Essen. Essener TÜV-Tochter DMT sieht bei der Tiefengeothermie viele ungenutzte Potenziale – auch im Ruhrgebiet. DMT fordert flächendeckende Erkundungen.
Es ist ein Potenzial zur Energieerzeugung, das nach Einschätzung von Maik Tiedemann noch viel zu wenig genutzt wird – auch im Ruhrgebiet. „Mit Tiefengeothermie lassen sich ganze Stadtteile versorgen“, sagt der Chef der Essener TÜV-Tochter DMT. Dafür gebe es jetzt schon Beispiele, das bayerische Unterhaching etwa. In NRW dagegen seien kaum nennenswerte Geothermie-Projekte auf den Weg gebracht worden. „Bislang hält sich die Zahl der Erkundungen in Grenzen“, sagt Tiedemann im Gespräch mit unserer Redaktion. In Münster, Düsseldorf, Krefeld und Duisburg gebe es zwar Vorhaben, es seien allerdings vor allem regional begrenzte Einzelprojekte.
„Wir müssen die Geothermie industrialisieren“, fordert der DMT-Chef. Mindestens 25 Prozent des Wärmebedarfs in Deutschland könnten seiner Darstellung zufolge durch Tiefengeothermie gedeckt werden. „Wenn es um die Energiewende in Deutschland geht, steht häufig der Strom im Fokus. Für eine klimaneutrale Versorgung brauchen wir aber auch die Wärmegewinnung aus erneuerbaren Energien. Eine ganz wesentliche, fast unerschöpfliche Quelle kann Geothermie sein.“
Bei der Tiefengeothermie wird warmes Wasser zwischen 400 Metern und fünf Kilometern unter der Erde eingesetzt. Wohnungsunternehmen wie Vivawest und Vonovia setzen derzeit vor allem auf Einzelprojekte, bei denen nicht annähernd so tief gebohrt wird, zuweilen nur bis 50 Meter unter der Erde.
Pro 1000 Meter Tiefe nehmen die Temperaturen nach Angaben der Essener Firma DMT, die zum Technologie-Dienstleister TÜV Nord gehört, um 30 Grad Celsius zu. Das Thermalwasser in vier Kilometern Tiefe könne 120 Grad heiß sein. DMT hat viel Erfahrung auf dem Gebiet der Tiefengeothermie. „An fast allen relevanten Projekten in Deutschland im Laufe der vergangenen Jahre waren wir beteiligt“, sagt DMT-Manager Bodo Lehmann und nennt zudem ein Beispiel aus Österreich: „Im Raum Wien haben wir für die Tiefengeothermie 2019 innerhalb von neun Monaten ein Gebiet erkundet, das etwa einem Drittel der Fläche des Ruhrgebiets entspricht.“
„NRW hinkt beim Thema tiefe Geothermie noch hinterher“
Auch beim Aufbau einer Geothermie-Infrastruktur in Unterhaching für die Stadtwerke München sei DMT beteiligt gewesen. Das, was dort in den vergangenen 25 Jahren entstand, könnte „eine Blaupause für ganz Deutschland“ sein, sagt Unternehmenschef Tiedemann. „Wir registrieren ein wachsendes Interesse von Energieversorgern, darunter auch Stadtwerke aus dem Ruhrgebiet.“ Dennoch passiere bislang viel zu wenig in Sachen Geothermie.
„NRW hinkt beim Thema tiefe Geothermie noch hinterher“, sagt DMT-Experte Boris Dombrowski. „Aktuell gibt es kein einziges Tiefengeothermie-Heizwerk in NRW.“ Bundesweit seien es 42 Anlagen – die meisten davon liefern Wärme, vier zusätzlich auch Strom. „Die kleinen Zahlen zeigen. Es ist noch viel Luft nach oben“, konstatiert Dombrowski. „Sinnvoll wäre es, das Potenzial für sämtliche Großstädte in Deutschland zu untersuchen“, sagt DMT-Chef Tiedemann.
„Wir müssen flächendeckend vorgehen“
Die Kosten für ein solches Großprojekt bezeichnet der Manager – zumindest gemessen an den Investitionen für die Energiewende insgesamt – als „überschaubar“. Nach Berechnungen der TÜV-Tochter wären rund 600 Millionen Euro erforderlich, um die 80 größten Städte Deutschlands zu erkunden. „Nadelstiche bringen Deutschland beim Thema Geothermie nicht entscheidend nach vorn“, sagt Tiedemann. „Wir müssen flächendeckend vorgehen.“
Den Untergrund der 80 größten Städte Deutschlands könnte das Unternehmen eigenen Angaben zufolge innerhalb von drei Jahren erkunden. Dabei sollen Explorationsfahrzeuge, sogenannte Vibro-Trucks, zum Einsatz kommen. Bei einer solchen Erkundung gebe es noch keine Probebohrungen. „Diese erfolgen erst in einem nachgelagerten Schritt – nachdem die Daten aus der Erkundung ausgewertet worden sind“, erklärt Tiedemann. „Die Explorationsfahrzeuge rütteln die Erde durch und erfassen mit Spezialmikrofonen Informationen dazu, wo sich geothermales Wasser unter der Erde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit befindet. Die Technologie wurde bei der Öl- und Gas-Exploration erfolgreich eingesetzt.“
Sobald gebohrt wird, steigen die Kosten für die Geothermie-Projekte. „Eine entscheidende Frage ist, wie die Risiken für potenzielle Investoren verringert werden können“, sagt Tiedemann. „Natürlich kann es vorkommen, dass eine Probebohrung erfolglos bleibt. Die Frage ist: Lässt sich das durch staatliche Hilfe absichern?“
Große Städte besonders im Blick
Insbesondere für dicht besiedelte Gebiete sei Erdwärme interessant, erklärt Bodo Lehmann. Denn das warme Wasser lasse sich nicht unbegrenzt über weite Strecken transportieren, ohne dass zu viel Energie verloren gehe. Beim Aufbau einer Geothermie-Infrastruktur könne auch ein bestehendes Fernwärme-Netz genutzt werden.
„Für etwa 40 Prozent der Fläche Deutschlands liegen die Daten vor, um die Potenziale für Geothermie im ersten Schritt einschätzen zu können“, sagt DMT-Experte Lehmann. „Bei 60 Prozent der Fläche, insbesondere in den Ballungsräumen, ist dies nicht der Fall.“ Vergleichsweise viel sei über den Rheingraben, das Voralpenland und das Norddeutsche Becken bekannt. Schon auf Basis dieser Daten sei es plausibel, dass Geothermie rund 25 Prozent des Wärmebedarfs decken könne. „Aber weite Teile Deutschlands sind noch nicht erkundet. Es ist also davon auszugehen, dass die tatsächlichen Möglichkeiten sehr viel größer sind.“
Auch mit Blick auf die Potenziale in den Ruhrgebietsstädten fehle bislang die Datenbasis, berichtet DMT-Experte Lehmann. Aus Zeiten des Steinkohlebergbaus gebe es zwar viele Informationen, diese reichten aber zuweilen nicht in Dimensionen unter der Erde, die für Tiefengeothermie relevant seien.