Mülheim. Aldi Süd übertrifft Ziele: Umsatz von Fleisch aus Haltungsstufen 3 und 4 verdoppelt. Warum der Discounter von Ampel mehr Pragmatismus fordert.
Aldi Süd macht Tempo beim Umstieg auf Fleisch und Milch aus besserer Tierhaltung. Der Umsatz von Frischfleisch aus den höheren Haltungsstufen 3 und 4 habe sich binnen Jahresfrist verdoppelt, gab der Mülheimer Discounter am Mittwoch vor Journalisten bekannt. Inzwischen stamme die Hälfte der bei Aldi Süd verkauften Frischfleisch-Produkte von Tieren, die im Offenstall oder auf der Wiese gestanden haben. Vor einem Jahr waren es nur 20 Prozent.
Deutschlands größter Discounter erreicht einige seiner Ziele früher als ursprünglich geplant. Die Frage, ob die Kunden bereit seien, für tierische Produkte aus besserer Haltung etwas mehr zu zahlen, hätten die Kundinnen und Kunden mit ihrem Einkaufsverhalten klar beantwortet, betonte Aldi Süd. Deshalb kann der Discounter bei der Frischmilch bereits in diesem Winter die unteren Haltungsstufen 1 und 2 komplett auslisten. Vor einem Jahr betrug ihr Anteil weniger als die Hälfte.
Milchbauern kritisieren Aldis Auslistung von Milch aus Haltungsstufen 1 und 2
Vor allem Milchbauern in Bayern sehen das äußerst kritisch und sich in ihrer Existenz bedroht. Denn in Bayern hält noch etwa jeder zweite Betrieb seine Milchkühe ganzjährig an der Kette. „Wir diskutieren die ganzjährige Anbindehaltung seit 15 Jahren“, sagt dazu Julia Adou, die Nachhaltigkeits-Chefin von Aldi Süd. „Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen, welche Art der Landwirtschaft zukunftsfähig ist und welche Lösungen wir gemeinsam finden. Bei der Milch geht der Trend besonders stark zu höheren Haltungsstufen.“
Die Probleme vieler Landwirte, da mitzugehen, sieht sie freilich auch: „Wir wissen, dass nicht jeder kleine Betrieb die Möglichkeit hat, auf Offenstallhaltung umzustellen. Da sehen wir auch die Bundesregierung in der Pflicht, die Landwirtinnen und Landwirte dabei zu unterstützen, das können wir als Handel nicht allein stemmen.“
Edeka, Rewe, Lidl und Aldi erhöhen Tierwohl-Ziele
Die vier marktbeherrschenden Lebensmittelhändler Edeka/Netto, Rewe/Penny, Aldi und Lidl haben sich vor fünf Jahren mit dem vierstufigen Tierwohllabel eigene Haltungsstandards gesetzt. Alle vier bauen sie seitdem aus und haben sich mehrstufige Ziele gegeben, in der Regel wollen sie bis 2030 nur noch Fleisch und Milch aus den höheren Haltungsstufen verkaufen. Dabei wird das eigene Vier-Stufen-Modell schrittweise vom neuen staatlichen Label mit fünf Haltungsstufen ersetzt. Es gilt zum Start 2025 zunächst nur für unverarbeitetes Schweinefleisch.
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Aldi hat sich auch für Salami & Co. einen Ausstiegszeitplan gegeben: Bis 2025 sollen Wurstwaren aus der Haltungsform 1 ganz verschwinden, bis 2026 ein Drittel der Fleisch- und Wurstwaren aus den Haltungsformen 3 und 4 stammen, bis 2030 der Umstieg auf die höheren Standards abgeschlossen sein. Beim Frischfleisch hat der Discounter sein Ziel bereits jetzt weit übertroffen, bei der Wurst geht es deutlich langsamer: Der Anteil aus besserer Haltung ist im vergangenen Jahr nur von 15 auf 20 Prozent gestiegen.
Auch beim Geflügel geht es schneller als erwartet, vor allem bei Putenfleisch: Aldi Süd wird nach eigenen Angaben bereits in diesem März nur noch Putenfleisch der Stufen 3 und 4 anbieten, zudem stamme das Fleisch zu 100 Prozent aus Deutschland.
Edeka wird bei Tierwohl-Zielen am wenigsten konkret
Was vorher nicht unbedingt zu erwarten war: Die Discounter sind beim Umstieg teils deutlich schneller als die Supermarktriesen. Rewe will bis 2026 seinen Anteil an Hähnchen-Frischfleisch aus besserer Haltungsstufen auf 20 Prozent erhöhen. Bei den Rewe-Eigenmarken soll die unterste Haltungsstufe von Milchkühen bis Ende 2025 ausgelistet werden, ebenso beim Frischfleisch. Bei der Wurst geht Rewe mit dem Ziel, die untere Haltungsstufe im nächsten Jahr auszulisten, voran. Edeka wird am wenigsten konkret, betont vor allem für seine Eigenmarken, mehr Fleisch aus besserer Haltung verwenden zu wollen.
