Essen/Düsseldorf. Vodafone im Visier der Datenschützer: Nach Vorwürfen zu Betrugsmaschen erleidet der Telekommunikationskonzern Schlappen vor Gericht.

Vor einem Jahr sorgte der Düsseldorfer Telekommunikationskonzern Vodafone für Wirbel, weil er zahlreichen Partneragenturen gekündigt und eine Reihe von Shops geschlossen hatte. Der Verdacht: untergeschobene Verträge und unterschlagene Smartphones. Das Unternehmen hat sich stets als Opfer von „betrügerischen Handlungen“ dargestellt. Doch mehrere Gerichtsentscheidungen bringen Vodafone in die Defensive. Sie legen nicht nur die Vermutung nahe, dass Vodafone mit mangelhafter Software Betrügereien ermöglicht hat – und dies gewusst hat. In einem aktuellen Urteil kommen die Richter zudem zu der Einschätzung, dass Vodafone für das Handeln der Partnershops verantwortlich ist.

Die Liste mit Berichten über Kunden, die sich über Vodafone beschweren, ist lang und reicht Jahre zurück. Immer wieder hat Vodafone betont, es gebe Maßnahmen, um Betrugsmaschen einen Riegel vorzuschieben. Doch schon 2019 kam das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Urteil zu einer völlig anderen Einschätzung. In der Auseinandersetzung stritten sich Vodafone und ein Shopbetreiber um Provisionen. Im Urteil heißt es unter anderem, dass das Aktivierungsprogramm „unzureichend strukturiert“, sei. Wörtlich: „Mit dieser Vorgehensweise und einem Aktivierungsprogramm das unzulänglich ist und erhebliche Lücken ausweist, verstößt die Beklagte (Vodafone, Anm. d. Red) in gravierender Weise gegen die in eigenen Angelegenheiten zu fordernde Sorgfalt.“

In einem anderen Verfahren, in dem ein Shopbetreiber gegen eine Belieferungssperre durch Vodafone geklagt hatte, schildert ein Vertreter des Unternehmens selbst, wie man die Systeme überlisten – und damit Smartphones unterschlagen – kann. Im Teilurteil wird Vodafone so wiedergegeben: „Es sei möglich, Verträge unter Umgehung des Systems ,SignoSign’ zu aktiveren, hierfür müsse der Kunde nicht vor Ort im Shop des Vertriebspartners sein und/oder überhaupt von dem für ihn aktivierten Vertrag wissen.“ Beide Urteile hat der Münchener Rechtsanwalt Bernd Schleicher erstritten, der auf Handelsrecht spezialisiert ist.

Zu den zahlreichen Computersystemen, die in den Vodafone-Shops eingesetzt werden, gehört auch eins mit der Bezeichnung Themis. Dies entspricht womöglich nicht den gesetzlichen Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung. In einer Verhandlung vor dem Landgericht Essen hat der Entwickler der Software selbst eingeräumt, dass sie missbräuchlich eingesetzt werden kann. Deshalb interessiert sich der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) für Themis. Man habe von der Entwicklerfirma weitere Angaben zu Themis verlangt, heißt es auf unsere Anfrage.

Das Ziel: Neuverträge und entsprechende Provisionen

Offensichtlich haben Vodafone-Partner auch andere Maschen eingesetzt, um an Neuverträge und entsprechende Provisionen zu kommen. Aus einem aktuellen Urteil des Landgerichts Düsseldorf geht hervor, dass Telekom-Kunden im Herbst 2021 ein Schreiben erhalten haben, das aussah, als sei die Telekom selbst der Absender, weil der Briefkopf in Magenta gehalten war und das typische Telekom-Logo enthielt. Inhalt: Man baue das Telekommunikationsnetz der Zukunft, worauf der bestehende Telefonanschluss des Adressaten noch nicht abgestimmt sei. Der bisherige Vertrag könne nicht unverändert übernommen werden, man empfehle, die Vodafone-Komplettpakete zu buchen. Das Schreiben war eine Fälschung, deshalb zog die Telekom gegen Vodafone vor Gericht.

