Dortmund. Dortmunds Oberbürgermeister Westphal klagt über zu viel Bürokratie, gerade beim Baurecht. Um das zu ändern, hat er große Pläne fürs Ruhrgebiet.
Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) sieht in der Bürokratie ein großes Hemmnis für Investitionen. Das zeige sich insbesondere bei Bauprojekten. „Unsere Experten in der Stadtverwaltung erzählen mir: Die Komplexität von Bauanträgen ist enorm gestiegen – und daher ist kaum ein Bauantrag fehlerfrei“, sagt Westphal im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Architekten, die Bauanträge einreichen, sind nicht inkompetenter geworden, sondern haben es mit einer solchen Fülle von Vorschriften zu tun, dass sie den Überblick verlieren.“ Daher müsse das Baurecht einfacher werden. Westphal regt an, das Ruhrgebiet „zur Modellregion für Bürokratieabbau“ zu machen. „Für einen Zeitraum von drei Jahren könnten Vorschriften – Gesetze, Verordnungen und Erlasse – außer Kraft gesetzt oder modifiziert werden, um den Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur voranzubringen.“
Herr Westphal, ein Sprichwort lautet: „Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam.“ Ist der Ausspruch so altbekannt wie aktuell?
Da ist schon etwas dran, aber es liegt in den allermeisten Fällen nicht an den Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, sondern an der Fülle von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen, mit denen sie umgehen müssen. Ich kann gut verstehen, wenn der Frust steigt, gerade auch in den Unternehmen, die auf die Bearbeitung eines Anliegens warten, aber nicht zuletzt auch bei der Verwaltung selbst.
Das klingt fast schon resignierend.
Im Gegenteil: Beim Thema Bürokratie werde ich kämpferisch. Wirtschaftlich befinden wir uns in einer besonderen Phase: Deutschland steckt in einer Rezession. Die Menschen leiden unter der hohen Inflation. Gestiegene Zinsen hemmen die wirtschaftliche Tätigkeit. Aus dieser Krise kommen wir nur über Investitionen heraus, vor allen Dingen in die Infrastruktur der Städte. Genau hier ist die Bürokratie aber der größte Bremsklotz. Deshalb wäre der Abbau von Bürokratie jetzt ein echtes Konjunkturprogramm.
Aber der Eindruck ist: Es tut sich wenig bei diesem Thema.
Oft wird fast schon rituell in Sonntagsreden zu viel Bürokratie beklagt – und danach gehen alle wieder zur Tagesordnung über. Das darf es nicht sein. Ich führe viele Gespräche mit Verantwortlichen in Unternehmen. Der Druck dort ist groß. Ein Beispiel ist die Bauwirtschaft: Im Jahr 1990 gab es rund 5000 Bauvorschriften. Mittlerweile sind es etwa 20.000 – das ist eine Vervierfachung in 33 Jahren. Kaum auszudenken, es ginge in diesem Tempo weiter.
Sie sind als Oberbürgermeister der Chef der Dortmunder Stadtverwaltung. Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus dem Rathaus?
Unsere Experten in der Stadtverwaltung erzählen mir: Die Komplexität von Bauanträgen ist enorm gestiegen – und daher ist kaum ein Bauantrag fehlerfrei. Die Architekten, die Bauanträge einreichen, sind nicht inkompetenter geworden, sondern haben es mit einer solchen Fülle von Vorschriften zu tun, dass sie den Überblick verlieren. Kurzum: Das Baurecht muss einfacher werden.
Werden auch städtische Projekte ausgebremst?
Uns geht es da nicht besser als privaten Bauherren. Von der Planung bis zur Realisierung dauert es nicht selten neun Jahre, bis wir eine neue Kita oder eine neue Schule gebaut haben. Fast einer ganzen Generation wird Besserung versprochen, aber der Container als Behelfsgebäude vor der Schule oder der Kita ist dann das, was die Menschen erleben. Das ist auch auf Dauer nicht zu akzeptieren. Ich möchte, dass wir das, wofür wir jetzt neun Jahre brauchen, in zwei oder drei Jahren schaffen.
Haben Sie weitere Beispiele im Kopf?
