Duisburg. Ministerpräsident Wüst bei Thyssenkrupp Steel in Duisburg: 1,8 Milliarden Euro schwerer Auftrag soll die Zukunft des Stahl-Standorts sichern.

Hendrik Wüst hat ein Herz aus Stahl. Es steht, so erzählt er es, auf seinem Schreibtisch in der NRW-Staatskanzlei – neben Familienfotos und einem Kreuz. Das Herz habe ihm die IG Metall geschenkt, in seinem Büro habe er es stets im Blick, beteuert der Ministerpräsident, als er in einem Konferenzraum neben der Konzernzentrale von Thyssenkrupp Steel in Duisburg sagt, warum sich seine Landesregierung bereiterklärt habe, bis zu 700 Millionen Euro in Deutschlands größten Stahlkonzern zu stecken. „Diese Landesregierung hält Wort“, sagt der CDU-Politiker und erinnert daran, dass er schon einmal bei Thyssenkrupp in Duisburg gewesen sei, nämlich bei seinem ersten offiziellen Termin als Ministerpräsident im Oktober 2021. Da habe er versprochen, „an der Seite der Beschäftigten“ zu stehen.

Es ist eine Investition, mit der Duisburg, Deutschlands größter Stahlstandort, eine Perspektive in einer Zukunft ohne die Kohle bekommen soll. Von „einem der weltweit größten industriellen Dekarbonisierungsprojekte“ ist bei Thyssenkrupp die Rede. In einigen Jahren sollen Duisburgs Hochöfen Geschichte sein und von wasserstoffbetriebenen Direktreduktionsanlagen abgelöst werden.

Eine erste sogenannte DRI-Anlage soll den Plänen zufolge Ende 2026 den Betrieb aufnehmen – also in weniger als vier Jahren. Dafür beauftragt Thyssenkrupp Steel nun einen benachbarten NRW-Konzern: den Anlagenbauer SMS Group aus Düsseldorf. SMS soll die Konstruktion, die Lieferung und den Bau der ersten wasserstoffbetriebenen Direktreduktionsanlage in Duisburg übernehmen. Mit einem Auftragsvolumen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro ist es der größte Einzelauftrag in der Geschichte des Unternehmens.

„Die kohlebasierte Stahlerzeugung hat in Europa keine Zukunft mehr“, sagt Bernhard Osburg, der Chef von Thyssenkrupp Steel. „Aber Stahl hat Zukunft, wenn er grün produziert wird.“ Allein am Standort Duisburg

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz in Duisburg.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

stößt Thyssenkrupp eigenen Angaben zufolge rund 20 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) pro Jahr aus – etwa 2,5 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland. Mit der neuen DRI-Anlage könnten immerhin mehr als 3,5 Millionen Tonnen CO2 jährlich vermieden werden. Es gehe „um den vielleicht größten Strukturwandel seit der Industrialisierung“, sagt Osburg. Die Auftragsvergabe sei für Thyssenkrupp Steel „ein historischer Moment“.

Großbaustelle in Duisburg mit bis zu 2000 Beschäftigten

Neben Osburg steht SMS-Chef Burkhard Dahmen, der die Dimensionen des Umbaus deutlich macht. Bis zu 2000 Mitarbeitende werden voraussichtlich auf der Großbaustelle beschäftigt sein. Fünf Millionen Arbeitsstunden habe sein Unternehmen für das Vorhaben eingeplant.

Wenn Duisburg eine Industriestadt bleiben wolle, „dann geht das nur mit Stahl“, sagt Oberbürgermeister Sören Link (SPD), der ebenfalls auf dem Podium steht. Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp Steel, betont, mit dem Bau der DRI-Anlage würden „Zehntausende Arbeitsplätze“ in der Region gesichert. „Sie haben Wort gehalten“, sagt Nasikkol an Ministerpräsident Wüst gerichtet.