Das Gericht verdonnerte Vodafone dazu, diese Schreiben in Zukunft zu unterlassen. Mehr noch: Vodafone könne sich nicht hinter den Partnershops „verstecken“. Wörtlich heißt es im Urteil: „Bei dieser Sachlage ist unerheblich, wer genau die Schreiben erstellt oder daran mitgewirkt hat.“ Ob es ein Vodafone-Vertriebspartner oder dessen Mitarbeiter oder Untervertriebspartner war, der die Vodafone-Kundendaten für die Erstellung der Schreiben genutzt hat, befinde sich „innerhalb der Zurechnungskette“, sein Verhalten sei deshalb Vodafone zuzurechnen. Indem der Konzern seine Kundendaten Dritten für den Vertrieb ihrer Produkte zur Verfügung gestellt und Provisionen für Vertragsabschlüsse ausgelobt hat, habe Vodafone eine „grundsätzlich beherrschbare Gefahrenquelle geschaffen“ und hafte für die sich daraus ergebenden Risiken missbräuchlichen Verhaltens.

Datenschützer blicken auf den Vodafone-Fall

Der BfDI verliert offenbar die Geduld mit Vodafone. Der Konzern hatte 2021 mitgeteilt, wegen der Betrugsvorwürfe im regelmäßigen Austausch mit dem BfDI zu stehen. Nun hat die Behörde auf Anfrage mitgeteilt, zwei förmliche Anhörungen an Vodafone gesendet zu haben, die sich mit der Verwaltung von Kundendaten beschäftigen. Bei dieser Anhörung handelt es sich um die Vorstufe zu einem förmlichen Aufsichtsverfahren, das mit empfindlichen Bußgeldern verbunden sein kann.

Die Untersuchungen des BfDI hat Inan Koc ausgelöst. Er hat tausende Seiten Material an die Behörde übergeben. Koc hat schon zu Mannesmann-Zeiten für den Telekommunikationsanbieter gearbeitet. Er liegt im Clinch mit Vodafone, weil er 2020 verdächtige Vorgänge bei Vodafone-Partnern unter die Lupe genommen hat. Dabei sei er auf zahlreiche betrügerische Vorgänge gestoßen und habe diese dem Unternehmen gemeldet. Für seine Dienstleistung verlangte Koc ein Honorar von 900.000 Euro.

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Vodafonenennt das einen Erpressungsversuch. In einer Pressemitteilung aus dem vergangenen Jahr bezeichnet das Unternehmen Koc als „Whistleblower“, dessen Hinweise sich am Ende nicht bestätigt hätten. Man habe Strafanzeige wegen Erpressung gestellt.

Mails und Whatsapp-Verläufe, die unserer Zeitung vorliegen, zeichnen ein anderes Bild: So haben Koc und die Vodafone-Sicherheitsabteilung rund ein Jahr per Whatsapp in ständiger Verbindung gestanden. Aus dem Verlauf ist ersichtlich, dass Koc Unterlagen mit Beweisen übermittelt und Zeugen benannt hat, die bereit waren, gegen Partnershop-Betreiber auszusagen. Die Sicherheitsabteilung hat Koc sogar um Rat gefragt, Beispiel: „Kannst Du mir noch einmal erklären, wie es bei Tauschrausch zur Geldwäsche kommen kann?“

„Selbstverständlich werden wir weiterhin alle Hinweise sorgfältig prüfen“

Und in einer Mail vom 15. Januar 2021 an Koc schreibt Vodafone-Sicherheits-Chef Christopher Schneck: „...daher mein Appell – bitte konkretisieren Sie Ihre Forderungen, nur dann können auch wir weitere Überlegungen anstellen. Selbstverständlich werden wir weiterhin alle Hinweise sorgfältig prüfen...“

Vodafone lehnte Kocs Forderung ab. Begründung: Man zahle nicht für Hinweisgeber. Doch wiederum einige Wochen später bot das Unternehmen Koc einen mit 200.000 Euro dotierten Vertrag an. Für die Ermittlung zukünftiger Fälle. Ein erstaunliches Angebot angesichts der Aussage, dass seine Hinweise wertlos gewesen seien.

Auf unsere Fragen zu den Gerichtsentscheidungen, BfDI-Untersuchungen und der Auseinandersetzung mit Koc verwies Vodafone lediglich auf die Pressemitteilung aus September 2021 und teilte mit, sich nicht weiter zu äußern.

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