Lidl will bis 2025 die unterste Haltungsstufe bei seinen Tiefkühlprodukten aus Schwein und Geflügel sowie im frischen Wurstsortiment aus Schweinefleisch komplett verbannen. Aus den Haltungsformstufen 3 und 4 soll bis 2026 jedes dritte Produkt kommen. Penny und Netto bauen ihr Angebot an Fleisch und Milch aus besserer Haltung ebenfalls sukzessive aus.
Landwirte sehen sich in ihrer Existenz bedroht
Während der Handel Druck auf die Landwirte macht, ihre Ställe umzubauen und die Verbraucher gern zu diesen Produkten greifen, sehen sich viele Bauern als Verlierer. Das drückt sich seit Wochen auch in den Massenprotesten im ganzen Land aus. Anlass ist zwar die höhere Besteuerung von Agrardiesel, doch die Landwirte fühlen sich seit Jahren nicht mitgenommen beim Umstieg auf tierfreundlichere Haltungsformen, sprich unterbezahlt. Ihnen bereitet nun auch das neue staatliche Label von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) Sorgen.
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Denn es enthält zwar weitgehend identische Regeln wie das freiwillige Label des Handels, aber eben nicht ganz. Grundsätzlich sind die Vorgaben für den Platz der Tiere, die Frischluftzufuhr, Spielzeug und eine Mindestzahl von Weidetagen in den Stufen 1 bis 4 sehr ähnlich. Die Stufe 5 von Özdemir ist Bioprodukten vorbehalten, der Handel hat die Biostandards bereits in Stufe 4 gesetzt, mit Abweichungen vor allem beim Futter für konventionelle Betriebe.
Staatliches Haltungslabel bereitet Schweinemästern Sorgen
Doch schon kleine Details können für Schweinemäster problematisch sein, etwa wenn sie ihren Stall gerade erst umgebaut haben. So verlangt die Haltungsstufe 2 des Handels zehn Prozent mehr Platz für die Tiere, das staatliche Label 12,5 Prozent. Auch beim Frischluftstall (Stufe 3) weichen die staatlichen Standards von denen des Handels leicht ab. Aldi Süd hat deshalb zuletzt gegenüber unserer Redaktion „große Bedenken“ angemeldet, ob das für die Bauern praktikabel ist.
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„Die staatlich verpflichtende Kennzeichnung kann helfen, das Thema weiter voranzubringen. Wir wissen von den Landwirtinnen und Landwirten aber, dass es mit viel Bürokratie, mit unterschiedlichen Regelungen der einzelnen Haltungsstufen einhergeht“, sagt Aldi-Managerin Adou, „da wünschen wir uns von der Politik mehr Pragmatismus.“ Vor allem sei es wichtig, „das staatliche Label auf alle Fleischsorten und die Milch zu übertragen, bisher gilt es ja nur für frisches, unverarbeitetes Schweinefleisch.“
Aldi-Nachhaltigkeits-Chefin: Junge Bauern möchten nicht mehr in dunklem Stall arbeiten
Sorge, für die hohen Ziele bei den Haltungsstufen überhaupt genügend Landwirte zu finden, die da mitmachen, hat Adou aber nicht. „Wir sehen hier aktuell keine Engpässe. Viele Landwirtinnen und Landwirte sind bereit, diesen Weg zu gehen und sehen die Umstellung als Chance.“ Das habe oft mit dem Generationswechsel im Betrieb zu tun, auch wenn die Entscheidung zur Umstellung oftmals ein generationsübergreifendes Projekt sei. „Viele junge Landwirtinnen und Landwirte stehen Innovation offen gegenüber und möchten nicht in dem dunklen Stall arbeiten“, sagt sie.
Ob der von Minister Özdemir geplante Tierwohl-Cent helfen kann, eine Art Fleischsteuer, die an die Erzeuger gehen soll? Es brauche ein Instrument, dass mehr Geld für die Transformation der Landwirtschaft bereitstelle, betont Adou, entscheidend sei, dass das Geld einfach, schnell und unbürokratisch in den Betrieben ankomme. Das sei bisher aber nicht so: „Wenn eine Bäuerin einem vier Ordner voller Förderanträge zeigt und sagt, bisher sei kein Cent geflossen, macht mich das sehr betroffen.“