Essen. Datenschützer in Frankreich verhängen 32-Millionen-Strafe gegen Amazon. Verdi hofft auf Signal auch für die deutschen Lager.

Mit jedem Klick an ihren Handscannern leisten die Beschäftigten von Amazon einen Arbeitsnachweis. Und mit jeder Sekunde, in der Frauen und Männer in den Verteilzentren nicht scannen, machen sie ihren Arbeitgeber auf ihre Untätigkeit aufmerksam und entsprechend skeptisch. So werten es Datenschützer in Deutschland und anderen Ländern. Nun hat erstmals eine Datenschutzbehörde in Europa eine saftige Strafe gegen den US-Versandriesen verhängt: Amazon soll in Frankreich 32 Millionen Euro zahlen - wegen Überwachung seiner Lagerbeschäftigten „teils bis auf die Sekunde“. Ist das in Deutschland anders, etwa in den NRW-Logistikzentren in Rheinberg, Dortmund und Werne?

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi versucht Amazon seit mehr als zehn Jahren in einen Flächentarif zu bekommen, hat dafür unzählige Streiks organisiert. Die Betriebsräte tun sich schwer, mit ihren Forderungen durchzudringen. Auch die Erfassung der Arbeit ist seit Jahren ein Thema. Entsprechend erfreut äußerte sich Corinna Groß, die Bundesfachgruppenleiterin für den Einzelhandel beim Verdi-Bundesvorstand, zu der Nachricht aus Frankreich. „Über so ein Urteil würden wir uns in Deutschland auch freuen. Das würde uns helfen“, sagte sie unserer Redaktion.

Amazon-Datenerfassung: Verbot in Niedersachsen von Gericht gekippt

Vor vier Jahren hatte die niedersächsische Datenschutzbeauftragte, Barbara Thiel, diese Amazon-Praxis nicht nur kritisiert, sondern sogar untersagt. Auch ihr stieß weniger die Erfassung der Scan-Daten als vielmehr die Auswertung und Nutzung für Mitarbeiterkritik auf. Thiel vertrat den Standpunkt, dass die ununterbrochene Erhebung der Leistungsdaten der Beschäftigten rechtswidrig sei. Damit kam sie allerdings vor Gericht nicht durch: Das Verwaltungsgericht Hannover erlaubte im Februar 2023 die Datenerhebung im niedersächsischen Amazon-Logistikcenter in Winsen. „Das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten überwiegt nicht die unternehmerischen Interessen von Amazon“, heißt es im Urteil (Az.: 10 A 6199/20).

Arbeit am Fließband im Dortmunder Amazon-Logistikzentrum. Verdi beklagt zu hohen Druck, Amazon betont, ohne moderne Technik und Datenerfassung gehe es nicht in der Logistik.
Arbeit am Fließband im Dortmunder Amazon-Logistikzentrum. Verdi beklagt zu hohen Druck, Amazon betont, ohne moderne Technik und Datenerfassung gehe es nicht in der Logistik. © WP - Wirtschaft | Vladimir Wegener

Seitdem hat Amazon in Deutschland bei diesem Thema zunächst einmal Ruhe. Die Kritik von Gewerkschaften und Politikern ebbt aber europaweit nicht ab. Erst an diesem Dienstag fand im EU-Parlament eine Anhörung zu den Arbeitsbedingungen in den Amazon-Lagern statt. Amazon selbst blieb der Anhörung im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten fern. Darüber waren mehrere Abgeordnete so erbost, dass sie forderten, Amazon-Lobbyisten künftig den Zutritt zum Europaparlament zu verweigern.

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Eine Gewerkschaftsvertreterin aus Polen schilderte den Abgeordneten ihre Sicht auf die Bedingungen bei Amazon: „Wir werden als Roboter betrachtet. Die Produktivitätsziele sind physisch einfach nicht möglich. Es gibt eine Menge Druck und eine Menge Überwachung der Arbeitnehmer“, sagte Agata Wypior. Corinna Groß, die Bundesfachgruppenleiterin für den Einzelhandel, sagte in Straßburg: „Amazon sorgt nicht für gute und sichere Arbeit, es sei denn, der Gesetzgeber zwingt sie dazu. Menschen werden aus gesundheitlichen Gründen entlassen - ohne vernünftige Gründe.“

Amazon blieb Anhörung zu Arbeitsbedingungen im EU-Parlament fern

Amazon hätte dazu Stellung nehmen sollen, schlug die Einladung aber aus, schriftlich mit den Worten, dies sei „kein guter Tag“, wie der Ausschussvorsitzende Dragos Pislaru berichtete. Das stimmte in einer Hinsicht schon - denn ebenfalls am Dienstag verkündete die französische Datenschutzbehörde CNIL, die französische Logistiktochter AFL des weltgrößten Onlinehändlers müsse 32 Millionen Euro Strafe zahlen.

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Die Frauen und Männer in den Amazon-Versandlagern stünden unter Dauerdruck, erklärte die Behörde, sogar die Zeit zwischen dem Betreten des Lagers und dem ersten Scan werde überwacht. Das sei „ein übergriffiges System zur Überwachung der Aktivitäten und Leistungen von Arbeitnehmern“, kritisieren die Datenschützer. Die Beschäftigten müssten jede Unterbrechung der Tätigkeit ihres Scanners rechtfertigen, auch wenn es nur wenige Minuten seien. Der Toilettengang kann demnach zu unangenehmen Fragen führen.

Amazon Deutschland: System wirkt sich positiv auf die Mitarbeiter aus

Amazon Deutschland wollte die Millionenstrafe in Frankreich nicht kommentieren, verwies dazu auf das Statement der dortigen Kollegen. Die hatten die Schlussfolgerungen der Datenschützer „sachlich falsch“ genannt und angekündigt, sich rechtlich gegen die Strafe zu wehren. Die Messung von inaktiver Zeit diene nicht der Kontrolle der Beschäftigten, sondern zur schnellen Entdeckung von Fehlern in der Lieferkette. Diese Technologie sorge für „Sicherheit, Qualität und Effizienz“ in den Logistikzentren.

Die Frage, ob Amazon in Deutschland genauso verfahre, bestätigte das Unternehmen indirekt, indem ein Sprecher es ähnlich wie die Kollegen in Frankreich verteidigte: „Warenwirtschaftssysteme sind Industriestandard und Untersuchungen zeigen, dass sich diese positiv auf die Arbeitserfahrung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirken“, hieß es aus der Münchner Zentrale. Der Sprecher ergänzte: „Um es klar zu sagen: Moderne Logistik ist nicht denkbar ohne Digitalisierung und technische Hilfsmittel.“ Zudem verwies Amazon auf seinen Sieg in dieser Causa vor dem Verwaltungsgericht Hannover.