Berlin. Die Bundesregierung sagt: CO₂ unterm Meer zu speichern, ist künftig unvermeidlich. Doch es gibt große Fragezeichen bei diesem Plan.

Die Idee ist einfach: Wenn es gelingt, Kohlenstoffdioxid, das etwa bei industriellen Prozessen entsteht, schon in diesem Moment aufzufangen und zu verhindern, dass das Gas in die Atmosphäre kommt, kann es dort auch nicht den Klimawandel weiter anheizen. Das Stichwort heißt Carbon Capture and Storage, also die Abscheidung und Speicherung des Treibhausgases CO₂, kurz CCS.

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Der Weltklimarat IPCC rechnet in den Szenarien, in denen die Menschheit es schafft, dauerhaft unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, schon seit Längerem den Einsatz von CCS ein. Jetzt rückt das Thema auch in Deutschland in den Fokus. In der Bundesregierung ist man überzeugt, dass Klimaneutralität in Deutschland ohne diesen Ansatz nicht zu haben ist.

Im Mai beschloss das Bundeskabinett deshalb die Eckpunkte für eine Carbon-Management-Strategie und gleichzeitig einen Änderungsentwurf für das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz, der den Weg frei machen soll für CCS auch in Deutschland. Auch der Transport von CO₂ und die Offshore-Speicherung sollen so möglich werden.

Offshore heißt: unter der Nordsee. Ein bis drei Kilometer unter dem Meeresboden in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) finden sich Gesteinsformationen, die geeignet sind für die Speicherung von CO₂. Durchlässiger Sandstein, in den sich das Gas hineinpressen lässt, darüber undurchlässige Schichten von Tongestein. „Durch den kommt das Gas nicht durch, das ist sicher“, sagt Klaus Wallmann, Experte vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Es sei denn, es gibt Störungen.“ Störungen können zum Beispiel Altbohrungen im Gestein sein, aus denen das Gas wieder austreten kann. Sind die vorhanden in einem Gebiet, in dem gespeichert werden soll, müssen sie aufwändig abgedichtet werden.

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Klimawandel: Eine bis sechs Milliarden Tonnen Speicherpotenzial für CO₂ unterm Meer

Wallmann leitet das Projekt Geostor, in dem seit einigen Jahren CO₂-Speicherung unter der Nordsee erforscht wird. Theoretisch ist das Speicherpotenzial nach den Ergebnissen der Gruppe groß, eine bis sechs Milliarden Tonnen Kohlendioxid könnten unter dem Meer verpresst werden. Praktisch allerdings wird das deutlich eingeschränkt. Die Speicherung in Meeresschutzgebieten soll auch in Zukunft ausgeschlossen sein. Und jenseits davon wird die Nordsee bereits intensiv genutzt, für Fischerei und Schifffahrt, aber auch militärisch, für Kommunikationskabel oder für Offshore-Windenergie. In vielen Gebieten kann es also zu Nutzungskonflikten kommen.

Das liegt auch an der Art, wie das CO₂ in den Boden kommt. Denn beim Verpressen von CO₂ steigt der Druck im Gestein. Wird er zu hoch, können Erdbeben die Folge sein. „Die spürt man an Land nicht“, sagt Wallmann, „aber Infrastruktur am Meeresboden können sie beschädigen.“

Insgesamt, sagt Wallmann, sei Deutschland bei dem Thema hinterher. Bevor hierzulande CO₂ gespeichert werden könne, müssten Genehmigungen eingeholt und Erkundungsbohrungen gemacht werden. „Das dauert – bis tatsächlich CO₂ verpresst wird, wird es Mitte der 2030er-Jahre sein.“

In der Bevölkerung ist das Verfahren bislang kaum bekannt

Im Bundeswirtschaftsministerium betont man, dass die Vermeidung von Emissionen weiterhin im Zentrum der Anstrengungen stehe. Doch CCS sei eine notwendige Ergänzung: „Sonst sind die Klimaziele nicht zu erreichen“, sagte ein Sprecher unserer Redaktion.

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Gemessen daran, welches Gewicht die Bundesregierung dem Verfahren beimisst, ist CCS in der Bevölkerung relativ unbekannt. Nur 28 Prozent der Bundesbürger haben bisher von der Technologie gehört, wie eine repräsentative Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für unsere Redaktion ergab. Gleichzeitig finden 42 Prozent die Pläne der Bundesregierung richtig, bestimmte Industriezweige mittels CCS-Technologie CO₂-Ausstöße einzufangen und unterirdisch speichern zu können. Jeweils jeder Dritte findet das Vorhaben entweder falsch oder hat keine harte Meinung.

