Essen. Warnstreiks bei der Deutschen Post: Viele Briefe und Pakete bleiben in NRW und bundesweit liegen. Verdi rechnet auch mit Auswirkungen auf Amazon.
Thomas Großstück spricht von einer „besonderen Tarifrunde“ bei der Deutschen Post. Das lässt sich schon an der Forderung der Gewerkschaft Verdi ablesen: Sie ruft nach einer Erhöhung der Einkommen um 15 Prozent. Großstück, der Verdi-Fachbereichsleiter Postdienste in NRW, verteidigt die hohe Zahl und verweist auf Inflationsraten, die insbesondere für Beschäftigte seiner Branche schmerzhaft seien. „Wir reden über Menschen, die netto je nach Steuerklasse zwischen 1600 und 2200 Euro im Monat verdienen“, sagt er mit Blick auf die Zusteller und Beschäftigte in den Brief- oder Paketzentren. „Da schlägt die Inflation noch mehr zu als bei besser verdienenden Menschen.“
Mit einer Welle von Warnstreiks will Verdi im aktuellen Tarifkonflikt einen Teil des Betriebs der Deutschen Post und ihrer Tochter DHL lahmlegen. Die Folge ist: Hunderttausende Briefe und Pakete dürften ihre Adressaten nur mit Verspätung erreichen. Auch einige Lieferungen des Branchenriesen Amazon, der zu den großen Auftraggebern der Post-Tochter DHL gehört, werden sich nach Einschätzung des Gewerkschaftsexperten verzögern. Schließlich ist es das Ziel der Arbeitnehmervertreter, im Tarifkonflikt Druck auf die Konzernleitung auszuüben.
Kundgebung auf dem Friedensplatz in Dortmund
Zu einer Kundgebung am morgigen Dienstag (7. Februar) auf dem Friedensplatz in Dortmund erwartet Verdi rund 3000 Beschäftigte, die sich am Warnstreik beteiligen. Die Tarifverhandlungen sollen am 8. und 9. Februar in Düsseldorf fortgesetzt werden. Bislang hat die Unternehmensleitung noch kein Angebot vorgelegt, das soll sich beim nächsten Termin ändern.
Zum Wochenstart sei die Beteiligung an den Streiks regional und an den jeweiligen Standorten der Deutsche Post unterschiedlich hoch ausgefallen, berichtet das Unternehmen auf Anfrage. Klar sei: Es könne zu Verzögerungen bei der Auslieferung von Briefen und Paketen kommen. Manche Sendungen könnten „erst einige Tage später“ ausgeliefert werden – je nach Ende der Streikaktivitäten vor Ort „erst im Laufe der aktuellen Woche“.
Zusteller am Montag und Dienstag in NRW im Warnstreik
Insgesamt seien am Montag zunächst rund 5300 Beschäftigte dem Streikaufruf gefolgt. Das sei rund die Hälfte der aktuell anwesenden Beschäftigten an den betroffenen Standorten, so das Unternehmen. Der Montag gehört typischerweise zu den Tagen mit einem geringeren Aufkommen von Briefen und Paketen. Zum Wochenstart sei daher auch weniger Personal im Einsatz als an anderen Werktagen, wird bei der Deutschen Post betont. Die Gewerkschaft Verdi hat die Zusteller in NRW nicht nur am Montag, sondern auch am Dienstag (7. Februar) zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Verteilzentren wie der DHL-Großstandort Bochum waren zuvor bereits ein Teil der Streik-Dramaturgie.
Der Bonner Konzern, an dem die Staatsbank KfW noch zu einem Fünftel beteiligt ist, befindet sich seit Jahren im Umbruch. Während die Zahl der Briefsendungen in Zeiten von Emails und Messenger-Diensten kontinuierlich abnimmt, ist das Paketgeschäft in der Corona-Krise rasant gewachsen. Der scheidende Post-Chef Frank Appel, der im nächsten Mai vom Post- und Paket-Deutschlandchef Tobias Meyer abgelöst wird, hat den Konzern beharrlich auf Wachstum getrimmt.
Rund 140.000 der insgesamt 160.000 Tarifbeschäftigten der Deutschen Post AG sind Verdi-Angaben zufolge in den „Entgeltgruppen 1 bis 3“ eingruppiert, bei denen das Brutto-Monats-Grundentgelt zwischen 2108 und 3090 Euro betrage. Diese Mitarbeitenden sind nach Einschätzung der Gewerkschaft in besonderem Maße von der hohen Inflation betroffen, da sie einen großen Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel und Energie aufbringen müssten.
Verdi: „Wir wollen das Inflationsmonster stoppen“
Die letzte Tariferhöhung im Januar 2022 habe bei zwei Prozent gelegen. In der aktuellen Tarifrunde fordert Verdi neben einer Erhöhung der Einkommen um 15 Prozent auch einen Anstieg der Vergütung der Auszubildenden um monatlich 200 Euro – bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. „Wir wollen das Inflationsmonster stoppen, wir wollen die Reallöhne sichern“, sagt Verdi-Chef Frank Werneke.
Das Briefporto, neben den Preisen für den Paket-Versand, ist eine der wichtigen Einnahmequellen für den Post-Konzern. Im Jahr 2019 verteuerte sich der Inlandsversand eines Standardbriefs um zehn auf 80 Cent, 2022 wurde das Porto um fünf Cent auf 85 Cent erhöht. Anfang 2025 läuft das jetzige Porto aus. Nach geltenden Regeln wird es dann wohl steigen.
Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb ein derart erfolgreiches Unternehmen wie die Deutsche Post nicht bereit sei, die Reallohnverluste der Beschäftigten infolge der Inflation auszugleichen, sagt Verdi-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis, die stellvertretende Verdi-Vorsitzende ist. Die Dividende des Konzerns ist von 0,85 Cent je Aktie im Jahr 2015 auf zuletzt 1,80 Euro gestiegen. Die Ausschüttungssumme hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt: auf 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2021. Der Konzerngewinn werde allerdings „zum übergroßen Teil mittlerweile im internationalen Geschäft erwirtschaftet“, betont die Unternehmensspitze.
15 Prozent mehr: Finanzielle Größenordnung etwa eine Milliarde Euro
Allein für zwölf Monate gerechnet gehe es bei einer 15-Prozent-Tariferhöhung um eine finanzielle Größenordnung von rund einer Milliarde Euro. Zum Vergleich: Für den Unternehmensbereich Post & Paket Deutschland erwartet das Unternehmen für das Jahr 2022 einen operativen Gewinn vor Zinsen und Steuern von etwa 1,3 Milliarden Euro – rund 400 Millionen Euro weniger als noch 2021.
Die Konzernleitung, die in dieser Woche erstmals ein Angebot vorlegen will, dämpft bei den Beschäftigten die Erwartungen. Als Unternehmen habe die Deutsche Post wie viele andere Branchen und Privathaushalte aufgrund der aktuellen Lage deutlich höhere Kosten im Betrieb zu tragen. Es sei schwer vorstellbar, wie eine 15-prozentige Lohnerhöhung unter diesen Umständen finanzierbar sein solle.
Verdi-Experte Thomas Großstück hingegen sieht insbesondere in der Dividenden-Entwicklung gute Argumente für eine kräftige Lohnsteigerung. „Die Post steht glänzend da“, sagt er.