Nehmen Sie den Radschnellweg RS1, bei dem es viel zu langsam vorangeht. Das ist doch ein Trauerspiel. Wenn wir nicht einmal in der Lage sind, einen Fahrradweg in weniger als einem Jahrzehnt zu bauen, dann wird der noch viel notwendigere Ausbau des Schienenverkehrs ein Alptraum werden.
Liegt es denn wirklich an der Bürokratie – oder vor allem an fehlendem Geld in den kommunalen Kassen?
Natürlich sind die Städte gerade auch im Ruhrgebiet nicht auf Rosen gebettet. Die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen sind immer weiter gesunken, gleichzeitig sind die Vorschriften, Verordnungen und Gesetze immer mehr und diese immer komplexer geworden. Damit gibt es Druck von zwei Seiten: Während wir als Kommune immer mehr Aufgaben erfüllen sollen und auch berechtigte Ansprüche der Menschen bestehen, wird der Spielraum enger.
Was können Sie denn als Oberbürgermeister einer großen Stadt tun?
Wir brauchen eine ehrgeizige Initiative zum Bürokratieabbau, die auch in der Alltagsrealität der Menschen ankommt. Wenn Bundeskanzler Scholz und die Ministerpräsidenten sich nun auf den Deutschlandpakt verständigen, dann ist das gut. Aber aus diversen Erhebungen wissen wir, dass es nicht der Bund ist, der der große Bürokratietreiber ist, auch nicht die Europäische Union, sondern die Länder und auch wir Kommunen selbst. Deshalb müssen wir in NRW einen neuen Weg gehen, um schneller zu werden und auch unsere eigene Bürokratie in den Blick nehmen. Keine Region ist für einen solchen Versuch besser geeignet als die Metropole Ruhr. Denn hier ist der Nachholbedarf für Infrastruktur sehr hoch und deshalb die Bereitschaft für Neues besonders groß.
Was schwebt Ihnen vor?
Das Ruhrgebiet sollte zur Modellregion für Bürokratieabbau werden. Für einen Zeitraum von drei Jahren könnten Vorschriften – Gesetze, Verordnungen und Erlasse – außer Kraft gesetzt oder modifiziert werden, um den Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur voranzubringen. Die Vorschläge zur Entbürokratisierung und Deregulierung sollen, soweit sie erfolgreich sind, nach Abschluss der Modellphase landesweit in Dauerrecht übernommen werden.
Sie möchten Gesetze befristet abschaffen?
Per Gesetz lassen sich Gesetze außer Kraft setzen, ja. Es geht uns auch nicht etwa um das Straf- oder das Europarecht, sondern ausschließlich um die Gesetze und Vorschriften, die eine Erneuerung oder den Ausbau der Infrastruktur hemmen. Es gibt im Übrigen ein Vorbild in NRW für ein solches Modellregion-Projekt: Im Jahr 2004 ist Ostwestfalen-Lippe zur Modellregion für unternehmerisches Handeln, Existenzgründungen und die wirtschaftliche Entwicklung geworden. Dies ließe sich auf das Thema Infrastruktur übertragen. Entsprechende Gespräche möchten wir gerne mit der Landesregierung führen. Hier geht es um ein Modellprojekt, das an der Basis entwickelt und auch realisiert werden kann.
Die Dortmunder Stadtverwaltung hat rund 11.000 Beschäftigten. Müssen sich die Menschen Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, wenn es durch Bürokratieabbau weniger zu tun gibt?
Nein. Wir haben schon jetzt eher die Herausforderung, dass unsere Leute zu viel Arbeit auf dem Schreibtisch liegen haben. So entstehen zuweilen lange Bearbeitungszeiten, die sich verkürzen lassen, wenn es uns gelingt, unnötige Bürokratie zu vermeiden. Verwaltung ist kein Selbstzweck, sondern soll Dinge regeln oder möglich machen. Im Übrigen reden wir hier über ein Programm, das nichts kostet, sondern nur etwas bringt. Das ist doch auch eine gute Nachricht: Das Ruhrgebiet fordert kein Geld, sondern hat Ideen, wie es vorankommt, ohne auf Mittel aus den staatlichen Haushalten zugreifen zu müssen.
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