Essen. Pläne für einen großen Unternehmensverkauf durch den Essener Chemiekonzern Evonik rufen IGBCE-Chef Vassiliadis auf den Plan.
Angesichts von Plänen des Essener Chemiekonzerns Evonik für den Verkauf eines Geschäftsbereichs mit Milliardenumsatz und absehbaren Folgen für den wichtigen NRW-Produktionsstandort Marl schaltet sich IGBCE-Chef Michael Vassiliadis ein. „Das Unternehmen arbeitet seinen Strategieplan bei den Verkäufen mit der Präzision digitaler Atomuhren ab, bleibt bisher jedoch bei vagen Ankündigungen neuer Investitionen und Zukäufe am Standort Deutschland“, kritisierte Vassiliadis. „Hier werden eher Sonnenuhren bei Nebel eingesetzt.“
Die Ankündigung des Konzernvorstands, sich vom sogenannten „C4-Verbund“ trennen zu wollen, sei bei Evonik eines von vielen Veräußerungs- und Optimierungsprojekten, die allein in den vergangenen vier Jahren 6000 Stellen in Deutschland getroffen hätten, erklärte Vassiliadis, der die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) führt. Die betroffenen Arbeitsplätze gingen zwar nicht verloren, gehörten aber nicht mehr zum Evonik-Konzern, so Vassiliadis.
Der Gewerkschaftschef, der jahrelang im Aufsichtsrat von Evonik war und das Unternehmen gut kennt, forderte Konzernchef Christian Kullmann dazu auf, mehr im Inland zu investieren. Die IGBCE und die Betriebsräte stünden im Grundsatz hinter der Konzernstrategie, Evonik zum Marktführer in der Spezialchemie weiterzuentwickeln. Bislang gebe es aber ein Missverhältnis zwischen Firmenverkäufen auf der einen und Zukunftsinvestitionen und Zukäufen auf der anderen Seite.
Ein bislang „einsames Beispiel“ bei Evonik für eine gute Investition in die Zukunft sei die neue Polyamid-12-Anlage in Marl, so Vassiliadis. Rund eine halbe Milliarde Euro hat der Essener Chemiekonzern eigenen Angaben zufolge in die im vergangenen Jahr in Betrieb genommene Anlage zur Herstellung von Hochleistungskunststoffen investiert.
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Mit Blick auf die Standorte des Chemiekonzerns in Deutschland fordern IGBCE und Evonik-Betriebsrat eine Investitionsstrategie, die deren Ausbau und Modernisierung in den Mittelpunkt stellt. Beim Betriebsrat ist in diesem Zusammenhang von einem „Deutschlandpakt“ die Rede. Ziele müssten Neuinvestitionen sein, die Arbeitsplätze schaffen und sichern.
Mehr als zehn Prozent des weltweiten Umsatzes von Evonik betroffen
Im Zuge des Verkaufs des C4-Verbunds will sich das Evonik-Management um Kullmann von mehr als zehn Prozent des weltweiten Umsatzes im Konzern trennen. Geplant sei, einen Käufer zu suchen, der das Geschäft zunächst mit Evonik in einem Gemeinschaftsunternehmen betreiben und später eigenständig führen wolle, erfuhr unsere Redaktion aus dem Umfeld des Konzerns. Auf Anfrage bestätigte dies ein Evonik-Sprecher und erklärte, es sei das Ziel, für den C4-Verbund „Entwicklungsmöglichkeiten außerhalb des Konzerns zu erschließen“.
Vorstandschef Kullmann hatte bei seinem Amtsantritt im Jahr 2017 das Ziel ausgegeben, Evonik zum „besten Spezialchemiekonzern der Welt“ zu machen. Der geplante Verkauf entspreche der Strategie des Unternehmens, sich „auf margen- und wachstumsstarke Geschäfte der Spezialchemie“ zu fokussieren, wird im Umfeld des Konzerns betont.
