Berlin. .
Die Leiharbeits-Branche fürchtet Billigkonkurrenz aus Osteuropa. Sie setzt deshalb auf einen Mindestlohn.
So viel Wirbel wie in diesen Tagen macht die Stahlindustrie selten. Für Furore sorgt der kürzlich abgeschlossene Tarifvertrag der Branche, der eine gleiche Entlohnung von Stammpersonal und Leiharbeitern vorsieht. Damit ist die Diskussion um Mindestlöhne für die Zeitarbeitsbranche neu entbrannt. Noch immer gibt es in dieser Branche, die derzeit rund 850 000 Arbeitnehmer beschäftigt, keine allgemeingültige Lohnuntergrenze. Das gewinnt an Bedeutung, wenn ab Mai 2011 die sogenannte Dienstleistungsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer der EU gilt.
Nur Rumänen und Bulgaren müssen noch zwei weitere Jahre warten, bis sie sich hierzulande problemlos einen Job suchen dürfen. Polen, Tschechen oder Slowaken dürfen sich schon in einem halben Jahr in Deutschland ansiedeln und eine Beschäftigung aufnehmen. Die Frage, wie viele Arbeitnehmer aus Ländern mit geringeren Löhnen ihr Glück in Deutschland suchen, lässt sich kaum abschätzen. Noch immer ist das Lohngefälle groß. Durchschnittlich 4,50 Euro pro Stunde trägt ein polnischer Arbeitnehmer nach Hause, viel weniger als sein deutscher Kollege.
100 000 Zuwanderer pro Jahr
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) rechnet mit etwa 100 000 Zuwanderern im Jahr. „Dann passiert bei uns nichts“, glaubt IAB-Experte Herbert Brücker. Diese Zahl sei zu klein, um sich spürbar auf dem Arbeitsmarkt auszuwirken. In einzelnen Branchen, vor allem am Bau, erwartet der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB aber schon einen spürbaren Druck durch den Zulauf aus dem Ausland.
Der Blick in andere Länder wie Irland oder Großbritannien zeigt, dass allzu große Sorgen vor einer Zuwanderungswelle unbegründet sind. Dort wurden die Grenzen frühzeitig für die Osteuropäer geöffnet. 300 000 kamen nach Irland, ohne dass es dort zu einer großen Verdrängung einheimischer Arbeitskräfte kam.
Im Mai 2011 fällt noch eine zweite Barriere. Dann gilt die Dienstleistungsfreiheit in weiteren wichtigen Branchen. So dürfen dann auch Leiharbeitsfirmen aus den östlichen EU-Staaten ihre Dienste in Deutschland anbieten – zu den Arbeitsbedingungen im Heimatland. Davor haben die Gewerkschaften ebenso Angst wie die deutsche Leiharbeitsbranche. Billiganbieter aus Polen oder Tschechien stehen schon in den Startlöchern, um ihre Leute hier zu platzieren. Deshalb wollen Arbeitgeber und Gewerkschaften einen Mindestlohn durchdrücken, an den sich dann auch die ausländischen Konkurrenten halten müssten.
Unions-Fraktionschef Kauder zeigt sich offen
Selbst in der Union findet die Idee immer mehr Anhänger. So zeigt sich etwa Fraktionschef Volker Kauder für eine Lohnuntergrenze offen.
Die Gewerkschaften haben nach der Vereinbarung in der Stahlindustrie Hoffnung geschöpft. Sie wollen die gleiche Bezahlung von Leih- und Stammkräften auch in anderen Sparten per Tarifvertrag sichern. Selbst die traditionell mindestlohnfeindlichen Mittelständler hegen plötzlich Sympathien für dieses Instrument. Schließlich könnten Wettbewerber durch den Einsatz billiger Kräfte aus dem Osten Kostenvorteile haben.
Die Voraussetzungen für einen Mindestlohn sind grundsätzlich vorhanden. Die Zeitarbeitsverbände BZA und der mittelständische AMP wollen sich zusammenschließen. Der dritte große Verband IGZ ist ohnehin für einen Mindestlohn. Die Tarifverträge dieser Verbände gelten für den größten Teil der Zeitarbeiter und könnten von der Bundesregierung für allgemeinverbindlich erklärt werden.