Essen. Bei ihrem Rückzug von der Thyssenkrupp-Spitze will Martina Merz keine Abfindung. Eine Millionenzahlung zum Abschied soll es nicht geben.

„Mein ganzer Lebenslauf zeigt, dass es nicht Einkommen ist, was mich primär irgendwie motivieren könnte“, sagte Martina Merz vor einigen Monaten in einem Podcast der „Wirtschaftswoche“. Und tatsächlich: Bei ihrem Rückzug von der Konzernspitze will die Managerin keine Abfindung. Das erfuhr unsere Redaktion zunächst aus dem Umfeld der scheidenden Vorstandschefin, später bestätigte das Unternehmen die Informationen auch offiziell.

Wie das Unternehmen zu Wochenbeginn mitteilte, hat Martina Merz den Aufsichtsrat „um Gespräche über eine einvernehmliche Auflösung ihres Mandats“ gebeten. Demnach ist die Initiative zu einer Beendigung des Vertrags von der Managerin ausgegangen.

Erst im vergangenen Jahr ist die nun 60-Jährige mit einem Vertrag bis 2028 ausgestattet worden. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, der auch BDI-Präsident ist, noch erfreut darüber, dass sich die Managerin bereiterklärt habe, die Veränderung des Konzerns „voranzutreiben“.

Martina Merz war vor ihrem Wechsel in den Thyssenkrupp-Vorstand die Aufsichtsratsvorsitzende des Essener Stahl- und Industriegüterkonzerns. Seit Oktober 2019 führte die Managerin den Vorstand.

Mit Blick auf die bevorstehende Vertragsauflösung sagte Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, es werde „spannend, wie das Finanzielle hier geklärt wird“. Für den Verzicht zollte Tüngler der Managerin Respekt.

Regeln für Vorstandsvergütungen von Hauptversammlung beschlossen

Laut Geschäftsbericht hat Martina Merz für das vergangene Geschäftsjahr 2,59 Millionen Euro erhalten – nach 3,64 Millionen Euro im Vorjahr. Im der von der Hauptversammlung 2022 beschlossenen Vergütungssystematik für Thyssenkrupp heißt es, „in den Vorstandsdienstverträgen sind Abfindungsregelungen vereinbart“. Diese würden den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex entsprechen – eine Art Selbstverpflichtung großer Unternehmen zu einer guten Unternehmensführung. „Im Falle einer auf Veranlassung der Gesellschaft erfolgten vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer kann das Vorstandsmitglied eine Ausgleichszahlung erhalten“, heißt es weiter in den Regeln von Thyssenkrupp.

Die Regelung ist auch in ihren weiteren Formulierungen interpretationsfähig. So heißt es etwa, der Aufsichtsrat könne über bestimmte Teile einer möglichen Abfindung „nach billigem Ermessen“ entscheiden. In Branchenkreisen heißt es, insgesamt sei, falls der Aufsichtsrat eine Abfindung beschlossen hätte, eine Zahlung von rund drei Millionen Euro für die scheidende Vorstandschefin Merz durchaus möglich gewesen. In ihrem Umfeld wird indes betont, für die Managerin sei so oder so klar, dass sie auf eine Abfindung verzichten wolle. Die genauen Informationen zu Zahlungen an die Managerin werden späteren Geschäftsberichten von Thyssenkrupp zu entnehmen sein. Dann muss der Konzern Angaben dazu machen.

Hohe Zahlungen an frühere Thyssenkrupp-Manager

Die Wechsel im Management in den vergangenen Jahren waren zahlreich – und die Liste der ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder, die noch Geld von Thyssenkrupp erhalten, ist lang im jüngsten Geschäftsbericht: Sie reicht von Guido Kerkhoff, der 2,34 Millionen Euro bekommt, über Donatus Kaufmann (1,11 Millionen Euro) und Johannes Dietsch (820.000 Euro) bis Heinrich Hiesinger (695.000 Euro). Hier dürfte es unter anderem um leistungsbezogene Gehaltsbestandteile sowie Zahlungen für die Altersversorgung der früheren Vorstände gehen. Details dazu lassen sich dem Geschäftsbericht nicht entnehmen.

„Thyssenkrupp verliert durch den Chef-Wechsel schon wieder kostbare Zeit“, sagt Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka. Die häufigen Wechsel an der Spitze „tragen nicht zur Glaubwürdigkeit und Vertrauensbildung am Kapitalmarkt bei“, so Speich. Den „Reformstau“ und die Häufigkeit der Chefwechsel bezeichnet er als „besorgniserregend“.

Nachfolger von Martina Merz soll zum 1. Juni der derzeitige Interimschef des Autozulieferers Norma Group, Miguel Ángel López Borrego, werden. Der 58-jährige Spanier, der in Hessen geboren worden ist, hat viele Jahre im Siemens-Konzern gearbeitet. Es wird erwartet, dass Martina Merz bis Ende Mai weiter in Diensten von Thyssenkrupp steht.

Martina Merz auch in Aufsichtsräten von Siemens und Volvo

Ganz ohne Aufgaben in der Industrie wird sie auch danach nicht sein: Seit Februar hat Martina Merz einen Sitz im Aufsichtsrat des Siemens-Konzerns, auch im Kontrollgremium des Autokonzerns Volvo ist Merz vertreten.

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Bei Thyssenkrupp dürfte die Kritik an einem „Sonderbonus“ für den Vorstand mitten in der Corona-Krise eine prägende Erfahrung für Martina Merz gewesen sein. Ob sie habe nachvollziehen können, wird Martina Merz im „Wirtschaftswoche“-Podcast gefragt, dass Menschen entsetzt gewesen seien über den damaligen Bonus in Höhe von 500.000 Euro? „Natürlich kann ich das nachvollziehen, und ich muss ehrlich gestehen: Ich kann es sehr nachvollziehen“, antwortete Merz und fügte hinzu: „Ich habe die Mittel – quasi alles, was bei mir ankam – auch wieder gespendet.“ Zu dem Zeitpunkt sei die Sonderzahlung „schwer vermittelbar gewesen“.