Olsberg. Klimaschutzministerin Mona Neubaur erläutert, wie ein schneller Ausbau Erneuerbarer Energien gelingen soll und warum nicht alles grün sein muss.

Die Bergkuppen rund um Olsberg sind vom Schnee gepudert. Mona Neubaur erinnert die Szenerie im Land der tausend Berge an ihre Heimat. Die Grünenpolitikerin ist in Pöttmes, einer Ansammlung von Dörfern in Bayern, aufgewachsen, bevor sie von der Donau an den Rhein zum Studium nach Düsseldorf umsiedelte. Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Klimaschutzministerin ist Gast bei der Sauerländer Botschaft.

Der Lobbyverein, vor einem Jahr in Berlin gegründet, um der Heimatregion in der Bundeshauptstadt mehr Gehör zu verschaffen, trifft sich erstmals in der Heimat, im Forum der Firma Oventrop. Austausch über Regieren und Wirtschaften in extremen Krisenzeiten. „Das angezuckerte Sauerland ist schön für die Augen.“ Das Gesprächsklima im Forum – wertschätzend, kein bisschen eisig.

Auf der Tagesordnung stehen Themen, mit denen sich der südwestfälische Mittelstand gerade auseinandersetzt – mangelhafte Infrastruktur, unsichere und teure Energieversorgung etwa. Neubaur gibt Antworten im Gespräch mit dieser Zeitung.

Die Wirtschaftsregion Südwestfalen ist unzweifelhaft stark und in der Vergangenheit mit viel weniger Hilfe von außen ausgekommen als andere Region in Nordrhein-Westfalen. Mittlerweile verfestigt sich aber der Eindruck, dass jetzt auch Südwestfalen Hilfe braucht, und nicht nur Schulterklopfen.

Die Zahlen sprechen dagegen. Der Weg, den Südwestfalen geht, ist doch von Erfolg gekrönt. Der Zukunftsatlas von Prognos weist Südwestfalen als eine Region aus, die auf dem aufsteigenden Ast ist. Dort, wo Netzwerke zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gebildet werden, entsteht eine wahnsinnige Innovationskraft. Das ist in Ostwestfalen so und in Südwestfalen auch.

Vielleicht haben Sie an dieser Stelle recht. Wenn ich aber an Zukunftsthemen wie Energieversorgung denke, gibt es viele Fragezeichen. Wie steht es beispielsweise mit Unterstützung für den Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft nicht nur an Rhein und Ruhr, sondern auch im ländlichen Raum?

Wir sind gerade dabei herauszufinden, welche Umbauten nötig sind, damit Wasserstoff flächendeckend zur Verfügung steht. Klar ist, wer klimaneutral produzieren will, muss sich kümmern, dass grüner Wasserstoff in ganz Nordrhein-Westfalen flächendeckend zur Verfügung steht. Daran, wie das technisch machbar ist, welche Verästelungen im H2-Netz notwendig sind, arbeiten derzeit viele Menschen in unserem Land: Unternehmen, Netzbetreiber, Forschungseinrichtungen, die Landesregierung, regionale und kommunale Akteure. Wir fördern als Landesregierung über verschiedene Förderrichtlinien den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, die über die Grenzen NRWs hinausreicht. Sei es im Bereich Mobilität oder aber der Einsatz in der Industrie wie z.B. bei der Glas- oder Stahlherstellung. Wir haben zudem ein Förderprogramm geplant, welches die dezentrale Errichtung von Elektrolyseuren mit direktem Anschluss an Erneuerbare Energien finanziell unterstützen soll.

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mag es pragmatisch: „Um Klimaneutralität zu erreichen, muss Wasserstoff langfristig zwingend grün sein. Im Hochlauf müssen wir jetzt aber auch andersfarbigen Wasserstoff einsetzen können, um herauszufinden, wie man damit arbeitet, und einen schnellen Hochlauf zu ermöglichen. Zu warten, bis wir den perfekt grünen Wasserstoff haben, wäre Zeitverschwendung.“
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mag es pragmatisch: „Um Klimaneutralität zu erreichen, muss Wasserstoff langfristig zwingend grün sein. Im Hochlauf müssen wir jetzt aber auch andersfarbigen Wasserstoff einsetzen können, um herauszufinden, wie man damit arbeitet, und einen schnellen Hochlauf zu ermöglichen. Zu warten, bis wir den perfekt grünen Wasserstoff haben, wäre Zeitverschwendung.“ © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Muss der Wasserstoff zwingend grün sein, oder kann er auch eine andere Farbe haben, grau oder blau?

Um Klimaneutralität zu erreichen, muss er langfristig zwingend grün sein. Im Hochlauf müssen wir jetzt aber auch andersfarbigen Wasserstoff einsetzen können, um herauszufinden, wie man damit arbeitet, und einen schnellen Hochlauf zu ermöglichen. Zu warten, bis wir den perfekt grünen Wasserstoff haben, wäre Zeitverschwendung. Wir müssen jetzt schnell Produktionskapazitäten aufbauen, Importe sicherstellen, Einsatztechnologien erproben, Erdgasnetze auf Wasserstoff umstellen.

