Essen. „Photovoltaik ist die Zukunft“, sagt Mona Neubaur. Die Förderung hat NRW aber gestrichen. Warum die Ministerin Himbeeren im RWE-Kohlegebiet isst.

  • In Deutschland wird zunehmend auf erneuerbare Energien gesetzt. Vor allem Windkraft und Solarenergie (Photovoltaik) sind im Kommen. Eine neue Methode, Agri-PV, soll die Stromerzeugung und den Ackerbau verbinden, um Flächen sinnvoll zu nutzen.
  • RWE hat kürzlich eine Agri-PV Demonstrationsanlage eröffnet, die von Mona Neubaur als „unverzichtbar für die Energiewende in Nordrhein-Westfalen“, gelobt wird.
  • Trotzdem hat das NRW die Förderung für Agri-Photovoltaik gestrichen. Wie passt das zusammen?

Angesichts der Energiekrise und des Klimawandels steht Deutschland vor einer entscheidenden Frage: Wie soll die Energiegewinnung der Zukunft aussehen? NRW will bis 2030 aus der Braunkohle aussteigen und setzt zunehmend auf erneuerbare Energien. Wind- und Solaranlagen gelten als Schlüssel zur Ablösung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas und Erdöl. Doch während Windräder Platz in der Luft finden, entsteht bei Solaranlagen ein Flächenkonflikt, da sie viel Bodenfläche beanspruchen.

Eine Lösung für das Problem könnten Agri-Photovoltaik-Anlagen sein, über die gerade viele Bauern nachdenken: Hier werden landwirtschaftliche Flächen doppelt genutzt – auf Stützen gebaut erzeugen Solarpanels Strom, darunter wird Ackerbau betrieben. „Unverzichtbar für die Energiewende“, nennt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) die Agri-PV bei der Eröffnung einer Demonstrationsanlage von RWE im Rheinischen Revier. Seine Förderung hat das Land allerdings Anfang des Jahres erstmal gestrichen.

Agri-PV-Anlagen: „Großes Potenzial für die Zukunft“

„Wir sehen in Agri-Photovoltaikanlagen als Ergänzung zu den üblichen Dachanlagen großes Potenzial für die Zukunft“, sagt Ralf Köpke, Pressesprecher Landesverband Erneuerbare Energie (LEE). Der Verband fordert, den Bau der Anlagen deutlich auszubauen. Laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) würden nur rund vier Prozent der deutschen Agrarflächen ausreichen, um mit hoch aufgeständerter Agri-PV bilanziell den gesamten aktuellen Strombedarf in Deutschland zu decken.

Eine Übersicht des Instituts zeigt, dass es bundesweit bislang erst 19 Agri-PV-Systeme gibt (Stand Februar 2024). Davon befinden sich nur zwei in NRW. Darüber hinaus laufen einige Forschungsprojekte in Deutschland. Eine Studie der Universität Göttingen und des ISE von Februar 2023 zeigt, dass viele Landwirte Agri-PV befürworten, jedoch den bürokratischen Aufwand und unklare rechtliche Rahmenbedingungen als problematisch empfinden.

„Um die Agri-PV-Anlagen attraktiver zu machen, muss auch von unserer Regierung mehr passieren.“

Ralf Köpke
Sprecher des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW e.V.

Natürlich ist das auch Neuland für die Behörden, ergänzt Köpke. „Was aber fehlt, ist eine Informationskampagne für Landwirte.“ Es gebe schon sehr viel Forschung auf dem Gebiet, die Ergebnisse seien fast durchweg positiv. Aber der bürokratische Aufwand müsste vereinfacht werden. Er erinnert sich an Landwirt Fabian Karthaus, der einen regelrechten Genehmigungsmarathon hinter sich gebracht habe, bis er Agri-PV-Anlagen auf seinem Gelände bauen durfte.

Der Landwirt aus Büren-Steinhausen war einer der ersten, der Agri-PV installiert hat. Seit 2021 betreibt er zusammen mit seinem Cousin zwei Anlagen, auf denen Himbeeren, Blaubeeren und Brombeeren angepflanzt werden. Eine Dritte ist gerade in Arbeit, aber noch nicht bepflanzt. „Es ist eigentlich eine Win-win-Situation“, sagt Karthaus. Durch das Solardach bekommen die Beeren Schutz vor äußeren Einflüssen wie Sonne, Frost oder Starkregen. Im Gegenzug produzieren die Solarpanels Strom. Den verbraucht der 36-Jährige teils für den Eigenbedarf, der Rest wird ins Stromnetz eingespeist. Auch er sagt: „Wenn die Regierung wirklich auf erneuerbare Energien setzen will, muss sie uns in Zukunft weiter unterstützen.“

RWE Demonstrationsanlage bekommt hohe Fördersumme vom Land NRW

Auch RWE, größter Stromerzeuger Deutschlands, versucht seit Jahren, vom Kohlekonzern zum grünen Energielieferanten aufzusteigen. In Bedburg, in der Nähe des Tagebaus Garzweiler, hat der Konzern jetzt für 3,5 Millionen Euro eine sieben Hektar große Demonstrationsanlage für Agri-PV mit 6100 Solarmodulen errichtet, die genügend Strom für 1044 Haushalte liefern soll. NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur und RWE haben ihn kürzlich offiziell in Betrieb genommen – und mit 650.000 Euro aus dem Programm progres.nrw gefördert.

