Essen. Nachdem die Immobilienpreise jahrelang nur gestiegen sind, gehen sie jetzt mancherorts im Ruhrgebiet zurück. Exklusive LBS-Zahlen für die Städte.
Solange die Zinsen unten waren, kannten die Eigenheim-Preise nur eine Richtung – steil nach oben. 2021 stiegen die Preise für Gebraucht-Immobilien in NRW um bis zu 16 Prozent. Neu bauen wurde ebenfalls immer teurer. Jetzt deutet sich zumindest bei den Gebraucht-Immobilien eine Trendwende an: Im Ruhrgebiet gehen die angebotenen Preise in diesem Segment zum Teil deutlich zurück. Das zeigt eine Auswertung durch die Bausparkasse LBS West für unsere Redaktion. Und nach den Beobachtungen der Bausparkassen wie auch des Eigentümerverbands Haus & Grund sind auch diese Preise wegen der sinkenden Nachfrage oft nicht mehr realistisch.
Die Immobilienbranche beobachtet seit Monaten, dass sich immer weniger Menschen ein Eigenheim leisten können, weil die Bauzinsen stark gestiegen sind. Die sinkende Nachfrage drückt die Preise. „Der echte Verkaufspreis ist im Moment sogar noch deutlich unter dem Angebotspreis“, sagte Roland Hustert, Geschäftsführer Vertrieb der LBS Nordwest, unserer Redaktion. Unterm Strich sind laut Hustert „die echten Verkaufspreise mittlerweile um circa zehn Prozent gesunken“.
LBS-Auswertung: Preise für Gebraucht-Immobilien sinken im Ruhrgebiet
Der Grund liegt in der Zinswende in Europa, die sich immer stärker auch auf die Baukredite auswirkt. Seitdem die Europäische Zentralbank (EZB) im vergangenen Juli ihre Nullzinspolitik beendet und den Leitzins auf inzwischen 3,0 Prozent angehoben hat, sind in fast identischem Maße die Bauzinsen gestiegen – von rund einem auf rund vier Prozent. Das bedeutet eine Vervierfachung der Kreditkosten und macht beim Kauf einer Immobilie für 500.000 Euro je nach Laufzeit, Tilgungsrate und Eigenkapital einen hohen fünfstelligen bis sechsstelligen Betrag aus. Für viele ist es das Ende ihres Eigenheim-Traums.
Auf der anderen Seite sinken dadurch die Immobilienwerte. Ende des letzten Jahres kostete eine gebrauchte Eigentumswohnung in Deutschland den LBS-Daten zufolge durchschnittlich 3612 Euro pro Quadratmeter. NRW lag mit 2683 Euro pro Quadratmeter deutlich unter dem bundesweiten Niveau, das Ruhrgebiet mit 2115 Euro noch ein gutes Stück mehr. Im vergangenen Halbjahr sind die Angebotspreise im Ruhrgebiet stabil, in einigen Städten sinken sie aber bereits – am stärksten in Witten mit einem Minus von 15 Prozent. Für ein Einfamilien-Bestandshaus sind die Angebotspreise ebenfalls in Witten am stärksten gesunken (-22 Prozent). Dort kostete es Ende des Jahres durchschnittlich 572.000 Euro. „Witten war ein sehr gefragter Ort mit hohem Preisniveau. Dadurch ist der Abschwung höher als in anderen Städten“, sagt Hustert.
Verkaufsangebote für Immobilien häufig nicht erzielbar – Hilfe vom Bund gefordert
Sinkende Angebotspreise gibt es außerdem bei gebrauchten Reihenhäusern. Im NRW-Durchschnitt sind die Angebotspreise um vier Prozent zurückgegangen. Mit 290.000 Euro Ende des Jahres hatte Gelsenkirchen den größten Abschwung von 19 Prozent. Mit einem Minus von 19 Prozent sind die Angebote am deutlichsten in Gelsenkirchen zurückgegangen.
