Bochum. Vivawest-Arbeitsdirektorin Karin Erhard über soziale Probleme in Wohnquartieren und warum sie als Gewerkschafterin Haustarife bevorzugt.

Seit Herbst 2023 gehört Karin Erhard als Arbeitsdirektorin zur Geschäftsführung von Deutschlands drittgrößtem Wohnungskonzern Vivawest. Nach jahrzehntelanger Tätigkeit für die Gewerkschaft IGBCE ist sie nun für mehr als 2000 Mitarbeitende des Gelsenkirchener Vermieters verantwortlich. Wir sprachen mit Karin Erhard über den Seitenwechsel, ihre neue Rolle in Tarifverhandlungen und wie es Vivawest schafft, offene Stellen zu besetzen.

Frau Erhard, Sie kommen gerade von einer Rundreise durch das Ruhrgebiet zu Projekten, die die Vivawest Stiftung unterstützt, zurück. Wie wichtig ist soziales Engagement für einen Immobilienkonzern?

Karin Erhard: Wir unterstützen soziale Projekte aus Überzeugung und nicht nur, weil es gut fürs Image ist – es ist Teil unserer DNA. Unser nachhaltiges Geschäftsmodell besteht aus drei Säulen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Gerade im Ruhrgebiet ist der soziale Aspekt in den Wohnquartieren enorm wichtig. Als Unternehmen haben wir unsere Wurzeln im Bergbau. Gute Nachbarschaft, sozialer Frieden und Integration sind wichtige Werte. Zugang zu Bildung ist das A und O. Uns ist aber auch wichtig, Strategien gegen Einsamkeit zu unterstützen. Das betrifft vor allem ältere Menschen.

Wie viel Geld investiert Vivawest in soziale Projekte?

Erhard: Unserer Stiftung steht pro Jahr annähernd eine Million Euro an Projekt- und Spendenvolumen zur Verfügung. Damit kommen wir hin, weil wir das Budget effizient einsetzen. Wir unterstützen 70 Nachbarschaftsprojekte in 40 Quartieren. Heute war ich zum Beispiel im IFAK Mehrgenerationenhaus in Bochum, das als Anlaufpunkt für Jung und Alt fester Bestandteil der Nachbarschaft ist, bei den Amigonianern in Gelsenkirchen, die Kindern ein warmes Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung bieten und in Bottrop, wo der Verein GemeinSinnschaftGarten Klima- und Naturschutzprojekte umsetzt.

Karin Erhard hat vor ihrem Wechsel zu Vivawest drei Jahrzehnte lang für die Gewerkschaft IGBCE gearbeitet. Sie wohnt in Essen-Rüttenscheid.
Karin Erhard hat vor ihrem Wechsel zu Vivawest drei Jahrzehnte lang für die Gewerkschaft IGBCE gearbeitet. Sie wohnt in Essen-Rüttenscheid. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Sie haben als Vermieter aber auch andere Instrumente in der Hand – etwa bei der Auswahl von Mieterinnen und Mietern in einem Quartier.

Erhard:Auf eine freie Wohnung kommen 30 Interessenten. Dennoch nehmen sich unsere Teams vor Ort ausreichend Zeit für die Auswahl der Mieter, damit sie in die Hausgemeinschaft passen. Ich bin davon überzeugt, dass eine gute Durchmischung verhindern kann, dass Wohnquartiere kippen. Etwa in den Neuen Stadtgärten Recklinghausen und am Borsigplatz in Dortmund ist uns das sehr gut gelungen. Allein in Dortmund haben wir rund 40 Millionen Euro in die Entwicklung des Quartiers investiert. Die hohe Summe wird sich aber langfristig auszahlen.

Energiewende, Modernisierung, Instandhaltung – finden Sie genügend Fachkräfte für all diese Aufgaben?

Erhard: Das ist sicher eine Herausforderung. Vor allem, weil wir nicht nur Vermieter sein wollen, sondern auch Dienstleistungen rund ums Wohnen anbieten. Über 1000 Mitarbeiter kümmern sich um Instandhaltung, Modernisierung und Reparaturen, Grünflächenmanagement, Multimediaversorgung sowie Mess- und Abrechnungsdienste für die Heizungen. Das ist ein weites Feld, für dessen Bestellung wir gut aufgestellt sind.

