtschaftsdezernent Michael Rüscher auf und leitet daraus ab: „Das macht uns einzigartig.“ Alleinstellungsmerkmal dürfte zudem sein, dass Duisburg ein Bildungszentrum bauen will, das Mitarbeitende aus den Unternehmen für die Umstellung auf Wasserstoff qualifizieren soll.

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