Holzwickede. In Holzwickede wurde der Beweis angetreten, dass das alte Erdgasnetz für Wasserstoff taugt – jedenfalls auf 500 Metern von 550.000 Kilometern.

500 Meter Wasserstoff-Zukunft sind seit Donnerstag am Start. Ist dies der Durchbruch auf dem Weg zu mehr Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität?

Nordrhein-Westfalens Klima- und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Die Grünen) mag daran glauben. Sie besuchte am Donnerstag in Holzwickede das Forschungs- und Entwicklungsprojekt H2HoWi, das nach Aussage der Betreiber eine, vielleicht die entscheidende Frage auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft beantwortet: Taugt das bestehende 550.000 Kilometer lange deutsche Erdgasnetz für Transport und Speicherung von (vorzugsweise grünem) Wasserstoff? Westnetz-Chef Patrick Wittenberg ist nach zwei Jahren Entwicklung und letzten Belastungstests im Projekt H2HoWi davon überzeugt: „Unsere Erdgasleitungen sind grundsätzlich geeignet für Wasserstoff. Es muss dafür gar nicht viel geändert werden.“

Jedes Molekül zählt

Zugegeben, auch wenn die Antwort richtig ist, sind 500 Meter Stresstest für eine alte Erdgasleitung angesichts des riesigen Erdgasnetzes noch ein kleiner Beitrag. Auf genau dieser Länge fließt in Holzwickede in einem Gewerbegebiet unweit des Flughafens Dortmund jetzt grüner Wasserstoff durch eine vorher für Erdgas genutzte Leitung an echte Kunden. Das ist das Neue.

Im Holzwickeder Gewerbegebiet nahe Flughafens Dortmund haben Westenergie und Westnetz eine Wasserstoffanlage aufgebaut und versorgen drei Gewerbekunden über eine alte Leitung mit grünem Wasserstoff – aus einem Tank.
Im Holzwickeder Gewerbegebiet nahe Flughafens Dortmund haben Westenergie und Westnetz eine Wasserstoffanlage aufgebaut und versorgen drei Gewerbekunden über eine alte Leitung mit grünem Wasserstoff – aus einem Tank. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Angestoßen und umgesetzt haben dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt Ingenieure des Verteilnetzbetreiber Westnetz, einem Tochterunternehmen der Westenergie AG, die zum Eon-Konzern gehört. Noch hat dieses Beweisprojekt die Anmutung eines Versuchsaufbaus. Ein Wasserstofftank, Kontrollschächte und am Ende bei den Kunden Heizbrenner einer großen niederländischen Marke, die den neuen Stoff vertragen und Raumwärme abgeben wie eine herkömmliche Brennwertheizung – nur, dass Wasserstoff statt Erdgas die Energie liefert.

Immerhin auch der Beweis, dass es technisch für Otto-Normalverbraucher noch Alternativen zur gerade vielgepriesenen Wärmepumpe gäbe. Davon sind wir allerdings noch meilenweit entfernt. Der erste Blick bei der Wasserstoffnutzung geht schließlich in Richtung Industrie. Wie wichtig das Holzwickeder Beweisprojekt für das Industrieland Nordrhein-Westfalen sein könnte, unterstrich die zuständige Landesministerin Mona Neubaur (Die Grünen) am Donnerstag vor Ort: „Es wird viele Teile der NRW-Wirtschaft geben, wo das Molekül zählt.“ Gemeint ist das Wasserstoffmolekül. Bei weitem nicht alle Produktionsprozesse ließen sich schließlich elektrifizieren.

EU-Streit hemmt Importe noch

Neubaur spricht viel über die Zukunft, die besonders gute Lage Nordrhein-Westfalens, wenn es um Belieferung mit grünem Wasserstoff aus den Niederlanden und Belgien geht. Allerdings: „Klimaneutralität klingt immer schick, bedeutet aber wahnsinnig viel Arbeit.“ Was die Landesministerin meint, sind die bürokratischen Hürden auf dem Weg in eine grüne Wasserstoffzukunft. Bis auf einige (41) von der EU-Kommission genehmigte und geförderte Projekte für Erzeugung, Transport und Nutzung von Wasserstoff innerhalb der Grenzen der Europäischen Union herrscht zwischen Parlament und Kommission noch Streit über die genauen Strukturen einer Wasserstoffwirtschaft. Es geht um Wettbewerb bei dem – irgendwann lukrativen – Markt. Neubaur hofft auf schnelle Klärung durch ihren Parteifreund und Bundesminister Robert Habeck. „Sobald an der Schnittstelle zwischen Belgien und Deutschland Rechtssicherheit herrscht, kann grüner Wasserstoff fließen. Ich denke, im kommenden Jahr ist das geklärt.“

Zu Beginn des Holzwickeder Projekts, erklärt Westnetz-Chef Wittenberg, habe es viele Fragen hinsichtlich der technischen Möglichkeiten gegeben, H2-Moleküle in die alten Erdgasleitungen zu pressen. Beschäftigte der Westnetz haben Antworten gefunden. Unter anderem in Form von Patenten für die Betriebssicherheit. Laienhaft ausgedrückt in Form eines wasserstoffresistenten Absperrventils und einer Odorieranlage, die austretendes H2-Gas riechbar macht. Nur so konnten die Ingenieure überhaupt testen, ob die alte Erdgasleitung dicht hält. Tat sie. Tatsächlich sind nicht alle 550.000 Kilometer Netz in Deutschland aus den gleichen Materialien. Es gibt beispielsweise Kunststoff- wie Stahlpipelines, und Wasserstoff lässt bestimmte Stahlsorten verspröden.

Wie viel Kilometer aus welchem Material verlegt sind, konnten die Experten zwar ad hoc nicht beantworten. Dennoch sind sie sicher, dass Wasserstoff und die alten Netze zusammenpassen. Davon ist nicht zuletzt Katherina Reiche überzeugt.

Sie ist nicht nur Chefin der Westenergie AG, sondern auch Vorsitzende des 2020 von der Bundesregierung aus der Taufe gehobenen Nationalen Wasserstoffrates, einem Expertengremium, das den vor zwei Jahren ausgerufenen Aufbruch in eine Wasserstoffwirtschaft begleiten soll. So grausam und furchtbar der Ukrainekrieg auch sei, hätte er er die Chancen für Wasserstoff als zukunftsweisenden Energieträger noch einmal vergrößert: „H2 steht für Versorgungssicherheit und Klimaneutralität.“

Westenergie und Westnetz hätten dabei vor allem den Mittelstand, die starken familiengeführten Unternehmen in Nordrhein-Westfalen im Blick, verweist Reiche auf ein ähnliches Pilotprojekt im Sauerland – allerdings schon eine Nummer größer. Zwischen Arnsberg und Eisborn sollen elf Kilometer Erdgasleitung zur Wasserstoffversorgung genutzt werden. „Ich glaube, es ist gerade eine kleine Revolution im Gange“, verbreitet auch Reiche am Donnerstag viel Optimismus in düsteren Zeiten.

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