Berlin. .
Juristen aus NRW warnen schon jetzt: Das neue Hartz-IV-Gesetz von Bundesarbeitsministerin von der Leyen wird nicht mehr Klarheit schaffen. Im Gegenteil. Sozialrichter erwarten eine neuerliche Klagewelle gegen die Regelungen.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gerät mit ihrer heute im Bundesrat verabschiedeten Hartz-IV-Reform weiter unter Druck.
„Ich gehe davon aus, dass es viele Klagen geben wird“, sagte Ulrich Schorn vom Sozialgericht Dortmund. „Das Gesetz lässt viel Spielraum für Streit.“ Aus Schorns Sicht ist nicht ausreichend geklärt, wer welche Leistung aus dem Bildungspaket bekommt.
„Wir können keine weiteren Verfahren brauchen“, sagte Schorn. Schon heute müssten die rund 50 Richter am Dortmunder Sozialgericht insgesamt noch 23.500 Verfahren abarbeiten, 6500 davon zu Hartz IV. „Wenn es zu einer Klagewelle kommt, verlängert sich die Verfahrenslaufzeit.“
Landessozialgericht bemängelt fehlende Vorbereitungszeit
Die Präsidentin des Landessozialgerichts NRW, Ricarda Brandts, warnte dagegen vor übereilter Schwarzmalerei. „Ich möchte nicht sagen, dass es eine Klagewelle gibt und dass die Sozialgerichte weitere Klagen nicht mehr bewältigen können“, sagte Brandts gegenüber DerWeste. „Klar ist aber schon jetzt, dass das Gesetz besondere Probleme aufwirft.“ Da der genaue Gesetzestext noch nicht feststehe, sei es für die Sozialgerichte auch schwer, sich darauf vorzubereiten.
Der Vorsitzende des Bunds deutscher Sozialrichter Hans-Peter Jung ist da deutlich skeptischer. Gegen die neu berechneten Sätze und das Bildungspaket für arme Kinder seien mittlerweile so viele verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden, „dass mit Sicherheit eine ganze Reihe neuer Verfahren bei den Gerichten eingehen wird“‘, sagte er. Skeptisch zeigte sich auch der Präsident des Sozialgerichts Chemnitz, Thomas Clodius. Die Reform trage nicht dazu bei, bestehende Baustellen in der Gesetzgebung zu beseitigen. „Vielmehr kommen jetzt neue Baustellen hinzu, weil das Gesetz zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe enthält.“
DGB-Gutachten spricht von Verfassungsbruch
Der Berliner Professor für Sozialrecht Johannes Münder kommt in einem neuen Gutachten für den DGB zu dem Schluss, dass die Neuregelung in weiten Teilen verfassungswidrig ist. DGB-Chef Michael Sommer hat deshalb in einem Schreiben an die Abgeordneten im Arbeits- und Sozialausschuss angeregt, eine unabhängige Expertenkommission einzuberufen. Diese solle Vorschläge für eine Korrektur der Reform machen.
Auch der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert hat massive Zweifel an der Verfassungsfestigkeit des Gesetzes geäußert. Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach transparenter Berechnung des Hartz-IV-Regelsatzes werde nicht erfüllt, sagte er der „Berliner Zeitung. „Es wurde offenbar versucht, die Zahlen nach unten zu rechnen.“ Über kurz oder lang werde ein Sozialgericht einen Fall wieder dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. „Denkbar wäre auch ein Massenaufstand der Hartz-IV-Empfänger, die direkt nach Karlsruhe gehen“, sagte Borchert.
Sozialgerichte stöhnen über Gesetzesunschärfen
Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang des Jahres die Berechnung der Hartz-IV-Sätze für unzulässig erklärt. Am Freitag will der Bundestag über die Reform entscheiden. Ob der Bundesrat am 17. Dezember dem Gesetz zustimmt, ist noch offen. Die Sozialgerichte hatten schon in der Vergangenheit die Unschärfen im Hartz-IV-Gesetz beklagt, die zu massenhaft Klagen führten. Die Gerichte fühlten sich von der Politik im Stich gelassen. (mit dapd/we)