Die Preise am Immobilienmarkt seien fast bundesweit rückläufig, betont Haus & Grund Ruhr. Dieser Trend habe sich im dritten und vierten Quartal 2022 auch im Ruhrgebiet weiter verfestigt. „Steigende Bau- und Energiekosten, anziehende Zinsen und hohe Grunderwerbssteuern lassen den Traum vom Eigenheim bei vielen Kaufinteressenten platzen“, sagte Geschäftsführer Andreas Noje unserer Redaktion. Dies treffe auch auf gebrauchte Immobilien zu. Denn diese müssten nicht selten an die gesetzlich geforderten Klimaschutzstandards angepasst werden. Höhere Kosten, die damit auf den Käufer oder die Käuferin zukommen würden. „Immobilienpreise, die in Verkaufsangeboten gefordert werden, sind häufig nicht mehr erzielbar“, bestätigt Noje.
Im Juni 2022 wurde beispielsweise in Essen ein gebrauchtes Einfamilienhaus noch für 795.000 Euro angeboten. Bis Ende des Jahres ist der Preis um 13 Prozent gesunken. „Daran sieht man, dass heute niemand mehr diese Preise bezahlen kann und will. Der echte Notarpreis dürfte je nach Objektart unter 600.000 Euro liegen“, so Hustert.
Kaum Preissenkungen beim Neubau möglich
Gebrauchtimmobilien machen laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 80 Prozent des Marktes aus. Das restliche Fünftel, der Neubau, steckt derzeit ebenfalls in einer Krise: Während die Preise bei gebrauchten Immobilien zurückgehen, gibt es beim Neubau kaum Spielraum für Preissenkungen, so die LBS. Neue Eigentumswohnungen waren im Ruhrgebiet im letzten Halbjahr um elf Prozent teurer und lagen bei einem Angebotspreis von 4.398 Euro pro Quadratmeter. Den höchsten Anstieg verzeichnete Gelsenkirchen mit einem Plus von sechs Prozent. Mit einem Quadratmeterpreis von 3927 Euro hätte eine neue Eigentumswohnung von 80 Quadratmetern dort 314.160 Euro gekostet. Vier Prozent teurer wurde ein Reihenhaus in Dortmund – und kostete im Durchschnitt 534.000 Euro. Das sind sämtliche Preiserhöhungen, die die drastisch gestiegenen Baupreise nicht annähernd aufgefangen haben dürften.
„Im Neubau ist schwer abzusehen, wie sich die Preise entwickeln werden“, sagt Hustert. Handwerkermangel, steigende Materialkosten, Bauvorschriften und mangelnde Bauflächen sind Faktoren, die zur angespannten Lage bei den Neubauten beitragen. Daniel Riedl, Vorstand des Wohnungsbauunternehmens Vonovia, hatte im Gespräch mit dieser Redaktion Ende Januar bereits angekündigt, keine neuen Neubau-Projekte in diesem Jahr mehr zu starten.
IVD und Haus & Grund fordern Hilfen vom Bund
Der Immobilienverband Deutschland (IVD) warnt davor, dass sich immer weniger Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte Wohneigentum leisten könnten. Bundesgeschäftsführerin Carolin Hegenbarth macht das am dramatischen Rückgang bei den genehmigten Ein- und Zweifamilienhäusern fest. Laut Statistischem Bundesamt seien die Baugenehmigungen für diese von privaten Bauherren bevorzugten Gebäudetypen um 10,1 Prozent (Zweifamilienhäuser) und um 15,9 Prozent (Einfamilienhäuser) zwischen Januar und November 2022 eingebrochen.
„Vor dieser Entwicklung warnen wir seit geraumer Zeit“, sagt Hegenbarth. „Die Politik muss erkennen, welche Auswirkungen dieser Trend auf den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt hat.“ Der IVD wie auch Haus & Grund fordern deshalb von der Bundesregierung gegenzusteuern – und auch den Erwerb von Bestandsimmobilien zu fördern. Für die Grunderwerbsteuer soll es Freibeträge von 250.000 Euro je Erwachsenem und 150.000 Euro je Kind geben, so Haus & Grund. Zudem könnten Darlehen der staatlichen KfW-Bank das vielen mangelnde Eigenkapital ersetzen.
Die LBS West beobachtet indes in den ersten Wochen dieses Jahres eine leichte Besserung, es hielten wieder mehr Menschen Ausschau nach einer Gebraucht-Immobilie. Die auch durch Inflation, Kriegsfolgen und Zinswende entstandene Zurückhaltung im vergangenen Jahr habe sich Im Januar etwas gelegt. „Es gibt wieder deutlich mehr Menschen, die sich für ein Objekt interessieren. Das könnte der Anfang einer Trendumkehr sein“, so der LBS-Experte.