Essen. Weil die USA ihre Strafzölle auf Solarmodule verdoppeln, könnte die EU nachziehen. Doch RWE und Europa brauchen chinesische Module. Ein Dilemma.

Die deutsche Stahl- und die Autoindustrie bekommen die Eskalation im Handelskrieg zwischen den USA und China bereits zu spüren. Weil US-Präsident Biden den heimischen Markt für chinesische Elektroautos dicht macht und auch die Strafzölle auf Stahl drastisch erhöht, befürchtet etwa Thyssenkrupp eine Zuspitzung der Absatzkrise. Da Biden auch die Zölle auf chinesische Solarzellen verdoppelt hat, drohen hier ebenso negative Folgen in Europa. Eigene EU-Strafzölle würden die Energiewende verteuern, noch mehr Billigimporte dagegen die heimische Solarindustrie womöglich die Existenz kosten. Ein Dilemma.

Dem Essener RWE-Konzern, der sowohl in den USA als auch in Europa besonders mit neuen Solarparks wachsen will, dürfte das nicht gefallen. RWE-Finanzchef Michael Müller sagte auf Nachfrage unserer Redaktion, er beteilige sich bezüglich möglicher EU-Strafzölle auf chinesische Solarmodule nicht an Spekulationen. Gleichwohl stellte er klar: „Damit der geplante Ausbau der Solarenergieerzeugung gelingt, braucht es genügend Kapazitäten in den Lieferketten.“ Und die europäischen Produktionskapazitäten für Solarmodule seien dafür „nicht ausreichend“.

Ohne chinesische Solarmodule würde der Ausbau stocken oder teurer

Im Klartext heißt das: Ohne chinesische Solarmodule, die 80 Prozent des Weltmarktes abdecken, wird die Energiewende in Deutschland und Europa nicht gelingen. Strafzölle würden sie zudem erheblich teurer machen. Selbst die heimische Industrie ist zumindest auf viele Teile aus China angewiesen, weshalb sie selbst gegen Strafzölle ist. Jene Teile der Branche, die damit handeln, Dächer decken und Solarparks bauen, profitieren sogar von den Dumpingpreisen.

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Für RWE gewinnt der Solarausbau zunehmend an Bedeutung, der Konzern wächst hier derzeit am schnellsten. Die Stromerzeugung aus Solaranlagen hat RWE in den ersten drei Monaten dieses Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt. Insgesamt hat RWE derzeit Ökostrom-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 8,3 Gigawatt (GW) im Bau, den größten Anteil davon (3,2 GW) haben Solarparks.

Finanzchef Müller hebt Dutzende Solarprojekte in Europa hervor, in Italien, Griechenland, aber auch im rheinischen Braunkohlerevier. Doch der mit weitem Abstand größte Solarmarkt sind für die Essener die USA. Besorgt RWE daher Bidens verschärfter Protektionismus mit einer Verdoppelung der Strafzölle auf chinesische Solarzellen von 25 auf 50 Prozent? „Diesen Trend, die lokale Solarindustrie zu schützen, gibt es dort schon länger, entsprechend konnten wir uns darauf einstellen“, sagt Finanzchef Müller. RWE kaufe in den USA bereits Produkte nichtchinesischer Hersteller. „Insofern haben die jüngsten Entwicklungen keine unmittelbaren Auswirkungen für uns.“

RWE unterstützt Ausschreibungs-Boni für heimische Solarindustrie

Die Folgen für Europa sind freilich noch nicht absehbar. China hat seine Solarproduktionskapazitäten im vergangenen Jahr mal eben verdoppelt - und produziert mehr als der gesamte Weltmarkt nachfragt. Das sorgt für eine Billigschwemme in Europa, die Bidens neue Strafzölle nun weiter verschärfen könnten: Anbieter aus China verkauften hiesigen Herstellern zufolge ihre Module in Europa zuletzt um bis zu 50 Prozent unter ihren Produktionskosten.

Vor allem deshalb sind die Preise in Europa zuletzt drastisch eingebrochen. Mit den derzeit rund 15 Cent je Kilowattstunde können deutsche Hersteller ihrem Verband zufolge nicht mal annähernd ihre Produktionskosten decken. Die EU-Kommission hat deshalb im April ein Verfahren wegen illegaler Subventionen gegen zwei chinesische Hersteller eingeleitet. Doch auch sie wähnt sich in einer Zwickmühle, will ihren „Green Deal“ mit ehrgeizigen Ausbauplänen nicht gefährden.

Selbst die Solarindustrie lehnt EU-Strafzölle ab

Der Bundesverband der Solarwirtschaft lehnt Strafzölle trotz der offensichtlichen Wettbewerbsnachteile ab. Stattdessen hatte er gefordert, mit Unterstützung von RWE und EnBW, dass heimische Module in Deutschland bei künftigen Ausschreibungen bevorzugt werden, etwa indem ein bestimmter Anteil heimischer Produkte in neuen Solarparks vorgeschrieben wird. Doch im jüngst verabschiedeten Solarpaket fehlt dieser sogenannte Resilienzbonus, den vor allem die Grünen durchsetzen wollten, der aber an der FDP gescheitert ist.

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Deutschlands größter Stromerzeuger zeigt sich optimistisch, den Zubau erneuerbarer Energien weiter beschleunigen zu können. Die Investitionen zahlten sich aus, sagte Müller bei der Vorlage der Quartalsbilanz. Vor allem mit Meereswindparks und Solaranlagen hat RWE zu Jahresbeginn deutlich mehr Strom erzeugt. Der Anteil der besonders klimaschädlichen Braunkohle ging dagegen weiter zurück, sie sorgt inzwischen nur noch für rund ein Viertel des RWE-Stroms.

Sinkende Strompreise lassen RWE-Gewinn einbrechen

Die zuletzt im Großhandel stark gesunkenen Strompreise haben aber wie erwartet die im vergangenen Jahr enorm hohen RWE-Gewinne wegschmelzen lassen: Der operative Gewinn (bereinigtes Ebitda) sank um knapp ein Viertel auf 1,7 Milliarden Euro, der Nettogewinn noch stärker von 1,3 Milliarden auf 800 Millionen Euro.

RWE hält an seiner bisherigen Jahresprognose fest, 2024 operativ 5,2 als 5,8 Milliarden Euro zu verdienen und netto 1,9 bis 2,4 Milliarden Euro. Finanzchef Müller geht nun aber davon aus, am unteren Rand der genannten Spannen zu landen. An der Börse waren die Ergebnisse in etwa so erwartet worden, entsprechend blieb die RWE-Aktie nach der Bilanzvorlage stabil.

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