Der Evonik-Konzern bündelt seine Geschäfte in vier Divisionen rund um Produkte für die Pharma-, Kosmetik- und Ernährungsindustrie („Nutrition & Care“), Werkstoffe („Smart Materials“), Additive für die industrielle Anwendung („Specialty Additives“) sowie rohstoff- und energieintensive Basischemie („Performance Materials“). Als „Wachstums-Divisionen“ betrachtet Vorstandschef Kullmann die drei zuerst genannten Bereiche.
Nennenswerte Investitionen nur noch für „Wachstumsdivisionen“
Außerhalb der drei „Wachstumsdivisionen“ wolle Evonik „keine nennenswerten Investitionen“ mehr tätigen. Daher sei eine Trennung vom C4-Verbund, wo in absehbarer Zeit Investitionen erforderlich seien, nur folgerichtig. Für Evonik ist es durchaus ein großer Einschnitt. Mit einem jährlichen Umsatz in Höhe von 1,8 Milliarden Euro steht der Bereich, der nun auf die Verkaufsliste kommt, für etwa ein Zehntel des gesamten Konzerns rund um den Globus.
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Das wichtigste Kriterium bei der Auswahl eines Käufers sei, dass er langfristig investieren wolle und damit auch den Beschäftigten von Evonik „bestmögliche Perspektiven“ biete, erklärte das Unternehmen auf Anfrage unserer Redaktion. Evonik wolle „mit Sorgfalt einen geeigneten, starken Partner“ suchen. In einem ersten Schritt soll der C4-Verbund nun als eigenständige unternehmerische Einheit innerhalb des Evonik-Konzerns aufgestellt werden, danach soll die Partnersuche beginnen. Der Betriebsrat sei im Laufe der Woche über die Pläne informiert worden.
Mit Blick auf den anstehenden Verkaufsprozess seien auch Verhandlungen zwischen Management und Arbeitnehmervertretern geplant. In dem zum Verkauf vorgesehenen Geschäftsbereich arbeiten mehr als 500 Beschäftigte, davon der Großteil am nordrhein-westfälischen Evonik-Großstandort Marl und knapp 100 Menschen in Antwerpen.
IGBCE mahnt Schutz für betroffene Evonik-Beschäftigte an
Die IGBCE betonte, die Evonik- Beschäftigten, deren Arbeitsplätze zu einem neuen Eigentümer wechseln, müssten wie in der Vergangenheit Sicherheit und Schutz ihrer Arbeitsbedingungen erfahren. „Diese Kolleginnen und Kollegen bleiben Mitglieder der IGBCE-Familie“, sagte Gewerkschaftschef Vassiliadis, „und Evonik hat die Verantwortung, auch die neuen Eigentümer zu guter Arbeit, Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung zu verpflichten“.
Die Produkte des für C4-Chemikalien zuständigen Geschäftsgebietes „Performance Intermediates“ sind nach Darstellung des Unternehmens die Grundlage vieler Anwendungen im Alltag. „Im täglichen Leben begegnen uns die Produkte auf Schritt und Tritt“, heißt es in einer Präsentation von Evonik. Überwiegend gehe es um Kunststoffe und Beschichtungen, zum Beispiel in Autos sowie im Wohn- und Freizeitbereich. Hinzu kämen Kautschuk, Schmierstoffe, Benzinzusätze, Kosmetika oder Lösemittel in der pharmazeutischen und chemischen Industrie. Endprodukte der Evonik-Kunden seien beispielsweise Autoreifen, PVC-Fußböden, Sportflaschen oder Lebensmittelverpackungen.
Weltweit gehören mehr als 33.000 Mitarbeiter zu Evonik. Mit dem Konzernsitz in Essen und dem Chemiestandort Marl, wo das Unternehmen rund 7000 Menschen beschäftigt, ist Evonik einer der großen Arbeitgeber in NRW. Die Mehrheit der Evonik-Aktien gehört der RAG-Stiftung, die auf dem Essener Welterbe-Areal Zollverein residiert. Aufgabe des Stiftungskonzerns ist es, Geld für die Ewigkeitskosten des Steinkohlenbergbaus zu erwirtschaften.