Das heißt, Sie bilden selbst aus?

Erhard: Beim Recruiting setzen wir vor allem auf die eigenen Leute. Deshalb bilden wir über Bedarf aus und gehen dabei mit der Zeit. Bei Vivawest kann man sich inzwischen sogar per Whatsapp oder Video bewerben. Unser Ziel ist es natürlich, die Azubis am Ende zu halten und im Rahmen der weiteren Karriere für attraktive Weiterbildungsangebote zu sorgen. Das ist der effektivste Schlüssel gegen den Fachkräftemangel. Klar ist aber auch: Architekten, Bauingenieure und IT-Experten müssen wir vom Markt rekrutieren.

IGBCE ist Gesellschafterin von Vivawest

Im Gegensatz zu den beiden größten deutschen Immobilienkonzernen Vonovia und LEG ist die Nummer drei Vivawest nicht börsennotiert. Das Gelsenkirchener Unternehmen hat eine ungewöhnliche Gesellschafterstruktur: 40 Prozent hält die RAG-Stiftung. Zweitgrößter Anteilseigner ist die Gewerkschaft IGBCE mit 26,8 Prozent. Beteiligungen halten auch die Konzerne RAG (18,2 Prozent) und Evonik (15 Prozent). Den Posten des Arbeitsdirektors besetzt traditionell die IGBCE aus ihren Reihen. Kartin Erhard bekleidet das Amt seit September 2023.

Ihr Bochumer Nachbar Vonovia holt sich in Elektronikerinnen und Gärtner aus Kolumbien, weil man hierzulande keine Arbeitskräfte findet. Ist das auch ein Thema für Vivawest?

Erhard: Wir haben über ein Landesprogramm drei Elektroniker aus Jordanien gewinnen können. Wir sind froh, dass sie da sind, der bürokratische Vorlauf war jedoch enorm. Deshalb werben wir in erster Linie um hiesige Arbeitskräfte. Aktuell haben wir rund 80 offene Stellen. Wir suchen insbesondere Anlagenmechaniker und Elektroniker, aber auch IT-Fachkräfte.

Was kann den Vivawest in der aktuellen Situation bieten, in der Arbeitnehmer vermeintlich die Einstellungsbedingungen diktieren?

Erhard: Wir handeln nachhaltig, achten auf die Work-Life-Balance und haben ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement bis hin zum Jobrad und Fitnesskooperationen. Als sozialer Arbeitgeber bieten wir weiterhin flexible Arbeitszeitmodelle, eine Betriebsrente und Unfallversicherung.

Gilt das auch für die Gehälter?

Erhard: Zunächst einmal: Das Gehalt kommt pünktlich. Für viele eine Selbstverständlichkeit, in manchen Branchen aber leider nicht. Für unsere Gesellschaften schließen wir Haustarifverträge mit der Gewerkschaft IGBCE ab. Das funktioniert sehr gut. Die Bedingungen sind besser als der Flächentarifvertrag der jeweiligen Branchen.

Heißt das, dass Sie auf der Arbeitgeberseite jetzt Vertretern der IGBCE gegenübersitzen, für die sie vor Ihrem Wechsel zu Vivawest 30 Jahre lang gearbeitet haben?

Erhard: Ja, ich bin die Verhandlungsführerin für Vivawest. Bei so einem renommierten Wohnungsunternehmen gegen Ende der Karriere (Karin Erhard ist Jahrgang 1961, Anm. d. Red.) noch einmal in der Geschäftsführung als Arbeitsdirektorin verantwortlich zu sein, ist sehr reizvoll. Als mich die IGBCE gefragt hat, ob ich zu Vivawest wechseln möchte, habe ich zwar nicht gleich ja gesagt, die neue Herausforderung dann aber doch angenommen – und es nicht bereut.

Lassen sich die Werte, die Sie als Gewerkschafterin vertreten, in einem Konzern mit 120.000 Wohnungen und mehr als 2000 Beschäftigten umsetzen?

Erhard: Absolut. Wir verhandeln mit der IGBCE und den Betriebsräten auf Augenhöhe. Werte wie Respekt, Wertschätzung, Kollegialität und Transparenz sind bei Vivawest keine Worthülsen. Sonst wäre ich nicht nach Gelsenkirchen gewechselt.

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