Hattingen. Commerzbank-Studie: Jeder fünfte Mittelständler in NRW findet keinen Nachfolger. Hattinger Familienunternehmen findet besondere Lösung.
Jedes zweite mittelständische Unternehmen in NRW leidet unter akutem Fachkräftemangel, jeder fünfte Eigentümer findet keinen Nachfolger. Die Zahlen einer Studie, die die Commerzbank in Auftrag gegeben haben, alarmieren. Umso mehr stechen positive Beispiele hervor wie die Lösung, die der Hattinger Ölfilter-Hersteller FES gefunden hat.
Wie geht es weiter in der Firma, wenn die Eigentümer ins Rentenalter kommen und sich aus der Familie heraus keine Nachfolger finden? Diese Frage treibt Tausende Mittelständler um. Eine Umfrage im Auftrag der Commerzbank ergab, dass jeder sechste Gesellschafter in NRW sein Unternehmen nur noch maximal fünf Jahre führen will. Bundesweit ist es gar jeder fünfte. In vielen Betrieben drängt also die Zeit.
Nachfolge-Suche dauert fünf bis sechs Jahre
„Das Familienoberhaupt geht meist davon aus, dass die Kinder übernehmen. Die wollen oftmals aber nicht. Dann beginnt die Suche nach einem Nachfolger. Fünf bis sechs Jahre sind nichts für so einen Prozess“, sagt Leonardo Barone, Gebietsleiter Unternehmerkunden bei der Commerzbank in Essen. „Bei FES dauerte der Prozess von der ersten Idee bis zur Umsetzung fast neun Jahre.“ Trotz der langen Vorbereitungsphase hat es der Hattinger Spezialist für Ölfilter geschafft, eine Lösung zu finden, mit der alle Beteiligten gut leben können.
Vor rund einem Jahr haben die langjährigen Mitarbeiter Dennis Schneider und Benjamin Kleinert das 1993 gegründete Unternehmen übernommen. „Die Altinhaber hatten uns bei der Nachfolgesuche als Joker in der Hinterhand. Ihnen war daran gelegen, dass das Unternehmen vernünftig weitergeführt wird. Jetzt weht bei uns ein frischer Wind“, berichtet Schneider. Es habe auch Interesse von externen Investoren gegeben. „Wir wollten aber keinen Knebelvertrag unterschreiben“, sagt der Geschäftsführer selbstbewusst.
33-Jähriger bezahlte Anteile „nicht aus der Spardose“
Gleichwohl sind die beiden FES-Mitarbeiter mit der Übernahme auch ein hohes persönliches Risiko eingegangen. „Ich habe meine Anteile natürlich nicht aus der Spardose bezahlt. Ich hatte nicht gedacht, dass ich das im Alter von 33 Jahren schaffe“, erzählt Kleinert nicht ohne Stolz. Trotz der finanziellen Belastung bereut er den Sprung in die Selbstständigkeit keineswegs, zumal das Geschäftsführer-Duo alle Fäden nun selbst in der Hand hat. „Wir achten darauf, die Kosten im Auge zu behalten und nicht nur von einem Lieferanten abhängig zu sein“, nennt Kleinert nur ein Beispiel des neuen Stils, der sich auch auf die Personalpolitik der FES GmbH mit ihren bis zu 50 Beschäftigten auswirke.
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„Arbeitgeber haben oft starre Vorstellungen von Bewerbern. Wir verfolgen die Philosophie, dass man sich auch mal die Finger verbrennen können muss, zum Beispiel wenn es darum geht, nicht nur auf dem Wunschprofil zu bestehen“, meint der Mitgesellschafter. Bei der Einstellung von Beschäftigten achte man nun auch auf weiche Faktoren. „Die Soft Skills der Mitarbeiter sind uns auch wichtig, er muss zum Unternehmen passen“, so Kleinert. Die Methode dient offenbar der Bindung. „Bei uns gibt es kaum Fluktuation. Wer zu uns kommt, der bleibt“, erklärt Dennis Schneider.
FES baut auch Filteranlagen für Elektroautos
Aber auch von der Geschäftsidee her sehen sich die Mittelständler der Zukunft zugewandt. „Unsere Filteranlagen sind darauf ausgerichtet, Energie zu sparen und Ressourcen zu schonen. Saubere Oberflächen tragen zum Beispiel dazu bei, dass die Reichweite von Elektroautos erhöht wird“, berichtet Dennis Schneider. Die Filteranlagen made in Hattingen kommen in der Industrie zum Einsatz und werden in Autos verbaut.
Die gelungene Unternehmensnachfolge und die Neuausrichtung der FES sind Entwicklungen, die bei Banken auf große Resonanz stoßen. „Es ist toll zu sehen, wie sich die Firma verändert hat“, sagt Leonardo Barone von der Commerzbank. Nicht nur sein Geldinstitut achtet bei der Betreuung mittelständischer Firmen darauf, dass die Eigentümer sich frühzeitig Gedanken um die Zukunft machen. „Das Familienoberhaupt geht meist davon aus, dass die Kinder übernehmen. Die wollen oftmals aber nicht“, weiß Barone aus der täglichen Praxis. Von zentraler Bedeutung sei, dass beim Übergang auf neue Eigentümer Fachwissen in der Firma bleibe. „Im Fall von FES ist das sehr gut gelungen“, urteilt der Banker.
29 Prozent der Mittelständler wollen Betrieb schließen
Das positive Beispiel aus Hattingen ist aber längst nicht die Regel, wie eine Umfrage ergab. Darin gaben 36 Prozent der Mittelständler in NRW an, sich noch keine Gedanken über ihre Nachfolge gemacht zu haben. Jeder Vierte will die Leitung innerhalb der Familie übergeben, 19 Prozent wollen verkaufen, aber 29 Prozent wollen den Betrieb schließen, sollte die Suche ohne Erfolg ausgehen.
Erkenntnisse gibt es inzwischen auch über die Motive, die Suche nach Nachfolgern einzuleiten. 52 Prozent der befragten Mittelständler in NRW gaben als Grund den veränderten Gesundheitszustand an. Bundesweit sind es nur 39 Prozent. Das fortschreitende Alter ist für die Hälfte ein Motiv.