Nachrodt-Wiblingwerde. Bäuerin Regina Weustermann (47) ackert mit ihren Kindern auf den Höhen von Brenscheid. Das macht ihre Familie schon 500 Jahre, immer wieder neu.

Die wievielte Generation Regina Weustermann auf dem Bauernhof in Brenscheid ist, weiß sie selbst nicht genau. Seit rund 500 Jahren betreibt ihre Familie hier Land- und Viehwirtschaft. Die 47-Jährige will nicht die letzte Weustermann sein, die hier Felder bestellt und Tiere aufzieht. Dafür muss sie den Hof gerade neu erfinden. Nicht zum ersten Mal. „Unser Problem ist, dass alle vier, fünf Jahre die Politik wechselt.“

Von 800 auf 80 Schweine reduziert

Der Hof Weustermann ist Dreh- und Angelpunkt der Dorfgemeinschaft Brenscheid bei Wiblingwerde. Weustermanns Eltern betrieben unter anderem Milchviehwirtschaft. Nachdem die Europäische Union die Milchquote in den 80er Jahren einführte, um Butterberge abzubauen, lohnte es sich irgendwann nicht mehr in Brenscheid. Weustermann und ihre Eltern schwenkten um auf Schweine. Vor 18 Jahren begannen sie mit Qualitätssicherung. Letztlich habe es viele Auflagen und hohe Kosten gebracht, sagt die Bäuerin.

Bis vor drei Jahren wurden von Regina Weustermann noch bis zu 800 Schweine gehalten – jetzt sind es nur noch ein Zehntel. Neue Einnahmequellen müssen her, um die Heimat Hof nach 500 Jahren nicht aufgeben zu müssen.
Bis vor drei Jahren wurden von Regina Weustermann noch bis zu 800 Schweine gehalten – jetzt sind es nur noch ein Zehntel. Neue Einnahmequellen müssen her, um die Heimat Hof nach 500 Jahren nicht aufgeben zu müssen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Im Durchschnitt 600 bis 800 Schweine hielt Familie Weustermann bis vor drei Jahren. „Zuchtsauen und Ferkel sind in Deutschland offenbar nicht mehr gewünscht“, hebt die patente Frau die Schultern. Auf die lauter werdende Tierwohldebatte reagiert die Landwirtin. Heute tummeln sich gerade noch 50 bis 80 Schweine auf dem Hof, dafür mit Auslauf nach draußen, Beschäftigungsmaterial und so viel Stroh unterm Hintern, wie es in den alten Stallungen möglich ist. Ein Neubau, um mehr Tiere nach höchsten Tierwohlstandards halten zu können, wäre in der Ortslage schon schwierig. Dazu kommen die jüngsten Auflagen für Luftreinhaltung und Lärm – Immissionen und Emissionen.

Für viele Schweinehalter führt dennoch kaum ein Weg an Modernisierung vorbei, wenn sie eine Zukunft auf dem deutschen Markt haben wollen. „Uns wäre doch am liebsten 4D-Fleisch“, sagt Weustermann. Bedeutet: Das Schwein wird in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet und vermarktet. Das aber werde nicht honoriert. Seit Monaten sind zudem die Preise für Schweinefleisch aus verschiedenen Gründen im Keller.

Gleichzeitig sind die Kosten in die Höhe geschossen: Für Energie sowieso; für Dünger, weil die Energiekosten in den vergangenen Monaten förmlich explodiert sind; für Futtermittel, weil die Kornkammer Osteuropa mit der Ukraine vermintes Gelände ist.

Die Zahl der Haupterwerbshöfe nimmt von Jahr zu Jahr weiter ab. Der Kreisverband Märkischer Kreis, in dem auch der Hof Weustermann liegt, zählt nur noch 640 Höfe. 60 Prozent davon werden bereits im Nebenerwerb geführt. „Wir werden immer weniger, da müssen wir zusammenhalten. Es ist gut zu wissen, dass man nicht allein ist“, sagt die Landwirtin, die sich im Ortsverband Nachrodt-Wiblingwerde des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes engagiert.

Am Donnerstag besuchter sie die Kreisverbandssitzung im nahegelegen Schlosshotel Holzrichter, bei der sich auch der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, Hubertus Beringmeier sehen lässt. Fazit: Unsichere Zeiten mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen.

Politik verunsichert Landwirte

Von der neuen Bundesregierung erhofft man sich schnell mehr Klarheit bei der Umsetzung der Europäischen Agrarpolitik, die ab 2023 verringerte Förderungen und mehr Umweltschutz vorsieht. Die ersten Aussagen des neuen Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir (Die Grünen) zu mehr Wertschätzung für Lebensmittel und entsprechend höhere Preise, gefällt Regina Weustermann: „Wir freuen uns, aber stellen uns auch die Frage, wie er das schaffen will.“

Der Hof Weustermann ist das Zentrum des Örtchens  Brenscheid mit rund einhundert Einwohnern. Das schränkt Stallneubauten ein.
Der Hof Weustermann ist das Zentrum des Örtchens Brenscheid mit rund einhundert Einwohnern. Das schränkt Stallneubauten ein. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Für Regina Weustermann ist Aufgeben keine Perspektive. Zwei ihrer fünf Kinder arbeiten bereits in der Landwirtschaft mit, kümmern sich außer um, die Schweine auch um 32 französische Charolais-Rinder und rund 200 Hühner in einem Hühnermobil.

Zwei neue Standbeine versucht Weustermann gerade aufzubauen: Direktvermarktung ab Hof ist das eine. Es läuft langsam an, zunächst aus einer kleinen Gartenlaube mit Selbstbedienung heraus. Weustermanns Einzugsgebiet reicht weit Richtung Lüdenscheid – das Geschäft wird durch die A 45-Brückenproblematik gerade nicht beflügelt. Ihre Tochter, die Bio- und Nanotechnologie studiert, wirbt für den Hof Weustermann derweil auf Instagram. Eine Homepage fehlt noch.

Das zweite Bein: Regina Weustermann hat gerade eine Fortbildung zur Bauernhofpädagogin absolviert. Sie möchte Kindern beibringen, was Tierhaltung bedeutet und das auf dem Hof in Brenscheid zeigen.

Letztlich geht es darum, sich trotz neuer Agrarverordnungen der Europäischen Union, Tierwohllabels und Düngemittelverordnungen nicht unterkriegen zu lassen: „Mein Ziel ist es, den Schatz, den wir hier haben, halten zu können. Es ist Heimat.“ Für Weustermanns seit 500 Jahren.