Essen. Versandriese hebt Einstiegslöhne in seinen Paketzentren um einen auf 15 Euro an. Warum Verdi das als Lohndiktat und zu wenig geißelt.

Seit nun schon elf Jahren liegt der US-Handelsriese Amazon in Deutschland mit der Gewerkschaft Verdi im Clinch. Regelmäßig wird in Rheinberg, Werne, Dortmund und anderen Verteilzentren von Amazon für bessere Löhne und Bedingungen gestreikt, vor allem aber für einen Tarifvertrag. Letzteren lehnt der weltgrößte Versandhändler kategorisch ab - und entscheidet allein darüber, was seine Beschäftigten verdienen. Etwas mehr, wie Amazon Deutschland am Mittwoch wissen ließ.

Den Einstiegslohn für seine Beschäftigten in der Logistik hebt Amazon nach eigenen Angaben um rund einen Euro auf 15 Euro in der Stunde an. Die Erhöhung soll ab September gezahlt werden, man habe dazu „Gespräche mit den Betriebsräten aufgenommen“, erklärte das Unternehmen in einer Mitteilung. Bisher lag der Mindeststundenlohn in den Verteilzentren des Versandhändlers je nach Region in Deutschland bei glatt 14 Euro oder etwas mehr.

Deutschlandticket für alle Amazon-Beschäftigten

Durch diese Anpassung erhielten Vollzeitmitarbeitende nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit einen durchschnittlichen Jahresbruttolohn von 39.000 Euro, erklärte das Unternehmen. Für Fachkräfte und Teamleiter wolle man den Stundenlohn auf 21 Euro die Stunde anheben, so Amazon. Dazu erhalte noch jeder der rund 20.000 Logistik-Beschäftigten ein Deutschlandticket für den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr.

Verdi kritisiert die eigenmächtige Lohnsetzung ohne Tarifbindung an sich und die jetztige Erhöhung als viel zu niedrig. „Bei einer hohen Inflation in 2023 und weiter steigenden Lebensmittelpreisen diktiert Amazon seinen Beschäftigten eine Entgelterhöhung von einem Euro für die Einstiegsgehälter“, sagte Bundesfachgruppenleiterin Corinna Groß unserer Redaktion. Dabei habe Amazon seinen Umsatz in Deutschland in den letzten zehn Jahren fast vervierfacht.

„Die Beschäftigten sind stinksauer. Viele wissen nicht einmal mehr, wie sie den Weg zur Arbeit finanzieren sollen“, sagt Verdi-Handelsexpertin Groß. Sie kämpften „weiter dafür, dass Amazon endlich an den Verhandlungstisch kommt, um über die Anerkennung der Flächentarifverträge zu verhandeln“.

Verdi: „Die Amazon-Beschäftigten sind stinksauer“

Wie Amazon selbst die Löhne bestimmt, ist für Verdi ein rotes Tuch und Ausdruck dafür, dass die Beschäftigten der „Willkür ihres Arbeitgebers“ ausgesetzt seien, kritisiert die Gewerkschaft schon lange. Seit 2013 versucht die Gewerkschaft vergeblich, Amazon zur Annahme des Flächentarifs im EinzeI- und Versandhandel zu bewegen.

Nur mit Tarifverträgen seien „Lohnsteigerungen sicher festgeschrieben, und es gibt darüber hinaus auch gesicherte Rahmenbedingungen und umfassende Sonderzahlungen für alle Tarifbeschäftigten bundesweit“ wirbt Groß. Die aktuelle Lohnsteigerung bei Amazon umfasse dieses Paket nicht. Angesichts der „extremen Gewinne, die der Konzern einfährt,“, sei der eine Euro mehr zudem „weit weg vom Möglichen und Nötigen“. Mit seiner Ablehnung des Tarifs untergrabe Amazon „die im deutschen Handel praktizierte Sozialpartnerschaft“.

Angriff auf die deutsche Sozialpartnerschaft?

Amazon betonte gegenüber unserer Redaktion, die Erhöhung sei an den Standorten seitens der Kolleginnen und Kollegen positiv aufgenommen“ worden, die Betriebsräte etwa in Dortmund und Rheinberg hätten bereits zugestimmt.

Insgesamt zählt Amazon in Deutschland derzeit rund 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - bis zum Jahresende sollen weitere 4000 hinzukommen. Die erhöhten Einstiegslöhne sollen helfen, genügend Zuwachs anzulocken. „Wir wollen hier attraktive Arbeitsplätze schaffen“, sagt Amazon-Deutschlandchef Rocco Bräuniger.

Zuletzt war Amazon auch übermäßige Überwachung durch Scanner, Apps und Kameras in den Verteilzentren vorgeworfen worden. Eine französische Datenschutzbehörde verhängte dafür ein Millionen-Bußgeld. In Deutschland bestätigte dagegen ein Gericht in Hannover die Rechtmäßigkeit der Praktiken.

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