Dortmund. Die Dortmunder Stadtwerke werden derzeit gleich von zwei Skandalen erschüttert. Was ist da los? Ein Überblick.

Die Dortmunder Stadtwerke erleben schwere Turbulenzen: Der Energieversorger hat sich mit überteuerten Einkäufen verzockt, bei einer Ökoenergietochter sollen Kunden im großen Stil betrogen worden sein. Die Stadtwerkechefin musste gehen, der Oberbürgermeister gerät als oberster Kontrolleur unter Druck. Und es gibt immer noch jede Menge offene Fragen. Wir versuchen, den Überblick zu geben darüber, was derzeit bekannt ist – und was nicht.  

Was ist da eigentlich passiert? 

Die Dortmunder Stadtwerke DSW21 werden gleich von zwei Skandalen erschüttert. Die Konzerntochter DEW21, also der Dortmunder Energie- und Wasserversorger, soll sich in der Energiekrise 2022 massiv beim Einkauf von Strom und Gas verzockt haben. Den Schaden beziffern die Wirtschaftsprüfer auf bis zu 100 Millionen Euro. Außerdem soll bei einer Tochter der DEW21, dem Ökoenergieanbieter Stadtenergie, ein Mitarbeiter im großen Stil Kundenrechnungen manipuliert haben. Derzeit erwarteter Schaden aus allen Unregelmäßigkeiten bei Stadtenergie für den Mutterkonzern: 74 Millionen Euro.

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Besonders bitter ist der hohe Schaden, weil ihn am Ende die Dortmunder Bürger haben: Die Stadtwerke gehören der Stadt. Politisch gerät deswegen Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) ins Visier. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender sowohl von DSW21 als auch von DEW21 und hatte die Aufgabe zu kontrollieren, dass in den Unternehmen alles mit rechten Dingen zugeht. Ein prominentes Opfer hat die Krise auch schon: Stadtwerkechefin Heike Heim wurde vor wenigen Wochen fristlos entlassen.  

Worum geht es beim Skandal um die Ökotochter Stadtenergie? 

Ein leitender Mitarbeiter des Ökoenergie-Anbieters Stadtenergie soll Energieabrechnungen manipuliert und Kunden zu hohe Kosten für Gas und Strom in Rechnung gestellt haben. 36 Millionen Euro soll er auf diese Weise bei Kunden zu viel kassiert haben – nach derzeitigem Ermittlungsstand allerdings nicht, um sich selbst zu bereichern. Er habe die Kunden betrogen, und die „Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens positiver darstellen wollen, um seiner Karriere Vorschub zu leisten“, heißt es von der Staatsanwaltschaft, die seit einigen Wochen ermittelt und bereits das Auto und die Wohnung des Mannes durchsucht hat.  

Stadtenergie wurde 2020 als konzerneigenes Start-up des Dortmunder Energieriesen DEW21 gegründet. Das Team aus anfangs gerade einmal fünf Mitarbeitern sollte im Internet Gas- und Strom-Kunden aus ganz Deutschland gewinnen. Dabei sollte Stadtenergie unabhängig vom Mutterkonzern neue IT-Lösungen ausprobieren und die Kunden rein digital verwalten. Die Idee: ein digitales Schnellboot als Innovationsschmiede für den Konzern. 

Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD): Der oberste Kontrolleur der Stadtwerke gerät unter Druck.
Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD): Der oberste Kontrolleur der Stadtwerke gerät unter Druck. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Doch trotz teils massiven Wachstums begannen früh die Probleme: Schon Anfang 2022 gab es erste massive Beschwerden im Netz, ab Sommer 2022 tauchten massenhaft Beschwerden in Bewertungsportalen auf. Dennoch wuchs das Unternehmen 2022 rasant: Der Umsatz stieg von 18 auf 92 Millionen Euro, die Mitarbeiterzahl indes nur von acht auf zehn.  