Auf der Anlage werden drei verschiedene Systeme getestet. Die Solarmodule stehen teilweise vertikal auf dem Boden, damit Bauern dazwischen mit ihren Treckern pflügen können. Andere sind auf einer beweglichen Achse montiert, um dem Sonnenlauf folgen zu können. Nach und nach soll alles angebaut werden, was in Deutschland so üblich ist, zum Beispiel Kartoffeln, Weizen oder Soja. Bei der dritten Version wurden die Module erhöht auf einer Pergola-ähnlichen Unterkonstruktion angebracht. Hier baut ein regionaler Bauer Himbeeren an.

Katja Wünschel, CEO für erneuerbare Energien bei RWE, und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur probieren Himbeeren, die unter einem Solardach gewachsen sind.
Katja Wünschel, CEO für erneuerbare Energien bei RWE, und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur probieren Himbeeren, die unter einem Solardach gewachsen sind. © ddp/Panama Pictures | Panama Pictures

Fünf Jahre will RWE hier forschen, nach einem Jahr erste Ergebnisse präsentieren. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt vom Forschungszentrum Jülich und dem Fraunhofer-Institut. Durch die Anlage in Bedburg könne man dazu beitragen, das volle Potenzial dieser Technik zukünftig auszuschöpfen, sagt RWE-Ökostrom-Chefin Katja Wünschel, „und auch anderen Landwirten die Angst nehmen“. Zum Beispiel gebe es bei einigen noch Unsicherheiten, ob die Bearbeitung des Bodens durch Agri-PV erschwert wird oder wie sich die veränderten Lichtverhältnisse auswirken.

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In hohen Tönen lobt auch Mona Neubaur das Pilotprojekt als „ein zentrales Element des Strukturwandels im Rheinischen Revier und zugleich unverzichtbar für die Energiewende in Nordrhein-Westfalen.“ Die RWE-Anlage sei zudem wegweisend für weitere Landwirte, um die Vorteile dieser Art der Energiegewinnung aufzuzeigen. „So wie hier will die Landesregierung die zukünftige Flächennutzung angehen.“

Agri-PV könne einen wichtigen Beitrag leisten, denn knappe Flächen würden dadurch doppelt genutzt: „Für die Landwirtschaft, aber auch für die Erzeugung grünen Stroms, den wir dringend brauchen.“ Für die Pressefotos probiert die Ministerin noch ein paar der ersten Himbeeren, die unter einer der Solaranlagen gewachsen sind – und ist dann auch schnell wieder weg. Unsere Nachfrage, warum das Land diese „zukunftsweisende Technik“, wie Neubaur sie nennt, nicht mehr fördert, müssen wir schriftlich nachreichen.

Obwohl Mona Neubaur Solarenergie in höchsten Tönen lobt: NRW hat Fördersummen ab Anfang 2024 ausgesetzt

„Die Förderung ist seit Anfang 2024 ausgesetzt“, teilt das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium mit. Gemeint ist das ganze Programm progres.nrw, aus dem auch Agri-PV-Anlagen gefördert wurden. Das Ministerium verspricht: „Sobald entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, ist eine Wiederaufnahme der Förderung geplant.“ RWE hatte den Antrag noch vor der Einstellung eingereicht.

Doch obwohl der im Vergleich zu normalen Solaranlagen teure Bau aktuell nicht subventioniert wird, klingen die Bedingungen durchaus attraktiv: Betreiber erhalten 20 Jahre lang einen garantierten Abnahmepreis für den Strom, den sie ins allgemeine Netz speisen. Mit dem letzten Solarpaket der Bundesregierung wurden die Vergütungen für Agri-PV-Anlagen mit bis zu einem Megawatt Leistung auf 9,5 Cent je Kilowattstunde erhöht, das sind rund anderthalb Cent mehr als für Strom aus privaten Solaranlagen etwa auf dem Dach gezahlt wird.

Für Landwirte betont das NRW-Ministerium zudem einen positiven Doppeleffekt, der ihre betriebswirtschaftlichen Risiken senkt: Denn mit Agri-PV können sie zweierlei Einnahmen erzielen, aus dem Getreide- oder Obstanbau und der gleichzeitigen Stromerzeugung. Letztere könne schwache Erträge in Jahren mit schlechter Ernte auffangen.

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