Essen. Unruhe bei Thyssenkrupp vor Kundgebung in Essen. Ein Abgeordneter warnt Konzernchef López: „Der soziale Frieden steht auf dem Spiel.“

Erst milliardenschwere Staatshilfe für Thyssenkrupp Steel, dann ein Teilverkauf des Konzerns an den tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky – dieser Plan des Thyssenkrupp-Konzernchefs Miguel López wird vom Grünen-Bundestagsabgeordneten Felix Banaszak kritisch beäugt. „Das Argument, Herr Kretinsky biete Thyssenkrupp etwas, was niemand sonst habe, finde ich nicht überzeugend“, sagt Banaszak im Gespräch mit unserer Redaktion. Banaszak zeigt Verständnis für die Stahl-Beschäftigten, die vor der Essener Konzernzentrale demonstrieren wollen. „Die Stahlarbeiter fragen sich zu Recht, wie es weitergeht. Thyssenkrupp gibt kein gutes Gesamtbild ab. Das schadet auch der Region insgesamt.“

Herr Banaszak, Sie haben sich als Abgeordneter stark dafür eingesetzt, dass Thyssenkrupp Steel staatliche Unterstützung in Milliardenhöhe für den Umbau des Stahlstandorts Duisburg erhält. Jetzt soll ein Teil des Unternehmens an den tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky verkauft werden. Bereuen Sie mittlerweile Ihren Einsatz für den Konzern?

Banaszak: Nein, die Entscheidung, Thyssenkrupp Steel beim Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg zu unterstützen, bleibt richtig. Aber wenn wir als Staat so viel Geld ins Unternehmen stecken, schauen wir natürlich auch besonders aufmerksam hin.

Zwei Milliarden Euro sollen Thyssenkrupp Steel aus der Staatskasse zukommen, davon 1,3 Milliarden Euro vom Bund, etwa 700 Millionen Euro aus NRW. Trotzdem ist die Perspektive des Unternehmens unklar.

Banaszak: Es gab eine Aufbruchstimmung in Duisburg wie seit Jahrzehnten nicht mehr, als Robert Habeck und Mona Neubaur für ihre Bundes- und Landesministerien die Förderbescheide überreicht haben. Dass davon nichts mehr zu spüren ist, geht auf das Konto des Konzern-Managements.

Inwiefern?

Banaszak: Es ist wirklich ärgerlich, was gerade bei Thyssenkrupp passiert. Ich vermisse die Transparenz beim geplanten Verkauf an Daniel Kretinsky. Die Stahlarbeiter fragen sich zu Recht, wie es weitergeht. Thyssenkrupp gibt kein gutes Gesamtbild ab. Das schadet auch der Region insgesamt. Es geht hier schließlich nicht um irgendeine Klitsche, sondern um Deutschlands größten Stahlkonzern, der Duisburg und das Ruhrgebiet entscheidend prägt. Der soziale Frieden steht auf dem Spiel. Nicht umsonst werden Erinnerungen an den großen Arbeitskampf 1987 in Rheinhausen wach.

Der Duisburger Grünen-Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak: „Es ist wirklich ärgerlich, was gerade bei Thyssenkrupp passiert. Ich vermisse die Transparenz beim geplanten Verkauf an Daniel Kretinsky.“
Der Duisburger Grünen-Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak: „Es ist wirklich ärgerlich, was gerade bei Thyssenkrupp passiert. Ich vermisse die Transparenz beim geplanten Verkauf an Daniel Kretinsky.“ © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Welchen Einfluss können die Bundes- und die Landesregierung ausüben? Sind dem Staat die Hände gebunden, nachdem Thyssenkrupp Steel den milliardenschweren Förderbescheid erhalten hat?

