Essen. Billiganbieter Stromio fliegt aus dem Netz. Kunden fallen in die Grundversorgung, die für sie oft besonders teuer ist. Eon kritisiert Discounter.

„Jetzt wechseln und sparen – bis zu 500 Euro. Energie zum Discountpreis“ wirbt der Billiganbieter Stromio auch am Mittwoch noch auf seiner Internetseite – und verspricht eine „sichere Stromversorgung“. Zur gleichen Zeit erklärt die freundliche Mitarbeiterin an der Kundenhotline dem xten Anrufer, dass er „ab heute vom Grundversorger“ seinen Strom erhält. Denn die Netzbetreiber haben Stromio am Dienstag um Mitternacht aus dem Netz geworfen. Das in Kaarst sitzende Unternehmen ist einer von mehreren Billiganbietern, die in den vergangenen Monaten in die Knie gegangen sind.

Erst im Laufe des Tages teilte Stromio auf seiner Homepage, man sei „gezwungen, alle Stromlieferverträge mit Ablauf des 21.12.2021 zu beenden“. Die Kunden fallen nun die örtliche Grundversorgung, die in der Regel Stadtwerke übernehmen, mancherorts aber auch Konzerne wie Eon. Wie viele es sind, blieb zunächst unklar, Branchenkenner gehen von Hunderttausenden Betroffenen aus. Die Stadtwerke Bochum gaben an, 3000 Stromio-Kunden zu übernehmen. Eon nannte als Grundversorger etwa in Essen keine Zahl.

38 Anbieter stellen Lieferung ein

Im Jahr 2021 haben der Bundesnetzagentur zufolge bisher 38 Energieanbieter angezeigt, ihre Belieferung zu beenden. Davon hätten zwölf dies bereits getan, die übrigen 26 planten dies zum Jahresende.

Von den 38 Unternehmen lieferten nach Auskunft der Netzagentur 28 nur Strom, sechs Strom und Gas, die übrigen vier nur Gas.

Zehntausende Kunden verloren in den vergangenen Monaten über Nacht ihren Strom- oder Gasversorger. Die Reihe wird immer länger: Zuletzt meldete die norddeutsche Neckermann Strom Insolvenz an, ebenso die sächsische Dreischtrom, zuvor Otima (Brandenburg) Smiling Green (Hamburg), Lition (Berlin) und Fulminant (Bayern). Weitere Anbieter stellten die Lieferung ein, um den Rest des Unternehmens zu retten, so stoppte die Deutsche Energiepool bereits im September ihre Gaslieferungen.

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Die Kunden werden davon in der Regel überrascht, so auch bei Stromio. „Das Modell der Discounter hat jahrelang gut funktioniert, jetzt fallen sie damit reihenweise auf die Nase“, sagt Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW.

„Energiediscounter fallen reihenweise auf die Nase“

Die Discounter haben neue Kunden mit teils aggressiven Rabatten geworben, ohne sich vorher genügend Strom- oder Gasmengen auch für die Neukunden zu sichern. Sie mussten also während der Vertragslaufzeit Energie zukaufen, „sie haben gezockt und auf niedrige Preise gesetzt“, so Sieverding. Was in den vergangenen Jahren sogar von Vorteil sein konnte, ist aktuell tödlich für viele Billiganbieter: Der Tages-Spotpreis für Strom hat sich zuletzt vervierfacht, beim Gas sind die Ausschläge an den Börsen noch absurder.

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Stromio, seit 2009 und damit schon vergleichsweise lange am Markt, ist ein Ableger von Grünwelt, das unter den Marken gas.de und Grünwelt bereits vor drei Wochen seine Gaslieferungen stoppen musste. Weil nun auch Stromio nicht mehr so viel Strom liefern konnte, wie seine Kunden verbrauchen, haben die vier Übertragungsnetzbetreiber Amprion, 50Hertz, Tennet und TransnetBW dem Anbieter gekündigt, was sie in der zweiten Jahreshälfte häufiger tun mussten.

Verbraucherzentrale erwirkt einstweilige Verfügung gegen „Immergrün“

Es kommt aber auch vor, dass Billiganbieter von sich aus die Belieferung einstellen, um nicht noch mehr Verluste zu machen und andere Geschäftsfelder zu retten. So hatte die Rheinische Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft aus Leverkusen Kunden ihrer Marke „Immergrün“ reihenweise aus den Verträgen geworfen. Wer Nachfragen zu kurzfristigen Abschlagserhöhungen stellte, dem wurde eine „Sonderkündigung“ unterstellt und die Belieferung gestoppt. Gegen diese Praktik erzielte die Verbraucherzentrale NRW unlängst beim Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen unlautere Geschäftspraktiken (Az. 33 O 226/21).

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Ob es überhaupt rechtens ist, Energielieferungen allein mit dem Verweis auf gestiegene Beschaffungskosten zu stoppen, etwa um andere Teile des Unternehmens zu schützen, werden laut Sieverding „die Gerichte entscheiden, wenn es um die Schadenersatzforderungen geht“. Denn Kunden, die aus dem günstigen Vertrag geworfen werden und beim Grundversorger deutlich mehr zahlen müssen, könnten die Differenz einfordern, wenn die Kündigung durch den Versorger nicht zwingend notwendig war.

Grundversorger erhöhen Preise extra für Gestrandete

Doch die Verbraucherschützer kritisieren auch die Grundversorger, weil einige den bei ihnen gestrandeten Discount-Kunden deutlich mehr berechnen als ihren Bestandskunden in der Grundversorgung. „Das ist eine neue Masche der Grundversorger. Wir halten das nicht für zulässig“, sagt Sieverding. Für die Betroffenen ist es aktuell auch gar nicht so leicht, in einen neuen, halbwegs bezahlbaren Tarif zu wechseln, weil alle Strom- und Gasanbieter ihre Preise für Neukunden kräftig angezogen haben.

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Die Grundversorger betonen dagegen, ihre Bestandskunden, für die sie ja auf Jahre im Voraus genügend Gas oder Strom eingekauft haben, nicht belasten zu wollen. Weil sie für Neukunden, deren Anbieter die Lieferung eingestellt hat, zu den aktuell extrem hohen Preisen zukaufen müssten, schlage sich das in den Ersatztarifen nieder. Das betonen auch die Stadtwerke Essen, die 2500 Kunden von gas.de aufnehmen mussten und als Gas-Grundversorger den Verbrauchspreis für Neukunden ab dem 11. Dezember auf 17,83 Cent je Kilowattstunde nahezu verdoppelt haben.

„Um unsere Bestandskunden soweit wie möglich von den aktuellen Turbulenzen zu verschonen, haben wir uns für ein zweigleisiges Preismodell entschieden. Das entspricht unseren Grundsätzen von Fairness und Verlässlichkeit“, begründet Stadtwerke-Vertriebschef Steffen Wöhler.

Eon kritisiert Discounter

Der Essener Eon-Konzern betonte auf Anfrage, „eine Aufteilung von Tarifen für neue Kunden abseits der Ersatz- und Grundversorgung zu höheren Preisen“ sei „aktuell nicht geplant“. Während sich „einige Discountanbieter in dieser schwierigen Marktsituation ihrer Verantwortung entziehen und sogar ihre Kunden kündigen, springen wir in vielen Regionen Deutschlands ein“, so ein Eon-Sprecher. Der Konzern begrüße, „dass die Politik ihre Verantwortung wahrnimmt, im entsprechenden Rahmen zu einer Beruhigung an den Energiemärkten beizutragen“.