Essen. Inflation, Rezession und mehr Pleiten: Die westfälische Sparkassen-Präsidentin Liane Buchholz sieht Deutschland noch mitten in der Krise.
Liane Buchholz hat einen besonderen Blick auf Russland. Die Sparkassen-Präsidentin aus Westfalen-Lippe ist in Thüringen aufgewachsen. Ihr Vater hatte in Eisenach eine Schlosserei und hätte es gerne gesehen, wenn seine Tochter einmal den Betrieb übernimmt. Wenn Liane Buchholz heute die Nachrichten aus Russland verfolgt, kann sie dies mit eigenen Sprachkenntnissen tun. Russisch war in der DDR ihre erste Fremdsprache, allerdings – so sagt sie – auch „die Sprache der Besatzer“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Am Tag des Mauerfalls trieb sie noch die Sorge um, die Russen würden in Ostdeutschland einmarschieren.
Als 1989 die Mauer fällt, ist Liane Buchholz 24 Jahre alt und frisch verheiratet. Ihr Elternhaus ist evangelisch geprägt – mit Distanz zur DDR-Obrigkeit, wie sie erzählt. In jungen Jahren habe sie sich gerne West-Fernsehen angeschaut und dabei insbesondere dafür interessiert, wie Börsen funktionieren. Buchholz übernahm dann auch nicht den väterlichen Betrieb, sondern studierte Finanzwirtschaft in der DDR. „Ich war die mit den Zottelhaaren und der Cordhose“, sagt sie. Den Mauerfall empfand sie als „Befreiungsschlag“.
Anfang der 90er begann Liane Buchholz als Referentin beim ostdeutschen Sparkassenverband und machte rasch im Finanzsektor Karriere. Mittlerweile – nach knapp sechs Jahren in NRW – wird die Managerin mit Dienstsitz in Münster auch für den Chefposten beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband gehandelt. Zum Sparkassenverband Westfalen-Lippe, den Buchholz führt, gehören 52 kommunale Geldhäuser. Sparkassen in Städten wie Bochum, Dortmund und Hagen gehören ebenso dazu wie Institute in Emsdetten, Lippstadt oder Wiedenbrück. Über Mitgliedschaften in diversen Sparkassen-Gremien – etwa bei der Deka-Bank, der Landesbank Helaba, beim Immobilienfinanzierer LBS West und der Provinzial-Versicherung – ist Liane Buchholz gut vernetzt. Die 57-Jährige wäre die erste Frau im Sparkassen-Präsidentenamt auf Bundesebene.
Buchholz spricht gerne ein offenes Wort. Sie habe aufgrund ihrer Biografie ein ausgeprägtes „Gefühl für
Unehrlichkeiten“ entwickelt, sagt Buchholz. Dass es in der DDR alltäglich gewesen sei, Menschen durch die Stasi auszuspionieren, habe sie geprägt. Wenn sie heute Unehrlichkeit wahrnehme, sagt sie, „da werde ich rabiat“. Ihre DDR-Vergangenheit beeinflusst auch ihren Blick auf aktuelle Diskussionen. „Wenn in Berlin über Enteignungen gesprochen wird, ist das für mich etwas ganz Fürchterliches“, merkt Buchholz im Zusammenhang mit Rufen nach einer Verstaatlichung von Immobilienkonzernen an. Bei Fragen wie diesen sei sie sensibel, denn in der DDR seien Enteignungswellen gefürchtet gewesen.
„Es wird einen unglaublichen Ruck bei der Energiewende geben“
Lange Analysen kann Buchholz liefern, wenn es um Russland geht. Dass Deutschland nun die jahrelange Abhängigkeit von russischen Energielieferungen beende, werde sich auszahlen, sagt die Finanzmanagerin voraus. „Kurzfristig wird Deutschland geschwächt durch den Verzicht auf russisches Erdgas, langfristig erwarte ich aber, dass wir gestärkt aus der Krise kommen“, sagt Buchholz. „Es wird einen unglaublichen Ruck bei der Energiewende geben.“ Auch in NRW seien viele Mittelständler gerade damit befasst, ihre Energieversorgung auf die Erneuerbaren umzustellen.
Gleichwohl blickt Buchholz auch skeptisch auf die von der Bundesregierung gesteckten Ziele zur Klimaneutralität, die in etwas mehr als 20 Jahren erreicht werden soll. „Um das Ziel zu erreichen, Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu machen, sind Schätzungen zufolge rund sechs Billionen Euro notwendig – drei Mal so viel wie für die Wiedervereinigung“, sagt Buchholz. „Ich habe große Zweifel, dass wir dieses Ziel mit dem bisher eingeschlagenen Kurs erreichen können.“
Auch wenn es darum geht, die Folgen des Ukraine-Kriegs für Deutschlands Wirtschaft zu beschreiben, wird Buchholz deutlich. Sie erwarte eine Rezession und eine steigende Zahl von Pleiten. Angesichts der Krise sieht die Sparkassen-Managerin auch die Europäischen Zentralbank gefordert. „Wir brauchen weitere Zinserhöhungen durch die EZB, um die Inflation in den Griff zu bekommen“, fordert Buchholz. Mit Zinserhöhungen versucht die EZB seit dem Sommer 2022, die Inflation einzudämmen. Mittlerweile liegt der Leitzins bei 2,5 Prozent. „Der Schritt der EZB war überfällig“, sagt Buchholz dazu. „Die Energiekrise lässt sich nicht von heute auf morgen lösen. Zur Bekämpfung der Inflation sind weitere Zinsschritte notwendig.“