Umweltverbände sind beim Thema CCS gespalten

Umweltverbände sind in ihrer Position zur CO₂-Speicherung gespalten. „CCS ist ein Irrweg!“, warnt etwa Greenpeace-Energieexpertin Anike Peters. Sie sieht darin eine „teure und unerprobte Technologie mit erheblichen Risiken“. Die beiden einzigen existierenden Projekte in Europa aus Norwegen zeigten „massive“ technische Probleme. Zudem gebe es keine verlässlichen Langzeitstudien zur sicheren unterirdischen Lagerung von CO₂, sagte Peters unserer Redaktion. Ihr Fazit: Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Förderung CO₂-freier Produktionsprozesse seien „der einzige Weg, die Klimakrise zu bewältigen und eine lebenswerte Zukunft zu sichern“.

An erster Stelle stehe, die klimaschädlichen Emissionen zu vermeiden, das sei zudem günstiger, als sie zu speichern, betont auch Nabu-Expertin Steffi Ober. Um die CCS-Technologie komme man dennoch nicht herum: „Wir werden es sonst nicht schaffen, unsere Klimaziele zu erreichen und den Anstieg der Temperaturen zu begrenzen.“ Die Kraft von natürlichen CO₂-Speichern wie Wäldern und Mooren reiche dafür nicht aus. „Zudem werden wir 2045 in der Landwirtschaft und in bestimmten Industriezweigen wie der Zement- und Kalkproduktion sowie der Müllverbrennung noch immer einen zu hohen Ausstoß haben“, sagt Ober unserer Redaktion.

Greenpeace lehnt es ab, diesen Industrien durch die CO₂-Endlagerung einen Ausweg zu verschaffen. „Die Industrie gaukelt uns vor, CO₂-Endlager wären eine Lösung“, kritisiert Peters. „Die Technologie weiterzuverfolgen, lenkt von echtem Klimaschutz ab.“ Auch knapp 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger befürchten der Civey-Umfrage zufolge, dass sich die entsprechenden Industrien weniger um eine klimafreundliche Produktion bemühen, wenn sie ihre Emissionen unterirdisch speichern können.

Dass in absehbarer Zeit CO₂ im deutschen Meeresboden gespeichert wird, erwartet die Nabu-Expertin Ober allerdings ohnehin nicht. Am realistischsten sei erst einmal ein Export nach Norwegen. Die hierzulande infrage kommenden Gebiete müssten erst erforscht werden, dann die Infrastruktur wie Pipelines gebaut werden – und auch nur dort, wo es keine gravierenden Folgeschäden für das marine Ökosystem gebe, zählt Ober auf. Das alle werde sicherlich zehn Jahre dauern.

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Noch skeptischer beurteilt Ober die Aussicht, CO₂ an Land zu speichern. „Geologisch geeignet wären dafür Orte in Norddeutschland oder das Alpenvorland in Bayern“, analysiert Ober. Doch ob Stromnetze, Atomendlager oder Windkraft – gerade Bayern sperrt sich beharrlich, wenn es um große Energieprojekte geht. Auch anderswo könnte es großen Widerstand geben, wenn es um die umstrittene Technologie geht. „Dass Bundesländer sich für die Speicherung an Land entscheiden, erwarte ich nicht“, sagt Ober daher.

„Wir können verstehen, dass sich Menschen Gedanken und auch Sorgen um die Risiken der Speicherung machen“, fügt Ober hinzu. Sie hält das Risiko eines Austritts allerdings für gering, wenn geologisch geeignete Orte ausgewählt werden. „Die Bundesregierung muss die Pläne aber öffentlich thematisieren und eine Debatte mit der Bevölkerung beginnen, um Rückhalt für die Speicherung von CO₂ zu bekommen.“

Anmerkung: Civey hat für Funke vom 09.08. bis 12.08.2024 online rund 5.000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ab 18 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind aufgrund von Quotierungen und Gewichtungen repräsentativ unter Berücksichtigung des statistischen Fehlers von 2,5 Prozentpunkten (Gesamtergebnis).

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