Hagen. Was Landwirte vom Herdecker Ökobauern bis zum WLV-Präsidenten vom grünen Cem Özdemir als künftigem Bundeslandwirtschaftsminister halten.

Bundesministerinnen und -minister sollten kluge Köpfe sein, Expertentum für Ressorts, die ihnen zufallen, gehört aber nicht zwangsläufig dazu. Auf den designierten Bundes-Landwirtschafts- und Ernährungsminister Cem Özdemir trifft das vermutlich zu.

Der neue Bundesminister

Özdemir, der kluge Kopf, hat eine ganze Menge Expertise auf verschiedenen Feldern vorzuweisen: Integrationspolitik gehört dazu. Auch außen- und innenpolitisch zeigt der 55-jährige Grünenpolitiker eine klare Haltung, wenn es um die Türkei und ihren Präsidenten Erdogan geht oder hierzulande um den Umgang mit Islamverbänden. Cem Özdemir ist beinahe qua Herkunft versierter Verkehrspolitiker, stammt er doch gebürtig aus dem Dunstkreis der Autostadt Stuttgart.

Özdemirs Berührungspunkte mit der Landwirtschaft dürften vermutlich länger zurückliegen. Womöglich aus der Zeit als Kind, als der Bub am Fuße der Schwäbischen Alb in seinem Heimatort Bad Urach nach eigenen Angaben das erste Mal Frauen mit Kopftüchern sah – Bäuerinnen.

Idylle vergangener Tage. Heute bestimmen Fragen um Nachhaltigkeit, Tierwohl und Artenschutz den Alltag. Ob ein grüner Minister Özdemir darauf kluge Antworten findet? Warum denn nicht, sagen sowohl Ökobauern wie der Herdecker Johannes Röbbecke-Niermann, als auch der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), Hubertus Beringmeier. Tenor: Eine Chance hat Cem Özdemir verdient.

Der Ökolandwirt

Johannes Röbbecke-Niermann ist Öko-Bauer. Er hat vor 40 Jahren Landwirtschaft in Soest studiert. „Seitdem hat sich in der Landwirtschaft am fatalen Umgang mit den Tieren gar nichts geändert“, sagt der 62-Jährige. Ein bisschen vielleicht schon, weil Röbbecke-Niermann mit seiner Art Landwirtschaft zu betreiben nicht mehr allein dasteht, und weil die Nachfrage der Kunden nach biologisch und regional erzeugten Produkten steigt.

Bio-Bauer Johannes Röbbecke-Niermann meint: „Ein Bundeslandwirtschaftsminister muss nicht für Öko sein, auch Konventionelle müssen leben können. Aber ein bisschen Rückgrat wünsche ich mir.“
Bio-Bauer Johannes Röbbecke-Niermann meint: „Ein Bundeslandwirtschaftsminister muss nicht für Öko sein, auch Konventionelle müssen leben können. Aber ein bisschen Rückgrat wünsche ich mir.“ © WP | Steffen Gerber

Im Bioladen am Hof Niermann in Herdecke-Kirchende werden Gemüse und Obst aus eigenem Anbau verkauft, auch die Eier von 600 Legehennen. Lange Zeit war Röbbecke-Niermann in der Verbandsarbeit aktiv. Von daher bringt er ein gewisses Verständnis dafür mit, dass es in Behörden bei Entscheidungen weniger zupackend zugeht als auf dem Acker. So ein Apparat, ein Ministerium etwa, sei eben träge. „Cem Özdemir ist okay. Ich würde erst einmal jedem und jeder eine Chance geben. Ob Hofreiter oder Özdemir ist erst einmal egal. Und die Klöckner hat es ja auch nicht gerissen. Die hat viel liegen lassen“, sagt der Herdecker über Özdemirs christdemokratische Amtsvorgängerin mit Winzerwurzeln. Die in dieser Woche in der EU verabschiedete Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sei schlecht und falsch, meint der Bio-Landwirt. „Ein Bundeslandwirtschaftsminister muss nicht für Öko sein, auch Konventionelle müssen leben können. Aber ein bisschen Rückgrat wünsche ich mir.“ Röbbecke-Niermanns klare Erwartung: Den Lobbyisten, die die Wartebank vor dem Ministerbüro heiß sitzen werden, öfter einmal die kalte Schulter zeigen.

Der WLV-Präsident

Es gebe schon eine Menge zu bereden, findet Hubertus Beringmeier, der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV). Zum Beispiel, wie die EU-Agrarpolitik (GAP) im Detail in Deutschland umgesetzt werden sollte.

Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) meint: „Ich kann mit dem gemäßigten Cem Özdemir erst einmal besser leben als mit Anton Hofreiter. Ich finde gut, dass es so gelaufen ist.“
Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) meint: „Ich kann mit dem gemäßigten Cem Özdemir erst einmal besser leben als mit Anton Hofreiter. Ich finde gut, dass es so gelaufen ist.“ © FFS | FFS

Wie der Umbau der Tierhaltung zu mehr Tierwohl angemessen gestaltet werden soll und wie das Bau- und Umweltrecht geändert werden muss, damit mehr Nachhaltigkeit gelingt. Und nicht zuletzt: Wie das alles „sauber finanziert“ werden kann. „30 Prozent Ökolandbau bis 2030 sind ein gutes Ziel. Am Ende muss es vom Markt kommen“, ruft Beringmeier schon einmal in Richtung Berlin beziehungsweise Bonn, wo das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) nach wie vor seinen Hauptsitz hat.

Dass dort bald Cem Özdemir im Ministerrang ackert, „damit kann ich erst einmal besser leben als mit Anton Hofreiter, weil Özdemir als gemäßigter Politiker bekannt ist. Ich finde gut, dass es so gelaufen ist.“ Mit Özdemir komme man sicher eher auf einen Nenner als mit Hofreiter. Dass der Schwabe fachfremd ist, sei gar nicht so schlecht. Und auch, dass Umwelt und Landwirtschaft in einer Parteihand liegen, sei sogar gut. In der zurückliegenden Legislatur habe es da zwischen Svenja Schulze (SPD/Umwelt) und Julia Klöckner (CDU/Landwirtschaft) „viel Gezänke gegeben – und am Ende waren die Bauern immer die Verlierer.“

Umstrittene EU-Reform GAP tritt 2023 in Kraft

Das Europäische Parlament hat am Dienstag dieser Woche grünes Licht für die umstrittene Reform der gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) gegeben, mit der die Landwirtschaft in Europa umweltverträglicher und gerechter werden soll. Grünen und Umweltverbänden gehen die Reformen nicht weit genug - sie kritisierten das Votum. Die Grünen-Fraktion im EU-Parlament stimmte gegen die Reformpläne.

Die neuen Regeln für die Verteilung von 270 Mrd. Euro EU-Geldern an Bauern treten wegen Verzögerungen 2023 in Kraft.