Doch es gibt noch viele offene Fragen. Das wird deutlich, als sich Journalistinnen und Journalisten bei der Pressekonferenz zu Wort melden. Auch Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz geht darauf ein. „Wir betreten technologisches und betriebswirtschaftliches Neuland“, sagt die Managerin, die an diesem Tag ihren 60. Geburtstag feiert und dennoch zwischenzeitlich in die Rolle der Bedenkenträgerin schlüpft. Mit Blick auf die künftigen Energie- und Gaspreise sowie die Verfügbarkeit und die Kosten von Wasserstoff arbeite ihr Konzern derzeit „mit Annahmen, von denen wir heute naturgemäß nicht wissen können, ob sich die Märkte auch tatsächlich so entwickeln“. Aber: „Wir können nicht warten, bis alle Fragen geklärt sind“, betont Martina Merz. „Denn die Märkte von morgen werden jetzt verteilt.“

Die SMS Group, die für Thyssenkrupp tätig wird, ist beispielsweise auch beim Aufbau einer grünen Stahlproduktion in Schweden beteiligt. Zum Vergleich: Beim schwedischen Projekt geht es um ein Investitionsvolumen in Höhe von rund fünf Milliarden Euro, wovon etwa eine Milliarde auf den Anlagenbauer aus NRW entfällt.

Offene Fragen zur Finanzierung des Großprojekts

Unklar sind wichtige Details zur Finanzierung des Duisburger Großprojekts. Welchen Eigenanteil das Unternehmen übernehme, könne er noch nicht veröffentlichen, sagt Thyssenkrupp-Stahlchef Osburg unter Verweis auf ein laufendes Verfahren bei der Europäischen Kommission.

Zu den bis zu 700 Millionen Euro aus NRW soll ein noch größerer Teil der staatlichen Förderung aus Steuermitteln vom Bund kommen, wie aus Antworten von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) auf Fragen der SPD-Landtagsfraktion hervorgeht. Demnach soll der Bund 70 Prozent der Fördersumme beisteuern. Die EU-Kommission ist für die beihilferechtliche Genehmigung zuständig. Thyssenkrupp rechnet eigenen Angaben zufolge mit grünem Licht noch im ersten Halbjahr dieses Jahres.

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Erste Arbeiten auf dem Stahlwerksgelände in Duisburg sollen allerdings schon beginnen. Es könne „unverzüglich begonnen werden“, teilt das Unternehmen mit. Eine entsprechende Genehmigung der Behörden liege vor. Ursprünglichen Plänen des Konzerns zufolge sollte eigentlich schon im Jahr 2025 der erste grüne Stahl mit Hilfe der neuen Technologie produziert werden.

Zunächst soll nicht Wasserstoff, sondern Erdgas zum Einsatz kommen

Zunächst soll auch nicht Wasserstoff, sondern Erdgas in der DRI-Anlage zum Einsatz kommen. Ende 2027, sagt Bernhard Osburg, will Thyssenkrupp auf Wasserstoff umstellen. Bislang ist Wasserstoff knapp und teuer. Import-Strukturen müssen in Deutschland erst noch geschaffen sowie Pipelines gebaut oder umgestellt werden.

Das unternehmerische Risiko beim Bau der DRI-Anlage liegt dem Vernehmen nach insbesondere bei SMS. Das Unternehmen, das weltweit rund 14.000 Mitarbeitende beschäftigt und bald von Düsseldorf nach Mönchengladbach umzieht, hat sich im Wettbewerb mit dem italienisch-argentinischen Konkurrenten Tenova durchgesetzt. Sollte das Duisburger Projekt teurer werden als ursprünglich geplant, dürfte dies vor allem negativ bei SMS zu Buche schlagen. Gelingt der Umbau, könnte der Konzern auch auf weitere lukrative Projekte hoffen. Um Thyssenkrupp Steel bis spätestens 2045 klimaneutral zu machen, so wie es die Pläne des Vorstands vorsehen, müssten noch weitere Hochöfen durch moderne Anlagen ersetzt werden.

Er habe sich „riesig gefreut“, dass der Auftrag von Thyssenkrupp Steel an ein Unternehmen aus NRW gegangen sei, sagt Ministerpräsident Wüst. Die Industrie an Rhein und Ruhr sei in der Lage, eine klimaneutrale Wertschöpfung aufzubauen. „Wir können das“, betont Wüst. Beschäftigungssicherung und Klimaschutz müssten zusammen funktionieren. NRW wolle „der Welt zeigen, wie das geht“.