Das wird noch eine ganze Weile dauern. Die hohen Energiekosten, das, was Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als das „New Normal“ bezeichnet, veranlassen immer mehr Unternehmen, über Verlagerungen ins Ausland nachzudenken.

Ich glaube, wir brauchen tatsächlich eine verlässliche Antwort auf die hohen Energiepreise für die Industrie. Das kann aber das Land nicht entscheiden, nur sollte sich der Bund hier schon etwas einfallen lassen.

Wie wäre es mit einem Turbo für den Ausbau Erneuerbarer Energien?

Je schneller wir Erneuerbare ausbauen, desto schneller bekommen wir günstige Energie. Das ist die Formel, die hinter allem steckt!

Bislang passiert der Ausbau extrem schleppend. Sie haben jetzt Veränderungen im Landesentwicklungsplan (LEP) angestoßen. Heißt das, dass es dann wenigstens ab 2024 richtig schnell mit dem Ausbau von Photovoltaik und Windkraft geht?

Wir brauchen Rechtssicherheit für alle Beteiligten, für die Bürgerinnen und Bürger, für die Projektierer, dafür brauchen wir die Änderung des LEP, aber die dauert ihre Zeit, weil sie Beteiligung vorsieht. Das Verfahren wird im Mai 2024 abgeschlossen sein. Weitgehend parallel werden die Regionalpläne geändert. Ab dann können alle, die bauen wollen, auch bauen. Die Zeit bis dahin wollen wir nutzen, um an Potenzial freizusetzen, was freizusetzen ist. Dazu ermöglichen wir jetzt die Aufstellung von Windkraftanlagen auf Kalamitätsflächen im Wald. Zweitens haben wir eine Task Force „Ausbaubeschleunigung Wind“ eingesetzt, die sich ganz genau die Fälle ansieht, die jetzt noch in Genehmigungsverfahren hängen, um Lösungen zu suchen, für künftige Verfahren zu lernen und schneller zu werden. Außerdem soll es eine isolierte Positivplanung geben. Das heißt, wenn ein Industrieunternehmen Windkraftanlagen aufstellen will und eine Gemeinde sagt, wir wollen das auch, dann machen wir das möglich.

Sollten Gemeinden, in denen künftig neue Windparks entstehen, für die Belastung nicht entschädigt werden?

Es wird eine Pflicht für Windparkbetreiber geben, als Lastenausgleich eine Energieabgabe an die Kommunen zu zahlen. An mich wenden sich gerade viele Bürgermeister und Bürgerenergiegenossenschaften, die ausbauen wollen. Das Gebot der Stunde ist für Gemeinden, sich jetzt zu kümmern und den Prozess im Sinne der Bürgerinnen und Bürger mitzugestalten.

Steht die Zahl von 900-1000 neuen Windkraftanlagen in Südwestfalen noch?

Es ist gerade eine neue Potenzialstudie in Arbeit. Wir wollen eine gerechte Verteilung und haben dies auch als Kriterium für die Studie festgelegt. Ich möchte, dass Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland das „Wind-an-Land-Gesetz“ umgesetzt hat, also die Ausweisung von 1,8 Prozent der Landesfläche für Windkraft.

A45 - Neubaur: „Beim Brückenbau liegt der Ball beim Bund“

Die Chronologie eines Neubaus der A45-Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid scheint festzustehen. Können sie als Landesregierung den Bau der A45-Talbrücke Rahmede beschleunigend begleiten, oder müssen Sie zuschauen, was der Bund wann umsetzt?

Beim Brückenbau liegt der Ball beim Bundesverkehrsministerium. Aber wir sind weiterhin aktiv, sind ansprechbar und tun das Mögliche, um Einschränkungen und Belastungen abzumildern, die durch die Sperrung entstanden sind. Die Region Südwestfalen ist wirtschaftlich stark und hat herausgehobene Bedeutung für ganz NRW. Deshalb hat die Landesregierung großes Interesse daran, dass sie weiter so prosperieren kann wie bisher.

Ihr Kollege Verkehrsminister Krischer hat im August den Bund scharf dafür kritisiert, dass nicht mit maximaler Beschleunigung an der Lösung des Problems in Lüdenscheid gearbeitet werde. Gilt die Kritik heute noch, und teilen Sie sie?

Die Belastungen, die durch die A45-Sperrung entstanden sind, sind eine schlimme Zumutung für die Menschen und Unternehmen in der gesamten Region. Deshalb kann man natürlich nicht zufrieden sein, dass es so lange dauert, wie es dauert. Unser Anspruch muss sein, bei Planungs- und Genehmigungsprozessen deutlich schneller zu werden. Das darunter liegende Grundproblem ist aber eine Infrastruktur, in die viel zu lange nicht ausreichend investiert wurde, und die in keinem guten Gesamtzustand ist.

Was tut das Land dagegen?

Wir brauchen eine Priorität beim Erhalt der Infrastruktur, gleichzeitig aber auch eine Ausrichtung auf klimaneutrale Mobilität, also den Ausbau des ÖPNV. Kleine und mittlere von der Sperrung betroffene Unternehmen können übrigens weiterhin den NRW.Bank-Universalkredit mit Tilgungsnachlass beantragen.