Frankfurt/Main. .

Fünf Euro im Monat mehr für Hartz-IV-Empfänger - das sei viel zu wenig, klagt die Diakonie. In einer aktuellen Studie kommt sie auf ein Existenzminimum von mindestens 433 Euro. Die Bundesregierung habe den Regelsatz systematisch klein gerechnet hat.

Nach einer Studie des evangelischen Wohlfahrtsverbands Diakonisches Werk muss der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger bei mindestens 433 Euro liegen. Wenn die Bundesregierung den Satz nur um 5 Euro auf 364 Euro im Monat erhöhen wolle, komme sie den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts für eine realitätsgerechte Berechnung nicht nach, sagte der zuständige Referent im Diakonischen Werk in Hessen und Nassau (DWHN), Franz Segbers, am Dienstag in Frankfurt. Einer vom DWHN und neun weiteren Diakonie-Landesverbänden in Auftrag gegebenen Studie zufolge muss der Hartz-IV-Regelsatz um 69 Euro höher liegen als von der Bundesregierung geplant. Die Studie sei die bislang einzige wissenschaftliche Alternativberechnung, betonte Segbers.

Die Diakonie-Landesverbände hatten die Riedstädter Volkswirtin Irene Becker beauftragt, das Existenzminimum nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Hartz-IV-Urteil vom 9. Februar zu berechnen. „Die Studie zeigt, dass die Bundesregierung den Regelsatz systematisch klein gerechnet hat“, sagte Segbers. Am Freitag berät der Bundesrat über die neuen Hartz-IV-Sätze.

„Kürzung des Bedarfs für Lebensmittel ungerechtfertigt“

Außer der Erhöhung des Regelsatzes für alleinstehende Hartz-IV-Empfänger hält die Studie demnach eine Anhebung der monatlichen Bezüge von Kindern um bis zu 36 Euro für angebracht. Die Kürzung des Bedarfs für Lebensmittel bei Jugendlichen sei ungerechtfertigt, der für diese Altersgruppe errechnete Bedarf von 18 Euro für Mobilität um fast die Hälfte zu niedrig, führte Segbers weiter aus.

Das Bundesverfassungsgericht habe ein „soziokulturelles Existenzminimum“ gefordert, sagte Segbers. „Wir brauchen Sätze, von denen man in Würde leben kann.“ Die Berechnungen der Diakonie-Studie orientierten sich an der bisherigen wissenschaftlichen Praxis und richteten sich nach den Ausgaben der einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte. Die Bundesregierung habe dagegen für ihre Neuberechnung die Ausgaben der unteren 15 Prozent der Einpersonenhaushalte zugrunde gelegt, kritisierte Segbers.

Von der Leyen hofft weiter auf Einigung mit der Opposition

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat unterdessen wenige Wochen vor der entscheidenden Bundesratsabstimmung zur Hartz-IV-Reform an die Opposition appelliert, doch noch eine Einigung zu ermöglichen. „Arbeiten Sie konstruktiv mit, verweigern Sie sich nicht“, sagte die Ministerin am Dienstag in der Haushaltsdebatte des Bundestages. Sie könne nicht verstehen, warum sich die Opposition aus formalen Gründen erst gar nicht an den Verhandlungstisch setze.

Die Bundesregierung ist auf Unterstützung der Opposition angewiesen, um im Bundesrat die erforderliche Mehrheit für die Hartz-IV-Reform zu erringen. Diese sieht unter anderem eine Erhöhung der Regelsätze um fünf Euro und ein Bildungspaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien vor. Die SPD hat allerdings eine Einbeziehung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Gespräche gefordert und inzwischen die Erwartung geäußert, dass es 2011 zu einem Vermittlungsverfahren kommen werde.

„Das Ausland beneidet uns“

Von der Leyen verteidigte die Arbeitsmarktpolitik der Regierung gegen die Kritik der Opposition. „Das Ausland beneidet uns um den robusten Arbeitsmarkt“, sagte die Ministerin. Es gebe in Deutschland so viel Beschäftigte wie nie zuvor. Die SPD-Abgeordnete Bettina Hagedorn warf der Regierung einen „unsozialen Kahlschlag“ im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor. Sie kritisierte zudem die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger. Wegen dieser Maßnahme sei es „fadenscheinig“, wenn von der Leyen in „Sonntagsreden“ die Kinderarmut beklage.

Linken-Chef Klaus Ernst warf der Regierung vor, ihre Politik gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. Von der Leyens Politik führe dazu, dass die Menschen immer niedrigere Gehälter akzeptieren müssten. „Sie wirken als Lohndrückerin in diesem Land.“ Selbst im Aufschwung gebe es sinkende Löhne. Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer warf der Regierung Ausgrenzung, Spaltung und die „Kapitulation vor dem Problem der Langzeitarbeitslosigkeit“ vor. Die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um nur fünf Euro sei „beschämend“. (dapd/afp)