In dieser Phase begann nach bisherigem Ermittlungsstand auch der Betrug. Der leitende Angestellte soll Strom- und Gasabrechnungen für die Jahre 2022 und 2023 manipuliert haben. Dafür soll er die massiven Preisentwicklungen in Folge des Ukrainekriegs sowie die damit verbundenen politischen Maßnahmen genutzt haben. So soll er etwa Entlastungen wie die Mehrwertsteuersenkung auf Gas nicht oder erst Monate später bei den Abrechnungen der Kunden berücksichtigt haben. Auch als später die Marktpreise sanken, soll er diese Entlastung nicht an die Kunden weitergegeben haben. Zehntausende sollen dadurch zu viel bezahlt haben. 

Dass etwas bei dem Start-up nicht stimmt, will man bei DEW21 erst in diesem Frühjahr bemerkt haben. Bei den Vorbereitungen zum Jahresabschluss seien Unregelmäßigkeiten aufgefallen, heißt es. Was das genau bedeutet, möchte das Unternehmen derzeit nicht erklären.  

Mitte April wurde der leitende Mitarbeiter freigestellt, anschließend hat der Mutterkonzern eine Prüfung durch Wirtschaftsprüfer und Datenanalysten beauftragt. Die untersuchen neben dem Betrug die Frage, ob versucht wurde, die wirtschaftliche Situation des Start-ups zu schönen. So steht die Frage im Raum, ob durch Geschäfte zwischen dem Mutterkonzern DEW21 und der Stadtenergie Kosten vom Start-up in den Konzern verschoben wurde.  

Insgesamt rechnet die DEW21 mit Verlusten von 74 Millionen Euro aus dem Skandal der Stadtenergie. Wie genau sich diese Kosten zusammensetzen, verrät das Unternehmen nicht.  

Was tut das Unternehmen nun? 

Knapp sechs Wochen nach der Entdeckung der Unregelmäßigkeiten informierten DEW21 und Stadtenergie am 24. Mai die Öffentlichkeit. Das Unternehmen versprach damals, auf alle Kunden zuzugehen, um sie zu entschädigen. Bisher wurden diese Entschädigungen allerdings noch nicht gezahlt.

Nach Angaben von DEW21 werden derzeit mehr als 100.000 Kundenvorgänge, sprich Verträge, von den Datenanalysten und Wirtschaftsprüfern durchleuchtet. Man könne noch nicht sagen, wie viele Kunden betroffen seien – viele Kunden hätten auch mehrere Verträge, etwa für Strom und Gas.

Seit Juni hat Stadtenergie nach Angaben der DEW21 die Abschläge für ihre Kunden ausgesetzt, das soll die Kunden unmittelbar entlasten. Das Unternehmen hofft, im Herbst alle Auswertungen fertig zu haben und mit der Rückzahlung der zu viel abkassierten Kosten zu beginnen.    

Was ist mit dem Mitarbeiter passiert? 

Der Mitarbeiter wurde nach Bekanntwerden der Manipulationen Mitte April von seinen Aufgaben entbunden. Ob seine Kündigung rechtens ist, darum wird gerade noch vor dem Arbeitsgericht Dortmund gestritten. Das Unternehmen wirft dem Mann vor, die tatsächliche Bilanz der Stadtenergie durch die unzutreffenden Abrechnungen mit falschen Zahlen verschleiert zu haben. Zudem soll der Mann im Umgang mit seinen Mitarbeitern teils sehr harsch umgegangen sein und im Zusammenhang mit der Nutzung seines Dienstwagens falsche Angaben gemacht haben, heißt es vom Arbeitsgericht. Auf eine Anfrage der WAZ reagierte er nicht.  

Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft wegen „Betrugs in Drittbereicherungsabsicht“ gegen ihn. Bei einer Durchsuchung seines Autos und seiner Wohnung am 16. Juli wurden Datenträger sichergestellt. 

Was passiert mit dem Unternehmen? 

Vieles spricht dafür, dass das Unternehmen Stadtenergie nach diesem Imageschaden vom Markt verschwindet und die verbleibenden Kunden an die DEW21 übergeben werden. Die bisherigen Führungskräfte des Unternehmens wurden im Frühjahr ausgetauscht. Die DEW21 äußert sich bisher nicht zu ihren Plänen.  

Welche Fragen sind im Fall Stadtenergie offen?  