Banaszak: Bund und Land fördern nicht das Unternehmen, sondern den Bau und Betrieb der neuen Anlage. Aber jeder Eigner muss die vertraglichen Vereinbarungen einhalten. Klar geregelt ist, dass das Geld aus der Staatskasse nach Duisburg fließt, um hier die Wasserstoffwirtschaft und die Produktion von grünem Stahl anzukurbeln. Die staatliche Förderung hat aber nicht nur eine vertragliche, sondern auch eine politische Dimension. Der Staat hat hier gemeinsam mit dem Unternehmen ein Bekenntnis zum Stahl abgelegt. Das war wichtig.

Haben Sie die Sorge, dass Thyssenkrupp-Chef Miguel López in diesem Sinne vertragsbrüchig wird?

Banaszak: Thyssenkrupp erhält das Geld, um ein zukunftsfähiges Unternehmen zu formen. Sollte der Plan von Herrn López sein, die Stahlsparte möglichst klein zu hacken und einen Tod auf Raten zu riskieren, wäre dies nicht im Geiste der Vereinbarung. Das käme einem politischen Vertragsbruch gleich. Es gibt ein öffentliches, volkswirtschaftliches Interesse an einer starken Stahlindustrie in Deutschland. Dazu gehört nicht nur die lukrative Weiterverarbeitung, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Bund und Land haben deutlich gemacht, dass sie bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen, die Branche in die Zukunft zu führen. Auch der Konzernvorstand hat eine Verantwortung. Noch ist zu wenig erkennbar, dass Herr López das verstanden hat.

Thyssenkrupp-Chef López argumentiert, ein Einstieg des tschechischen Investors Kretinsky hilft dem Stahlkonzern, weil der neue Eigentümer Kompetenzen als Energieunternehmer einbringt.

Banaszak: Es ist richtig, dass künftig mehr noch als bislang erneuerbare Energien über die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie in Deutschland entscheiden. Derzeit verfügt Herr Kretinsky aber vor allem über Braunkohle – und das nicht zu knapp. Der Staat sorgt mit dem Ausbau von Offshore-Wind-Anlagen und Direktverträgen mit der energieintensiven Industrie für sichere und bezahlbare Stromversorgung. Das Argument, Herr Kretinsky biete Thyssenkrupp etwas, was niemand sonst habe, finde ich nicht überzeugend.

„Unklar, wie viel Kapital Herr Kretinsky mitbringt – und ob überhaupt“

Was benötigt Thyssenkrupp Steel denn aus Ihrer Sicht?

Banaszak: Das Unternehmen braucht vor allem Geld, damit die Transformation – und übrigens auch der Bestand – finanziert werden kann. Doch an dieser Stelle gibt es leider noch ein großes Versteckspiel des Vorstands. Es ist unklar, wie viel Kapital Herr Kretinsky mitbringt – und ob überhaupt. Hier erwarte ich, dass die Konzernspitze endlich Antworten auf die berechtigten Fragen der Beschäftigten gibt. Sie muss sagen, unter welchen Konditionen der Einstieg erfolgen soll, und zwar mit konkreten Zahlen und Zielbildern für die Standorte. Herr López sollte nicht der Fehleinschätzung erliegen, dass er Deutschlands Stahlindustrie im Alleingang und gegen den Willen der Beschäftigten umbauen kann.

Gehen Sie davon aus, dass der Staat noch mehr Geld als bisher in Thyssenkrupp Steel stecken wird – und auch den benachbarten Duisburger Konzern HKM unterstützen wird? Derzeit gibt es schließlich sechs Hochöfen in Duisburg, und nur für einen ist eine Nachfolgelösung in Form einer Direktreduktionsanlage gefunden.

Banaszak: Der Staat kann keine Blankoschecks ausstellen, sondern braucht konkrete Förderanträge von Unternehmen. An dieser Stelle hakt es derzeit. Wir brauchen eine grüne Stahlindustrie in Deutschland, und dazu gehören in Duisburg die Standorte im Norden wie im Süden. Es wäre ein Fehler, darauf zu spekulieren, dass man den Rohstahl zukünftig günstiger importieren kann. Das gefährdet am Ende die gesamte Wertschöpfungskette.

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