Viele Fragen zu Details des Betrugs beantworten DEW21 und DSW21 nicht. Bisher ist für Außenstehende völlig unklar, wie der Mitarbeiter offenbar zehntausende von Kundendaten manipulieren konnte – ohne dass irgendjemandem etwas aufgefallen sein soll. Kann ein einzelner Mitarbeiter das in diesem Umfang? Gab es Mitwisser oder Unterstützer? Unklar ist zudem, mit welchen möglichen anderen Maßnahmen die Bilanz geschönt worden sein soll – und wer daran beteiligt war.  

Worum geht es bei den Problemen mit der Beschaffung? 

Als die Energiepreise in Folge des Ukrainekriegs im Spätsommer 2022 ihren Höhepunkt erreichten, kaufte die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung (DEW21) gleich für mehrere Jahre Energie ein. Öffentlich warnte der Konzern damals, dass sich die Preise verzwölffacht hätten und es riesige Preissprünge gebe. Gleichzeitig schloss das Unternehmen langfristige Lieferverträge für große Mengen an Strom und Gas ab.  

Die damalige Geschäftsführerin Heike Heim erklärte zu der Zeit in einem Interview, sie erwarte, dass die Preise sich bis 2024 nicht erholen würden. Entgegen dieser Einschätzung sanken die Preise jedoch wieder deutlich. Durch die langfristigen Verträge muss der Konzern Energie nun stark unter dem Einkaufspreis an die Kunden weitergeben – es entstehen hohe Verluste. 

Den Stadtwerken könnte dadurch ein Schaden von bis zu 100 Millionen Euro entstanden sein, haben die Wirtschaftsprüfer von PwC errechnet. In ihrem Gutachten kommen die Prüfer zu dem Schluss, dass damals beim Energiekauf gegen Regeln verstoßen worden sein soll. Die Entscheidung zu den langfristigen Verträgen soll etwa nur im kleinen Kreis getroffen worden sein, ohne die zuständigen Gremien zu informieren.  

Nach der Vorstellung des Gutachtens wurde Heike Heim, die zwischenzeitlich zur Chefin des Mutterkonzerns DSW21 befördert wurde, von ihren Aufgaben entbunden. Der Aufsichtsrat beschloss zunächst, sie freizustellen – wenige Tage später wurde sie dann fristlos entlassen.

Welche Fragen sind bei der Beschaffung offen? 

Auch bei der Beschaffung stellt sich die Frage, wer beteiligt war – und wieso offenbar sämtliche Mechanismen versagten, die solche Risiken im Normalfall minimieren sollen. Kritische Fragen stellen sich auch an den Aufsichtsrat unter Vorsitz von Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD), der nach eigenen Angaben von dem Treiben bei DEW21 erst durch das PwC-Gutachten erfahren habe.

Besonders merkwürdig ist die Begründung für die fristlose Entlassung von Heim. Offiziell äußert sich der Konzern nicht, kolportiert wird, die Entlassung sei wegen des Energieeinkaufs geschehen. Das wiederum wirft weitere Fragen auf: Die fraglichen Energiegeschäfte wurden im Spätsommer 2022 geschlossen. Spätestens im Frühjahr 2023 war klar, dass es bei der DEW21 nicht gut läuft, das Unternehmen brauchte wegen der Folgen der Energiekrise eine Bürgerschaft in Höhe von bis zu 340 Millionen Euro von der Stadt.

Dennoch machte der Aufsichtsrat die mindestens organisatorisch verantwortliche DEW21-Chefin Heike Heim im Sommer 2023 zur neuen Chefin der Konzernmutter DSW21 – und kündigte ihr nun ein Jahr später wegen der Probleme bei den Einkäufen wieder fristlos. Warum sind diese Fehlentscheidungen nicht bereits vor einem Jahr aufgefallen?  

Fragen dazu beantworten die Beteiligten derzeit nicht. Heike Heim ließ gegenüber den „Ruhrnachrichten“ alle Vorwürfe als „haltlos“ bestreiten. Auf eine Anfrage der WAZ reagierte Heim bislang nicht.  

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